Tuesday, June 06, 2006

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Handke und der Düsseldorfer Heine-Preis

Unüberwindbare Trennungslinie zwischen Politik und Kultur
Die Kontroverse um die Vergabe des Heine-Preises der Stadt Düsseldorf an Peter Handke geht unentwegt weiter. Politiker und Literaten stehen sich unversöhnlich gegenüber. Düsseldorf und der Heine-Preis haben dabei mehr Schaden genommen als der Schriftsteller.
Ko. Düsseldorf, 5. Juni
Mit unveränderter Spannung sehen die Stadt Düsseldorf, die Kulturszene wie die Politik einer Entscheidung entgegen, von der doch alle Beteiligten annehmen, dass sie längst getroffen ist. Der Kulturausschuss der Stadt hat zwar am Wochenende gemahnt, eine Gedenk- und Besinnungspause einzulegen, bevor der Stadtrat am 22. Juni endgültig über die Vergabe des Heinrich-Heine- Preises an den Schriftsteller und Dramatiker Peter Handke befinden wird. Doch schon jetzt scheint klar, dass eine breite Mehrheit von SPD, FDP und Grünen, der sich Stadtverordnete der CDU anschliessen werden, gegen die Vergabe des Preisgeldes von 50 000 Euro an Handke stimmen wird. Im 150. Todesjahr des Dichters wird der Heine-Preis, den einst Carl Zuckmayer, Walter Jens und Max Frisch erhielten, wohl nicht vergeben werden.
Provinzposse unter Parteifreunden
Zu viel Porzellan ist bereits zerschlagen worden, seit die Jury am 20. Mai den Preis Handke mit Zwei-Drittel-Mehrheit zuerkannte. Das Abstimmungsverhalten der Juroren blieb entgegen allen Regeln nicht geheim. Das Jurymitglied Christoph Stölzl, der ehemalige Berliner Kultursenator, ging auf Distanz; der Historiker Julius Schoeps liess wissen, dass er gegen Handke gestimmt hatte. Zu früh hatte Düsseldorfs Oberbürgermeister Joachim Erwin, der als Vorsitzender des Gremiums und einziger CDU-Politiker tapfer zu seiner Entscheidung steht, Handke telefonisch beglückwünscht. Im Stadtrat bildete sich eine Anti-Handke-Koalition. Auch die Landesregierung schaltete sich ein. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers wurde mit dem Satz zitiert, wer den Holocaust relativiere, sei nicht preiswürdig. Die unglücklichste Figur machte der Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff. Sogar der Landtag widmete ihm eine kurze Debatte. Denn Grosse-Brockhoff hätte in der Jury das Votum für Handke verhindern können. Statt dessen fand er für sein Fernbleiben merkwürdige Ausflüchte. Er hätte nicht im Traum daran gedacht, dass es für Handke eine Mehrheit geben würde, entschuldigte er sich. Seine Abwesenheit in der Jury habe mit der nachhaltig fehlenden Bereitschaft Oberbürgermeister Erwins zu tun, mit dem Land partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. Tatsache ist, dass Grosse-Brockhoff vor seinem Einzug in die Staatskanzlei Düsseldorfs Kulturdezernent war. Schon in dieser Zeit hatte er so manchen Strauss mit dem selbstbewussten und kulturell engagierten Oberbürgermeister ausgefochten.
Späte Rechtfertigung Handkes
Das scharfe Urteil der Kultur- und Literaturszene über die Düsseldorfer Vorgänge wurde durch die Kenntnis parteiinterner Animositäten nicht gemildert. Das Jury-Mitglied Schoeps verwahrte sich dagegen, dass Entscheidungen einer zur Preisvergabe berufenen Jury von politischen Instanzen gekippt werden. Die Düsseldorfer Stadtverordneten dürfte dies kaum begeistern. Eine neue Jury müssen sie sich nach dem Rückzug der Kritikerin Sigrid Löffler und des Literaturwissenschafters Jean-Pierre Lefèbvre von der Pariser Ecole Normale Supérieure ohnehin suchen. Niemand habe Handkes «bizarre Aktionen in Sachen Milosevic» nachvollziehen oder gar billigen wollen, schrieben die beiden Handke-Förderer zur Begründung. Seine dissidenten Ansichten zu den Balkankriegen rechtfertigten aber keinesfalls «die blindwütige Aggressivität», mit der hier ein Autor menschlich und politisch isoliert, mundtot gemacht und in seinem Werk beschädigt werde. Einer Jury, die nicht zu dem stehe, was sie beschlossen habe, wollten sie nicht mehr angehören.
Löfflers und Lefèbvres Meinung, dass die meisten Juroren unvorbereitet gewesen seien, deckt sich mit dem Vorwurf des Filmregisseurs Wim Wenders, dass, wer sich auf anonyme Quellen oder Gerüchte verlasse, Handke verteufeln müsse. Bekannt war, dass die Comédie-Française ein Handke-Stück abgesetzt hatte, nachdem der Schriftsteller den serbischen Diktator Milosevic im Gefängnis in den Haag besucht, an dessen Beerdigung teilgenommen und am Grab kurz geredet hatte. Mit seinen ambivalenten und missverständlichen Ausflügen in die Politik hat es der Kärntner Freund und Feind jedenfalls nicht leicht gemacht. Seine subtilen Korrekturen, die er in den letzten Tagen in Zeitungsartikeln vornahm, kamen zu spät, um Politiker davon zu überzeugen, dass seine Zuneigung dem serbischen Volk galt und keineswegs blutrünstigen Kriegsherren. Der entstandene Schaden ist kaum noch reparabel. Er wiegt für Düsseldorf und den Heine-Preis schwerer als für einen Autor, der seinen Platz in der Literaturgeschichte längst gefunden hat.
nzz.online

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