Wir möchten auf folgende Veranstaltung hinweisen.
Donnerstag, 04. Juli 2013, 20 Uhr
Marburg
Hörsaalgebäude, Biegenstr. 14, Raum +1/0120
Tayyip Erdoğan und die Seinen
Eine Einladung zu einer Diskussionsveranstaltung in sechs Thesen
EINS
Recep Tayyip Erdoğan und seine AK Parti (AKP) traten 2002 mit dem Versprechen an, eine umfassende Demokratisierung aller überalterten Strukturen vorzunehmen. Nach 10 Jahren kann resümiert werden, dass im Namen der Demokratisierung an die Stelle der alten laizistisch-kemalistischen Elite eine neue, die islamisch-kemalistische getreten ist, die Verhältnisse zu ihrem eigenen Vorteil geschaffen hat, die zur schleichenden Islamisierung der Gesellschaft beitragen.
ZWEI
Erdoğan agiert gegenwärtig in einem bislang nie dagewesenen Machtvakuum in der politischen Geschichte der Türkei. Das autoritäre Militär, welches stets als Hüter der laizistischen Verfassung galt – und das war auch das einzig sympathische an ihr – ist gegenwärtig weitestgehend entmachtet, ihre Generäle sind aus teils berechtigten, aber auch fadenscheinigen Gründen angeklagt und verurteilt. Kritische Journalisten sitzen teils ohne Anklage im Gefängnis und die Presse ist alles andere als frei. Republiktreue Verfassungsrichter sind entlassen oder aus Protest zurückgetreten. Es kann festgehalten werden, dass die laizistische Opposition außer Kraft gesetzt ist und deshalb zu fragen ist, ob und wenn ja, wer an ihre Stelle treten wird.
DREI
Ausgeschlossen werden kann, dass an diese Stelle die türkische Linke treten wird. Ein geradezu ozeanisches Gefühl erlebt sie zwar aktuell, ihre Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand wird vollends befriedigt, gleichwohl kommt selbst für sie aber der landesweite Protest überraschend. Ihr Auftreten im linkskemalistischen Gestus des „Rettet das Vaterland“ ist mehr als peinlich und es ist grotesk, dass die türkische Linke sich als Hauptträgerin der aktuellen Proteste sehnlichst wünscht und diese Anmaßung von ihren deutschen Adepten auch noch geglaubt wird. Vielmehr zeigt sich, wie marode und marginalisiert ihre Wirkkraft ist. Geradezu reaktionär und kritikresistent ist ihre Programmatik, zeugen die seit eh und je mit den gleichen Parolen, Organisationsformen und Führerkult geführten Aktionen doch nur, wie vorgestrig die gesamte Linke ist. Von der türkischen Linken und vor allem ihren Intellektuellen, die der AKP näher stehen, als ihnen lieb ist und die Freiheit verraten haben, ist aktuell nichts zu erwarten. Müsste man die türkische Linke auf eine griffige Parole bringen, dann hieße diese: Scheitern als Programm.
VIER
Doch wer sind diese Menschen auf den Straßen dann?
„3 Bier statt 3 Kinder“ ist eine der vielen neuen Parolen dieser Tage und sie steht für den Drang nach Freiheit dieser jungen Menschen, die sich weitgehend weder von der autoritären AKP-Regierung, noch von der kemalistischen und nationalistischen Opposition vertreten fühlen und sich von diesen noch weniger vorschreiben lassen wollen, wie sie leben sollen. 90% der Protestierenden sind partei- und organisationsungebunden und fast 50% demonstrieren das erste Mal in ihrem Leben. Sie kommen weitestgehend aus einem mittelständischen, gebildeten und westlich orientierten Milieu. Dieses Aufbegehren zu einer echten „Volksbewegung“ gegen „Gentrifizierung“ oder „Neoliberalismus“ und für „Klassenkampf“ umzulügen, wie den wenigen Stellungnahmen der deutschen und deutsch-türkischen Linken zu entnehmen ist, zeugt von Einfalt und Klassenkampfromantik, die stets in Stellung gebracht werden, wenn jedes Konterfei und jede brennende Barrikade irgendwo in der Welt als „Revolution“ abgefeiert wird. Es geht aber um Freiheit, um nichts anderes und das treibt die Menschen auf die Straßen.
FÜNF
Die türkische Gesellschaft ist gespalten. Das war sie zwar vorher auch schon, trotz dessen ist es aber falsch zu behaupten, dass die Legitimität der AKP derzeit in Frage stünde und noch weniger stimmt es, dass sie erschlichen sei. Mit nahezu 50% der Wählerstimmen ist sie 2011 demokratisch gewählt worden und nicht nur deswegen, weil sie den Kampf gegen die alten Eliten anführt und dem Islam Respekt zollt, sondern weil sie einen neo-osmanischen, wirtschaftsliberalen Kurs vertritt, welches über eine breite Unterstützerbasis verfügt. Die AKP hat einen neuen islamischen Mittelstand geschaffen, der zu den Gewinnern des fragwürdigen wirtschaftlichen Aufschwungs gehört. Sie spricht die imperialen Sehnsüchte nicht nur der nationalistischen Türken an, gibt nicht nur den anatolischen Türken eine Stimme, sondern setzt sich, auch zur Erschließung neuer Wählerkreise, für den Frieden mit den Kurden ein. Alles deutet darauf hin, dass die AKP gestärkt aus den Protesten herausgehen wird, zu mehr Repressalien sich veranlasst fühlen wird und die Proteste, vielleicht wie angekündigt mit dem Militär, zerschlagen wird.
SECHS
Scheinbar sind nicht wenige Türken eher an Prosperität interessiert als an Freiheit und das wirft Fragen auf, die dringend beantwortet werden müssen. Geklärt werden muss, wie es um die Freiheit steht in einem Land, dass einst gegen die islamische Tradition antrat und den Westen zum Vorbild erklärte und nun unter Erdoğan, dem faschistischen Agitator, der gegen alte und neue Feinde der islamisch-kemalistischen Elite agitiert, immer offensichtlicher entgegengearbeitet wird. Anhand ausgewählter Reden Erdoğans soll dies näher aufgezeigt werden.
marburgerzustaende
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