Monday, June 08, 2015

Alltag im Globalkrieg

von Wolfgang G. Schwanitz
  • Der "Islamstaat" hat mit seiner Rekrutierung über die Medien so einen Erfolg, dass ihm nicht nur Jihadis aus hundert Ländern zulaufen, sondern dass im Westen Anschläge gegen Zivilisten, Armee und Polizei zum Alltag zählen. Dabei werden alte Konflikte der Polizei und Minoritäten benutzt.
  • Wie das Pariser Treffen der Gegenallianz zeigte, hat sie keinen effektiven Plan, den "Islamstaat" zügig zu überwinden. Dagegen erwecken neue Achsen der Araber und Israelis auch gegen das Regime des anderen, schiitischen Islamstaats Hoffnungen auf eine stabile Befriedung der Region.
  • Ägyptens Präsident as-Sisi wirkt an einer Panarabischen Eingreiftruppe. Vielleicht mag er vom Eurokorps seit 1993 lernen, darin die vier Jahre zuvor gebildete "deutsch-französische Brigade".
  • Der Nilstaat zeigt, ein Wirtschaftsaufschwung entscheidet viel. Wie einst vor und nach 1900, als Forscher die "neue Waffe Islamismus und Bruderschaften" im nahenden Krieg Europas erörterten.
Boston erlebte gerade das Verfahren gegen den Marathon-Bomber Djauhar Tsarnaev mit einem Todesurteil, da sieht die Stadt wieder Angriffe durch Islamisten. Diesmal tötete die Polizei Usama Abdullah Rahim, bevor er sie mit dem Messer treffen konnte. Wie sich am Dienstag, den 2. Juni, zeigte, war auch die Freie-Rede-Advokatin Pamela Geller sein Ziel, die im Mai einen Cartoon-Wettbewerb im texanischen Garland abhielt, wobei zwei Jihadis umkamen. Jetzt wurden zwei Männer angeklagt, dabei Rahims Neffen David Wright. Der "Islamstaat" inspirierte sie, der Konflikte zwischen der Polizei und Minoritäten ausnutzt..
Islam-Literatur aus aller Welt in einem Kairiner Buchladen. (Foto: W.G. Schwanitz)
Laut Polizei folgten sie Lehren der Muslimbruderschaft, hätten sich radikalisiert. Der westliche Alltag bildet nun die Medienbühne solcher Angriffe gegen Vertreter der Zivilgesellschaft, Armee und Polizei, wozu der "Islamstaat" anhält. Obwohl er ausgreift, brachte am 2. Juni das Pariser Treffen mit 24 Staaten der Koalition von 60 Ländern wenig. Schwach nannte es Außenminister Laurent Fabius. Er wies die Boykotte Israels ab, wo Justizministerin Ayelet Shaked aufrief, die "Boykotteure zu boykottieren". Das läuft per Gesetz in Südkarolina seit 4. Juni: dessen Staatsfirmen dürfen nicht mit jenen handeln, die deren Handelspartner boykottieren.
In Paris beklagte Iraks Premier Haider al-Abadi, Jihadis wären organsierter; und tödlicher ausgerüstet. Sie setzen Panzerwagen voller Sprengstoff wie Mini-Nukes ein. Der Luftkrieg der Koalition genüge nicht. Zweifel erweckt sein Werben, das Waffenembargo gegen Teheran zu lüften, "um dort Waffen zu kaufen". Obama trifft den Iraker heute im Weißen Haus, ließ jedoch von Vizesicherheitsberater Benjamin J. Rhodes Hilfszusagen verneinen. Beide reisen zum G7-Gipfel, wo es auch um den "Islamstaat" geht.
Daten des State Departments vom 1. Juni nach, kämpfen 22.000 ausländische Jihadis aus 100 Ländern für den "Islamstaat". Wer weiß dies genau? Ein Fehler ist es, Muhammad Ali Jafaris Schia-Milizen aus Iran gegen den anderen "Islamstaat" im Irak einzusetzen. Das hat Folgen. Dies vertieft den Sektenkrieg, lässt Helfer des schiitischen Islamstaats dort verwurzeln und bald in der Nachkriegszeit über Irak hinaus die Region dominieren.
Das befürchten Golfaraber, die Amerika im Sektenkrieg auf ihrer Seite erhoffen, und Israel. Saudis und Israelis enthüllten am Donnerstag, den 4 Juni, vor dem Washingtoner Rat für Auswärtiges ihre Geheimgespräche zu Iran. Seit 2014 trafen sich ihre Vertreter fünf Mal. Ex-UN-Botschafter Dore Gold meinte, noch seien nicht alle Differenzen beigelegt. Anwar Bin Majid Bin Anwar Ishki hofft auf dies: Frieden Israel-Araber, Regimewechsel in Iran, Staat Kurdistan und eine Panarabische Eingreiftruppe (القوة العربية المشتركة). Saudis werben, dass Israel ihren Friedensplan von 2002 befolge. Der ist unrealistisch, nicht auf dem Stand. Auf der palästinensischen Seite gibt es weder Legitimität noch Einheit oder Bereitschaft.

Unwägbarkeiten

Ägyptens Präsident as-Sisi wirkt an der Panarabischen Eingreiftruppe. Er müsste dabei den Großteil der Soldaten und Geräte stellen, wozu er ex-Verteidigungsminister Leon Panetta am 28. Mai empfing. Vielleicht mag as-Sisi vom Eurokorps seit 1993 lernen, darin auch die vier Jahre zuvor gebildete "deutsch-französische Brigade".
Dies, und eine Euro-Initiative für Libyen fehlten, als Kanzlerin Merkel ihn am Mittwoch, den 3. Juni, in Berlin traf. Sie betonte Ägyptens strategische Rolle, dass Stabilität für Berlin und Europa wichtig seien, kritisierte das Aktionsverbot für die Konrad-Adenauer-Stiftung und lange bürokratische Verfahren für Firmen. Die Todesstrafe dürfe nicht sein, selbst wenn es um Terror gehe. As-Sisi hierzu: 51 Prozent wählten seinen Vorgänger Mursi demokratisch, ein Jahr später setzten sie ihn ab. Merkel würdigte die "30 Millionen Demonstranten" [in der "Coupvolte"].
As-Sisi lag mehr an der Wirtschaft. Die Firma Siemens, seit März groß im Geschäft, baut Anlagen, die ein Drittel des Stromes liefern werden. Mit der Deutschen Bank wirkte sie ab 1888 im Anatolischen Bahnbau. Kanzler Otto von Bismarck und Kaiser Wilhelm stärkten es in vier Dekaden ab 1884. Diese Deutschen Mittelost-Gründerjahre zeitigten einen Boom mit dem Osmanenreich. In Cambridge prüfte man "Near Eastern Question & "Pan-Islamism". Der Autor George P. Gooch und der namhafte Iranist Edward G. Browne besprachen dort im August 1902 das Nahostproblem und den [Pan-]Islamismus.
Gooch hielt Jihad im Islamismus für möglich, Browne kaum, obwohl er noch "Mekka und der Panislamismus" von C. Snouck Hurgronje las. Dieser niederländische Arabist wusste mehr darüber, hatte er doch schon Jihad im Aceh-Krieg nach 1888 im heutigen Indonesien gegen die Niederlande erlebt. Die Briten ahnten es aber, was die Rede von der "starken Reservewaffe Jihad" in den Händen des Kalifen und Sultans und die neue Rolle Deutschlands dort hindeutete. Was sich ab 1888 und im Ersten Weltkrieg abspielte, kam also nicht ganz überraschend.
Istanbul und Berlin jihadisierten Islamismus und Bruderschaften im dreikontinentalen Glaubenskrieg. Diese Kriegsideologie geriet global, nahm rechte und linke totalitäre Stränge auf. So im Zweiten Weltkrieg, als eine "vertraut fremde Synthese" mit den rassistischen Ideologemen der Nazis kam. Jerusalems Großmufti Amin al-Husaini 1942: der Zwist um Palästina und Juden seien ein Rassekrieg, der erst aufhöre, wenn eine Seite zerstört werde. Dies wollen Islamisten, auch in Iran, nicht nur Krieg und Boykott gegen Israel. Daher stellt sich wie in Cambridge 1902 eine Frage: Können sie die Demokratien [mit deren uneffektiver Allianz] durch Islamstaaten außen und Islamisten innen bezwingen?
 gatestoneinstitute

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