Sunday, June 21, 2015

Europa oder: Nie wieder Kapitalismus – nie wieder Griechenland!


von Gerrit Liskow

Wie Sie wissen, liebe Leserinnen und Leser, wird ein sympathisches Ouzo- und Steuerparadies im südöstlichen Mittelmeer seit ein paar Monaten von einem bunten Haufen progressiver Menschen regiert, die die Vielfalt der linken Einheitsmeinung so demokratisch auf den Punkt bringt, wie es in Yourup eben geht. Die Rede ist von Griechenland, der selbsternannten Wiege der Demokratie.
Selbstverständlich ist es toll, für alles Mögliche zu sein – mehr Geld für alle, erneuerbare Energien, die fünfunddreißig Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich. Und fast noch viel toller ist es, gegen alles Mögliche zu sein – Steuern, Zinsen, Sozialabgaben; sowie Fußgänger, die einem vors Fahrrad laufen.
In einer idealen Welt ist die Vereinbarkeit des Unvereinbaren kein Problem. Allerdings leben wir in keiner idealen Welt. Das ist nicht weiter besorgniserregend, solange die Mehrheit aller Beteiligten die reale Welt von der idealen unterscheiden kann; und ideal heißt letztlich nur vorgestellt und enthält keinerlei Werturteil, liebe Linke.
Die Probleme fangen meist an, wenn der Unterschied zwischen der Welt, wie sie ist, und der Welt, wie sie aus Sicht bestimmter interessierter Kreise sein sollte, zweckdienlich verwischt wird. Irreführung und Betrug sind aus Sicht bestimmter politischer Dienstleistungsbetriebe leider nur zu vorteilhaft, um sich eine Klientele heranzuzüchten, die für ihren Lebensunterhalt nicht arbeiten, sondern wählen geht.
Auch das ist noch keine Katastrophe. Die Sozialdemokraturen auf dem europäischen Kontinent managen diesen Stand der Dinge seit Jahrzehnten recht erfolgreich. Probleme gibt es erst dann, wenn das Geld alle ist; Silvesterkrapfen würden eben niemals für Neujahr stimmen.
Es ist selbstverständlich nicht so, dass in Griechenland nicht ein Leben lang hart gearbeitet wurde – nur eben schwarz, an der Steuer vorbei oder von vornherein auf Kosten von „Vater Staat“; und bei Letzterem ist das Kriterium sozial sinnvoller Produktivität nicht immer gewährleistet, wie man weiß.
Und nun gehen die Dinge eben ihren sozialistischen Gang. Denn spätestens, wenn bestimmte gesellschaftlich tonangebende Milieus sich hinlänglich davon überzeugt haben, dass sie bereits in der besten aller möglichen Welten leben, wird es kritisch. Nichts ist für eine Gesellschaft katastrophaler als Menschen, die immer Recht haben.
Die ganze Lage spitzt sich regelhaft kathartisch zu, wenn politische Selbstmordsekten sich dazu aufraffen, die Welt zu verbessern und den Menschen nach ihrem Bild zu formen und nicht rechtzeitig aufgehalten werden können. Zur Intervention müssen sich dann wider besseres Wissen unfreiwillig in Mitleidenschaft gezogene Dritte unter enormen gesellschaftlichen und individuellen Opfern aufringen.
Der zuletzt genannte Fall beschreibt die Standardkatastrophe der kontinentaleuropäischen Geschichte der letzten fünfhundert Jahre. Der für Europa typische Fall ist wieder einmal eingetreten. Diesmal nicht in Form einer Grande Nation, die einen ganzen Kontinent zu seinem Glück zwingen will, und auch nicht in Form eines auf Genozid versessenen totalen Staates.
Sondern in jenem Projekt, das die europäische Katastrophe für alle Zeiten überflüssig und unmöglich machen sollte, und das nun selbst in einer epochalen Krise steckt: Jenes Yourup (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigem Kontinent oder seinen Bewohnern), das die Brüsseler Beamtendiktatur repräsentiert.
In Abwandlung eines alten englischen Sprichworts ließe sich hier von „The Yourup to end all Europe“ reden – and it won’t be over by Christmas.
Nachdem der Flügelkampf zwischen nationalem und internationalem Sozialismus, zwischen Nazis und Sozis, bis auf weiteres zu Gunsten des geringeren Übels ausgegangen ist, bleibt festzustellen, dass sich dessen sozialrevolutionäre Utopie nicht bloß erfolgreich über die Zeit gerettet, sondern es zur gesellschaftlichen Blüte geschafft hat: Der ganze Kontinent wird jetzt zu seinem Glück gezwungen, meist auf Kosten derer, mit denen man es angeblich so gut meint.
Das vorläufige Fazit von Mehreuropa: Kollabierte Gesellschaften an der Peripherie, millionenfache Arbeits- und Perspektivlosigkeit, eine verlorene Generation Europa. Interessant daran ist lediglich, dass der soziale Flurschaden, den der schief gegangene Freilandversuch mit der europäischen Einheitswährung angerichtet hat, nicht als Katastrophe, sondern zumindest als Normalfall, wenn nicht sogar als erstrebenswertes Ideal wahrgenommen wird – vor allem von Leuten, die es dem eigenen Anspruch nach besser wissen müssten.
Denn der EU-Bürger, paneuropäisch ressourcenneutral und immanent „politisch“ (sprich: wahnhaft) in Dasein und Sosein, wünscht sich nicht etwa ein Ende der EU-Zumutungen, sondern mehr desgleichen; genau, wie in Umberto Ecos „Anleitung zum Unglücklichsein“ dargelegt.
Nichts Geringeres als die dauerhafte Aufhebung der Grenze zwischen Politik und Leben strebt die Klasse des revolutionären Bewusstseins an. Dieser Kurzschluss von Gesellschaftsform und Denkform gerinnt zu sozialen Dogmen und individuellen Fetischen, ohne der real existierenden Realität jemals ähnlich zu werden oder einen sinnvollen Bezug mit ihr aufnehmen zu müssen; Revolution als gesellschaftlicher Dauerzustand, mon amour.
Zentrales Dogma des progressiven Alltags: Auf der gesellschaftlichen Makroebene, vor allem im Verkehr zwischen den Staaten, ist Kapitalismus böse und Geld ein Teufelszeug; das weiß jeder moderne Links-Mensch, der bei der Gewerkschaft „Erziehung und Wissenschaften“ auf die Papageienschule gegangen ist. Aber auf der sozialen Mikroebene ist Geld natürlich höchst bequem und angenehm sowie dem individuellen Wohlstand förderlich.
Vor diesem Hintergrund muss es kein Widerspruch sein, erst zum Geldautomaten zu gehen um das Sparbuch zu plündern und anschließend zur Bezirksversammlung der Syriza (oder irgendeiner anderen Spaß-Partei) um dort über die soziale Kälte zu lamentieren. Hat sich wirklich noch niemand gefragt, ob zwischen prall gefüllten privaten Konten und ausstehenden Steuern ein Kausalzusammenhang besteht?
Meist gelingt es, den Grundwiderspruch, auf dem das uffjeklärte Bewusstsein nicht nur beim Thema Geld basiert, innerhalb der betroffenen Milieus zu stabilisieren. Solange im Archipel Öko (der Gegend zwischen Ton, Steine, Tofu) genug Geld für meritorischen Schnickschnack übrig bleibt (soziale Projekte, ökologische Lebensmittel, etc.), läuft der uffjeklärte Alltag jedweder Geschlechtlichkeit recht geschmeidig.
Schwierig wird es nur, wenn die chronische Malaise des progressiven Menschen nur noch zu Lasten Dritter finanziert werden kann. Wer weiß, was dabei in der Regel aller historischen Fälle herauskommt, entwickelt spätestens jetzt besser ein Unbehagen an der Kultur – im eigenen Interesse.
Dass Geld nicht auf Bäumen wächst, lässt sich nicht dadurch aus der Welt schaffen, dass man auf alles ein Bio-Label draufklebt, liebe Grünen, oder das Bildungssystem zu einem Propagandainstrument für Vater Staat umfunktioniert, liebe Sozis; damit pfuscht man bestenfalls an den Symptomen des falschen Bewusstseins herum und das zudem mit untauglichen Mitteln.
Progressive Verschlimmbesserung ist indes jene Patentrezeptur, zu der das uffjeklärte Kommentariat regrediert, wenn es sich von der real existierenden Wirklichkeit konfrontiert versteht – und das heißt subjektiv zumeist: sich von ihr bedroht empfindet.
Der Pluralismus der öffentlich-rechtlichen und halbamtlichen Einheitsmeinung ist nicht überraschend. Sondern bestenfalls bemerkenswert ist allein die Inbrunst, mit der die Damen und Herren Meinungsmacher ihr Gewerbe betreiben und Gedanken in den öffentlichen Verkehr der Ansichten und Meinungen einbringen –obwohl sie wissen, dass sie nicht viel mehr tun, als die Liegestühle auf der Titanic zu arrangieren.
Syriza ist das, was einem passiert, wenn man im mittleren Alter noch nicht erwachsen sein will. Man ahnt dann zwar bereits, dass Geld nicht auf Bäumen wächst – aber nur, weil man die Erfahrung gemacht hat, dass es aus dem Geldautomaten kommt.
Immerhin verstieg der Finanzausschuss des griechischen Parlamentes sich jüngst, angesichts eines Berichts der griechischen Staats-Bank, zur folgenden kühnen Idee: Es sei zwar kriminell gewesen, Griechenland so viel Kapital zu leihen – aber es sei noch viel krimineller, Griechenland weitere Kredite vorzuenthalten.
So denkt ein progressives Bewusstsein, das den Selbstwiderspruch seiner für ihn konstitutiven Ansichten und Meinungen ignoriert – bezeichnenderweise nicht auf eigene Gefahr, sondern auf Kosten Dritter. Aber das ist ja das Soziale daran: Wenn man andere zur Finanzierung des eigenen guten Gewissens in die Pflicht nehmen kann, nicht wahr, liebe Sozialdemokraten?
Ja, liebe Leserinnen und Leser, wenn die Körnerpicker und Joghurtkneter die Welt regieren, drängt sich die Frage aus: Sind die Linken womöglich gar nicht die Wirtschaftsexperten, für die sie sich halten?
Die haben doch alle Marxens Buch über das Kapital gelesen und wissen, wie man mit der Wirtschaft umgeht; und Behörden mit angeschlossenem Wirtschaftsbetrieb waren doch auch im nominell kapitalistischen Teil der großwesteuropäischen Wohlstandssphäre ein Genuss! Denken Sie nur an die Lufthansa in den 70er Jahren (bei der Post ist es heute noch so schön – für die Beschäftigten, denn wer braucht schon Kunden).
Wir haben genau das bekommen, was wir wollten: Eurokommunismus – die allmähliche Angleichung der Lebensumstände nach unten. Die andauernde Ausweitung politischer Interventionen seitens der Brüsseler Beamtendiktatur macht es zwar zunehmend schwieriger, eine funktionierende Wirtschaft und mit ihr eine nicht nur erträgliche, sondern womöglich gar lebenswerte Gesellschaft zu unterhalten, aber das progressive Establishment wird uns sicher bald davon überzeugen, dass auch dieses Problem durch Klimapolitik gelöst werden kann; vom Waldsterben hat man übrigens auch schon lange nichts mehr gehört, warum wohl?
Und wenn die letzte Windkraftanlage errichtet und die letzte Solarkraftanlage eingebaut ist, werden wir feststellen, dass man Eisbären nicht essen kann.
Es ist kein Geheimnis, wie es zu dem kam, was in Griechenland passiert ist: Im politischen Interesse an „Mehreuropa“ wurde diese sympathische Ouzo- und Schafskäsedestination von franco-germanischen Banken mit Krediten für diverse Eitelkeitsprojekte geradezu überschüttet.
Die hellenistische Zahlungsunfähigkeit wurde dabei billigend Kauf genommen, denn so ließ sich jener selbstgeschaffene Sachzwang produzieren, der den überwiegenden Teil des Kontinents unter eine zentrale und demokratisch nicht mal fadenscheinig legitimierte politische Kontrolle bringen soll.
Solange die linke Regierung in Athen der EU-Beamtendiktatur in diesem Sinn zu Diensten ist, wird sie sich in Brüssel oder Berlin von Ultimatum zu Ultimatum retten, während sie sich zuhause in Thessaloniki oder Athen als Robin Hood, der Rächer von Witwen und Waisen, inszenieren darf; die Syriza-Klientel wird ihrer Partei diese Polit-Posse im eigenen Interesse besser glauben, sie ist ja nicht blöd: Dafür werden sie bezahlt.
Die Pointe daran ist, dass all das nicht viel nützen wird auf einem Kontinent, der nicht nur nach japanischem Vorbild in der ökonomischen Totalsklerose erstarrt (die zweite verlorene Dekade naht), sondern der zudem im global vernetzten modernen Wirtschaftsleben zunehmend in der Bedeutungslosigkeit versinkt.
Das ist nicht die Schuld jenes Kapitalismus, vor dem die wahnhafte Euro-Kaste warnt. Immerhin ist es der kapitalistischen Wirtschaftsform innerhalb der letzten zwei Generationen gelungen, mehr Menschen zu Wohlstand und einem menschenwürdigen Dasein zu verhelfen, als in allen Epochen der Menschheit zuvor.
Aber das will man natürlich nicht wahrhaben, wenn man davon lebt, dass man den Leuten das Gegenteil weiszumachen versucht; oder sich insgeheim Klopapier wünscht, bei dem man immer gleich den Finger im Arsch hat.
Es ist, in einem Wort, blöd, wenn man der eigenen Propaganda glaubt, liebe „Linke“. Aber doppelt so blöd ist der Aberglauben, dass Wünschen je geholfen hätte. Angesichts der praktischen Resultate des gescheiterten Freilandversuchs namens Eurozone ist eine Konfrontation mit der realexistierenden Wirklichkeit leider die einzige Hoffnung, die dem „Projekt Europa“ noch bleibt.
Wirtschaftliche und soziale Liberalität indes waren immer schon jene zwei Seiten derselben Medaille, deren eine nur um den Preis der anderen zu haben ist.

http://www.order-order.com/2015/04/08/capitalism-has-delivered-an-80-decline-in-world-poverty
http://www.capx.co/external/capitalism-is-to-thank-for-the-dramatic-advances-in-world-poverty/
 haolam

No comments: