Enno Stahl
Den Titel "Witzigstes Buch des Jahres `98" hatte er mit Leichtigkeit gewonnen, der Berliner Schriftsteller, Maler, Musiker und Kneipenphilosoph Thomas Kapielski. Und zwar mit seinem Werk "Davor kommt noch. Gottesbeweise 9-13". In diesem Frühjahr ist nun quasi als Fortsetzung der erste Teil erschienen; "Danach war schon. Gottesbeweise 1-8". Diese aktuelle Veröffentlichung wird es im "Lustigkeitswettbewerb" etwas schwerer haben - aber oben mitmischen wird sie auch. Kapielskis ausgeweitete Anekdoten und Histörchen sind so satt im Alltäglichen abgefedert, im absolut Diesseitigen verankert, daß der Untertitel allerdings ein bißchen verblüfft - ist er etwa gläubig, wo ihm doch sonst nichts und niemand heilig zu sein scheint?
"Ich kann gleich beruhigen", meint Kapielski, "fromm bin ich nicht geworden, aber aus Fragen der Sicherheit doch durchaus gottesfürchtig; und Gottesbeweise, das hat einfach damit zu tun, daß ich mich während der Zeit, als ich dieses Buch, diese beiden Dinger da geschrieben habe, mit Theologie befaßt habe. Ganz intensiv, und das ist unterirdisch reingerutscht - auch in der Weise, daß Gottesbeweise seit Kant bekanntlich gar nicht mehr möglich sind Und da gibts so eine Richtung, die versucht so eine Art poetische Gottesbeweise. Die sagt, seitdem es keine mehr gibt, kann man so richtig loslegen. Und dann sind so mehr die kleinen, profanen Wunder, über die man so täglich staunt, und ich staune täglich, eigentlich immer mehr: das sind so die kleinen Gottesbeweise, es sind so banale Formen des Wunders. Immer dann, wenn irgendwo anfängt, immer dann, wenn man anfängt zu staunen." Das Staunen im Alltag, die "Wunder" geraten bei Kapielski nun vor allen Dingen brüllend komisch. Im Unglaublichen, im Aberwitzigen und Absurden des Lebens selber manifestieren sich die "Epifanien", um die sich Kapielskis Berichte ranken. Alles ist streng autobiografisch, was Wahrhaftigkeit verbürgt. Und der Autor tut das ganz bewußt, als Programmatik und mit Tradition: "Ich habe von Jörg Schröder, der einmal den März-Verlag gemacht hat, gelernt, immer ganz tapfer und offenherzig, aber auch moralisch-kontrolliert die Realitäten direkt zu benennen. Mich interessieren Sachen, die real gekoppelt sind, also Geschichte oder Theorien, wenn sich jemand ne interessante Theorie ausdenkt, und ich schreibe eben über das, als ein nun bald schon fünfzig-jähriger Mann, schreibe ich über das, was ich erlebt habe; und daran läßt sich natürlich alles mögliche dran koppeln, sämtliche Texte, die man gelesen hat, alles, was man so erlebt hat, und das baut man so als Geschichten aus, und beschreibt so mittels Geschichten Geschichte, und das ist ja ganz schön." Diese Geschichten führen Kapielski im ersten Buch in solch bizarre Ausweglosigkeiten wie das Erlebnis einer geradezu biblischen Mückenplage im tiefsten Finnland. Sie zwingt ihn dazu, zwei Wochen ausschließlich auf dem Zimmer zu verbringen. Oder jene Horrorfahrt auf der Autobahn, bei der ihn die Alkoholeskapaden der vorangegangen Tage kreislauf-technisch derart bedrängen, daß der Notarzt die einzige Alternative des Fortkommens bleibt. Diese und andere peinliche Geschichten schildert Kapielski ohne poetische Verkleidung, ohne irgendeine "spanische Wand", die sein Innerstes etwa zu schützen vermöchte - fällt ihm das bisweilen schwer? "Also in dieser Hinsicht muß man ja etwas aufrichtig sein. Es macht mir keine Schwiergkeiten, ich schenke ja ganz ordentlich aus, und da müssen meine Schwächen müssen auch benannt werden; selbstverständlich auch meine Stärken. Ich finde das sehr wichtig, daß die Ironie, ausgezeichnet mit außerordentlicher Wahrhaftigkeit, angefangen bei sich selbst ausgestattet wird. Danke." Während das 98-er Buch eine große Mobilität an den Tag legt - merke; die verrücktesten Dinge passieren immer unterwegs! - spielen weiteste Teile der 99er-Publikation in Berlin. Sie beschäftigen sich z.B. mit den Denkwürdigkeiten rings um die Wiedervereinigung, jene besonnene Skepsis, mit der die West-Berliner die konsumsüchtigen Horden aus dem andern Deutschland begutachten. Aber auch mit den Verrücktheiten, die eben bei diesen West-Berlinern im Gefolge der politischen Veränderungen grassieren. Kapielski selbst betrachtet das Ganze zumeist aus der bequemen Perspektive der Stammkneipe, die einen sozialen Umraum der Geborgenheit vermittelt, jenes Unverbrüchliche, was dem Strudel der Zeiten entgegensteht. Vermutlich gibt es zur Zeit keinen deutschen Autor, der mit so viel Liebe und Sinn fürs Detail über Gaststätten, Kneipen, Kaschemmen und Restaurationen zu erzählen weiß. Die Kneipe spielt in Kapielskis Schaffen und seiner Schaffensweise eine ähnlich zentrale Rolle wie im Werk Peter Altenbergs. Wie sieht er das selber? "Ja, die Kneipe, insbesondere der Stammtisch, ist ja außerordentlich schlecht konnotiert; das müssen wir mit aller Vehemenz bekämpfen. Das sind die letzten Orte, wo die Leute noch nicht im Hyperealen vor ihren Fernsehern bei Büchsenbier hocken, sondern tatsächlich noch sehr freimütig miteinander reden, da passiert sehr viel, man hört viele sprachliche Akrobatenstückchen; aber nicht so personalisiert, eher kollektiv. Also ich glaub, da werden die Witze geboren, die man nicht orten kann, die man keiner Originalität zuordnen kann. Da sitzt man eben und redet, das ist vom Feinsten, das ist was ganz Wichtiges! Die Kneipe muß erhalten bleiben! Deshalb bin ich auch gegen jede Preiserhöhung dort und irgendwelche Steuerabgaben, die man aus irgendwelchen angeblich volksgesundheitlichen Gründen noch ankoppelt. Das darf nicht sein! Dem können wir uns nur anschließen und empfehlen Kapielskis beide Bücher als perfekt angepaßte Lektüre von einzigartiger Trinkfestigkeit zum gebührlichen Studium dortselbst. Prost!
dradio.de
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