Bundespräsident Joachim Gauck mag bei seinem Besuch in der Türkei klare Worte gefunden haben, um die bedenklichen Rückschritte in Bezug auf Demokratie und Rechtsstaat seit dem vergangenen Sommer anzusprechen. "Erschreckend" und "besorgniserregend" nannte Gauck die Gängelung der Justiz, das Verbot mancher sozialer Medien und den Druck auf Journalisten und Redaktionen.
Aber klarer als der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ist kaum jemand, wenn es darum geht zu kritisieren. Der Regierungschef und die regierungsnahen Medien nahmen Gauck umgehend in den verbalen Schwitzkasten.
"Seltsame Dinge" habe der deutsche Präsident vor türkischen Studenten gesagt, meinte Erdogan in einer Rede vor seiner Parlamentsfraktion. "Er hält sich wohl immer noch für einen Pastor, er war ja mal einer", sagte der Premier in Anspielung auf Gaucks früheres Amt als protestantischer Geistlicher.
Er, Erdogan, habe ihn gleich zu Beginn ihres Vier-Augen-Gespräches gewarnt, sich in die inneren Angelegenheiten der Türkei einzumischen. Im Übrigen werde er bei seinem nächsten Deutschland-Besuch im Mai sozusagen als Retourkutsche Deutschland kritisieren.
Gauck hatte bei seinem Besuch einen öffentlichen Auftritt mit Erdogan vermieden, hatte aber Staatspräsident Abdullah Gül vier Mal getroffen. Als gelte es zu demonstrieren, dass Gül ein würdiger Gesprächspartner sei, Erdogan aber weit weniger. Das kann diesem nicht gefallen haben.
Regierungsnahe Medien nannten Gauck gar den deutschen "Imam der Gülen-Bewegung", eine reformislamische Gruppierung, die von Erdogan beschuldigt wird, ihn stürzen zu wollen. Gauck geriet so in der AKP-treuen Presse letztlich zu einem Anführer der oft zitierten "dunklen ausländischen Mächte", die angeblich Erdogans Sturz zu orchestrieren versuchen.
Indem er Gauck als "Pastor" bezeichnete, stempelte Erdogan ihn als Feind ab – als jemanden, der die Türkei nicht möge, weil sie islamisch ist. Erdogan will demnächst in der Hagia Sophia beten, eine Art moderne Besitznahme der alten Kathedrale für den Islam.
Die regierungsnahen Medien berichteten über den Gauck-Besuch mit einer Mischung aus Zorn und Hohn. "Gauck hat ,Gouck' gesagt und ist wieder weg", schrieb die Zeitung "Star", was wohl bedeuten sollte, Gauck habe wie ein Huhn gegackert und sonst sei nichts gewesen. Die Zeitung warf dem deutschen Präsidenten vor, sich in die inneren Angelegenheiten der Türkei eingemischt zu haben.
Das Blatt empfahl, Gauck solle doch gleich für die Oppositionspartei CHP als Präsidentschaftskandidat antreten (im August wird gewählt). Das für seine ebenso ehrenrührigen wie windigen Berichte bekannte regierungsfreundliche Blatt "Takvim" warf Gauck vor, er habe vergessen, dass "Deutschland ein Polizeistaat" sei, und habe "in der Manier eines Kolonialherrn gesprochen".
Andere Zeitungen führten ihren konservativen muslimischen Lesern genüsslich aus, Gauck (der Pastor) sei noch verheiratet, sei aber mit seiner Geliebten zum Staatsbesuch gekommen. Das dürfte den meisten türkischen Lesern als Gipfel der Verkommenheit erscheinen.
welt
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