Tuesday, June 09, 2015

Spanien und der Dschihad: Im Zentrum des Sturms

von Soeren Kern
  • Die Islamisten sind besonders an Konvertiten interessiert, die noch keinen muslimischen Namen angenommen haben und immer noch einen Personalausweis mit ihrem Geburtsnamen besitzen, so dass sie Waffen kaufen können, ohne den Argwohn der Polizei zu wecken.
  • Mindestens 50.000 muslimische Konvertiten leben derzeit in Spanien. Konvertiten seien besonders anfällig für Radikalisierung, sagt die Polizei, weil auf ihnen ein wachsender Druck von Islamisten laste, die sie dazu anstifteten, Anschläge zu verüben, um so das "Bekenntnis" zu ihrem neuen Glauben zu "beweisen".
  • Spanien ist zudem zu einem wichtigen Einfalltor für Schlepperorganisationen geworden, welche von Dschihad-Veteranen benutzt werden, die nach Europa zurückkehren wollen, nachdem sie im Nahen Osten gekämpft haben.
  • "Die Türkei ist ein Supermarkt für gefälschte Reisepässe", sagt ein spanischer Agent, der mit Ermittlungen über eine Schlepperorganisation befasst ist.
Im Lauf der letzten zehn Jahre hätten die spanischen Sicherheitsorgane bei 124 verschiedenen Operationen, die sich gegen den islamischen Terrorismus richteten, insgesamt 568 Dschihadisten verhaftet, erklärte Spaniens Innenminister, Jorge Fernández Díaz, am 14. Mai auf einer afrikanischen Sicherheitskonferenz in Niger.
Dank "kontinuierlicher polizeilicher und juristischer Aktionen" sei es den spanischen Behörden gelungen, weitere große Terroranschläge wie die auf die Madrider Vorortzüge von März 2004, bei denen fast 200 Menschen getötet und mehr als 2.000 verletzt wurden, zu verhindern, so Fernández Díaz.
Gleichzeitig warnte der Minister jedoch, dass es "sehr wahrscheinlich" sei, dass islamische Terroristen irgendwann in der Zukunft wieder zuschlagen werden; die Wahrscheinlichkeit eines solchen Anschlags schätzt er auf 70 Prozent.
Bei einer zweitägigen Terrorismuskonferenz, die am 23. und 24. April in Madrid stattfand, sagte er, von mindestens 115 spanischen Dschihadisten sei derzeit bekannt, dass sie sich dem Islamischen Staat angeschlossen hätten, darunter mindestens 15 Frauen. 14 Dschihadisten seien nach Spanien zurückgekehrt; neun von ihnen säßen in Haft, die anderen fünf seien auf freiem Fuß.
Noch im Januar hatte Fernández Díaz die Zahl spanischer Dschihadisten im Ausland auf 70 beziffert, was bedeutet, dass ihre Zahl allein in den ersten vier Monaten des Jahres 2015 um 40 gestiegen ist. Die erste offizielle Schätzung hatte er im August 2014 gegeben: 51 spanische Dschihadisten kämpften im Ausland, sagte er damals.
Unterdessen reisen "Dutzende" von Dschihadisten und anderen islamischen Radikalen aus dem benachbarten Frankreich nach Spanien ein, da ihnen in Frankreich wegen des dortigen Vorgehens der Regierung im Zuge der Charlie Hebdo-Anschläge von Paris im Januar die "Luft zum Atmen fehlt" (am 29. April verkündete der französische Präsident François Hollande die Bildung einer 7.000 Mann starken Truppe, die dauerhaft eingesetzt werden soll, um in Frankreichs Straßen zu patrouillieren).
Das berichtet ein anonymer spanischer Geheimdienstmitarbeiter, den das Madrider Magazin El Confidencial interviewt hat; französische Dschihadisten zögen nach Spanien, weil sie glaubten, auf der iberischen Halbinsel "größere Bewegungsfreiheit" zu genießen. Unter ihnen seien Personen, die "verdächtigt" würden, islamische Radikale zu sein, die aber aus Mangel an Beweisen von keinem der beiden Staaten verhaftet würden.
Laut dem Bericht ziehen die meisten der aus Frankreich kommenden Dschihadisten nach Katalonien und an Spaniens Mittelmeerküste, wo sie versuchten, in den dortigen muslimischen Gemeinden "unterzutauchen". Die auch als Spaniens Levante bekannte Region entspricht ungefähr dem, was einst als Xarq al-Ándalus bekannt war, dem fast fünf Jahrhunderte lang von muslimischen Invasoren besetzten Gebiet.
Al-Andalus ist der arabische Name für jene Gebiete Spaniens, Portugals und Frankreichs, die die muslimischen – auch als Mauren bekannten – Eroberer von 711 bis 1492 besetzten. Viele Muslime glauben, dass Territorien, die Muslime während der christlichen Reconquista Spaniens verloren haben, immer noch zum islamischen Reich gehören; das islamische Gesetz gebe ihnen das Recht, dorthin zurückzukehren und die muslimische Herrschaft zu erneuern, behaupten sie.
Im Juli 2014 produzierten Dschihadisten des Islamischen Staats ein Video, in dem sie geloben, al-Andalus von Nichtmuslimen zu befreien und zu einem Teil ihres neuen islamischen Kalifats zu machen. Das Video zeigt einen Dschihadisten, der auf Spanisch mit starkem nordafrikanischen Akzent droht:
"Ich sage es als Warnung zu der ganzen Welt: Wir leben unter dem islamischen Banner, dem islamischen Kalifat. Dafür werden wir sterben, bis wir diese besetzten Länder befreit haben, von Jakarta bis Andalusien. Und ich erkläre: Spanien ist das Land unserer Ahnen, und mit der Macht Allahs werden wir es uns zurückholen."
Von einem Unterstützer des Islamischen Staates getwittertes Foto: Vor dem Aljafería-Palast in Zaragoza (Spanien) hält er die schwarze Dschihad-Flagge des Islamischen Staats.
Die Terrorbekämpfungseinheiten der spanischen Behörden warnen davor, dass der Islamische Staat aktiv nach spanischen Islamkonvertiten Ausschau hält, die einen Waffenschein besitzen und auf legale Weise Gewehre und Jagdgewehre kaufen können. Die Islamisten sind besonders an Konvertiten interessiert, die noch keinen muslimischen Namen angenommen haben und immer noch einen Personalausweis mit ihrem Geburtsnamen besitzen, so dass sie Waffen kaufen können, ohne den Argwohn der Polizei zu wecken.
Mindestens 50.000 muslimische Konvertiten leben derzeit in Spanien. Konvertiten seien besonders anfällig für Radikalisierung, sagt die Polizei, weil auf ihnen ein wachsender Druck von Islamisten laste, die sie dazu anstifteten, Anschläge zu verüben, um so das "Bekenntnis" zu ihrem neuen Glauben zu "beweisen". "Konvertiten sind der perfekte Nährboden für Islamismus", sagt ein spanischer Geheimdienstmitarbeiter.
Ein neuer Bericht des zum Verteidigungsministerium gehörenden Spanischen Instituts für Strategische Studien zeigt, dass solche Sorgen berechtigt sind. Sogenannte einsame Wölfe, so der Bericht, stellten die größte Bedrohung für Spanien und andere europäische Länder dar.
"Es sind Aktivisten, die [dem Führer des Islamischen Staats] Abu Bakr al-Baghdadi heimlich die Gefolgschaft schwören und unabhängig handeln, ohne Kontakt mit jemandem aufzunehmen. Sie ausfindig zu machen, ist extrem schwierig", heißt es darin. Und weiter:
"Um zu wissen, was sie tun sollen, wann und auf welche Weise, brauchen Terroristen nicht mehr direkt mit der Führung der Organisation zu kommunizieren, zu der sie gehören; sie brauchen weder ein Telefon noch E-Mails. Es bedarf keines vorherigen Kontakts mehr, um zu benutzende Signale, die Bedingungen oder Dimensionen eines Anschlags oder etwaige Einschränkungen zu vereinbaren."
"Diese Taktiken bereiten den Träumen der Geheimdienste, durch das systematische Abfangen von Kommunikation oder die Auswertung von Satellitenbildern alles zu kontrollieren, ein jähes Ende. Wenn es keine Kommunikation gibt, ist es nicht möglich, irgendetwas abzufangen."
Spanien ist zudem zu einem wichtigen Einfalltor für Schlepperorganisationen geworden, welche auch von Dschihad-Veteranen benutzt werden, die nach Europa zurückkehren wollen, nachdem sie im Nahen Osten gekämpft haben. Ein von der spanischen Grenzpolizei vorgelegter Bericht benennt drei Hauptrouten, über die der Eintritt erfolgt – Afrika, Südamerika und Europa – und warnt davor, dass Menschenhandel "lukrativer ist als Kokainhandel".
Der Bericht stellt fest:
"Das Ergebnis der Ausbreitung von Organisationen, die Menschen transportieren und sich dabei gefälschte Dokumente zunutze machen, ist die Einreise von Tausenden Menschen in europäische Länder. Mehrere Probleme sind miteinander dadurch verknüpft, dass Dschihad-Veteranen, die für den Islamischen Staat in Syrien und dem Irak gekämpft haben, dieselben Netzwerke nutzen, um sich die Rückkehr zu ermöglichen. Viele von ihnen werden in mehreren Ländern mit Haftbefehl gesucht (Spanien, Frankreich, Großbritannien usw.). Mitglieder des Islamischen Staats können unsere Grenzen überqueren, um in Europa Terroranschläge zu verüben."
Im November 2014 verhaftete die Polizei in Madrid 18 Personen – acht Libanesen, vier Spanier, drei Syrer, einen Ecuadorianer, einen Marokkaner und einen Ukrainer – die beschuldigt werden, ein Schmuggelnetz zu führen, das Menschen von Syrien nach Spanien bringt. Die Polizei nimmt an, dass die Zelle, die Zweigstellen im Libanon und der Türkei hat, jeden Monat einen Profit zwischen 50.000 und 100.000 Euro macht. Einer der Agenten, die an dem Fall arbeiten, sagt: "Die Türkei ist ein Supermarkt für gefälschte Reisepässe."
Unterdessen sollen in Katalonien mindestens 60 Dschihadisten darauf warten, dass der Islamische Staat ihnen das Signal zum Angriff gibt. Das berichtet die Madrider Tageszeitung El País und beruft sich dabei auf eine Warnung, die Ende April bei einem nichtöffentlichen Treffen von Anti-Terror-Polizisten in Viladecans in der Nähe von Barcelona ausgesprochen worden sei.
Das informelle Treffen war anberaumt worden, nachdem eine Anti-Terror-Operation in Katalonien dadurch gefährdet worden war, dass Dschihadisten mutmaßlich einen Hinweis auf ihre bevorstehende Verhaftung erhalten hatten. Die genauen Umstände sind unklar, doch es scheint, dass das Chaos aus einer mangelhaften Kommunikation zwischen der Antiterrorpolizei in Madrid und der als Mossos d'Esquadra bekannten katalanischen Polizei resultierte. Offenbar führten beide Stellen Ermittlungen über dieselbe islamistische Zelle durch, ohne sich darüber abzustimmen.
Das Treffen in Viladecans, das von 130 Mitarbeitern verschiedener Polizeikräfte aus dem ganzen Land besucht wurde – Mossos, Guardia Civil, nationale und lokale Polizei –, fand statt, um die gemeinsame Sorge über "das mangelnde Training der Strafverfolgungsorgane im Hinblick auf den Kampf gegen dschihadistischen Terrorismus" zu erörtern.
Ein großer Teil des eintägigen Treffens wurde darauf verwendet, Informationen darüber auszutauschen, wie man "Radikalisierungsprozesse" erkennt und wie man gewöhnliche Muslime von Salafisten und Dschihadisten unterscheidet. Ein Antiterrorexperte sagte, eines der Hauptprobleme der Polizei sei, dass "Dschihadisten die Gesellschaft unterwandert haben; sie trinken Alkohol, essen Schweinefleisch, kleiden sich wie Westler und sind nicht aufzuspüren."
Einer der Organisatoren der Veranstaltung, Alex Pérez von der lokalen Sektion der International Police Association (IPA) sagt:
"Wir gehen jeden Tag auf die Straße, aber wir verfügen nicht über die notwendigen Werkzeuge, um die Bedrohungen zu bekämpfen, denen die Bevölkerung ausgesetzt ist. Manche von uns greifen in die eigene Tasche, um sich weiterzubilden, sich zu beschützen und einen angemessenen Dienst an der Gesellschaft zu leisten."
Ein anderer Polizeibeamter bringt es so auf den Punkt: "Wir sind geliefert, und in Zukunft wird alles noch schlimmer werden, weil die Radikalen mehr und mehr auf Angriff aus sind."
 gatestoneinstitute

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