Wednesday, June 28, 2006

»Für die Toten des Luftkriegs ist Hitler verantwortlich«

Martin Rooney
Martin Rooney ist ein Onkel des englischen Fußballstars Wayne Rooney. Der britische Germanist und Philosoph lebt seit 1973 in Bremen. Er beschäftigt sich u.a. mit Manès Sperber und George Orwell und war 15 Jahre lang Vorsitzender der Armin T. Wegener-Gesellschaft. Mehrere Mitglieder der Familie Rooney waren im Zweiten Weltkrieg aktiv an der Niederschlagung Nazi-Deutschlands beteiligt. Der 57jährige Rooney bekam 2003 den Bremer Friedenspreis zugesprochen, der ihm jedoch zunächst wieder aberkannt wurde, weil er sich kritisch über die deutsche Friedensbewegung geäußert hatte. Mit ihm sprach Ivo Bozic.

Wenn Sie auf den Straßen das schwarzrotgoldene Fahnenmeer sehen und die Deutschen über ihr neues, unbeschwertes Verhältnis zur Nation reden hören, was denken Sie dabei?
Wenn ich Fußball gucke, schalte ich zu Spielbeginn den Fernseher ein, und während der Halbzeit und nach dem Abpfiff sofort aus, so dass ich das Drumherum gar nicht so mitbekomme. Ich will die Dummschwätzer nicht hören, die da spekulieren und sich wichtig tun. Über die Stimmung denke ich, dass wir einen saumäßigen Winter hinter uns haben, und viele Leute wollen einfach feiern bei diesem wunderschönen Wetter. Wie das insgesamt einzuschätzen ist, dazu muss man das Ende der WM abwarten. Es kann natürlich jederzeit irgendetwas passieren, was die Situation sehr schnell ändert.
Das WM-Motto ist »Die Welt zu Gast bei Freunden«. In England erinnert man sich noch gut daran, wie es war, als die Deutschen zuletzt dort »zu Gast« waren …
Die Deutschen waren nicht »zu Gast« in Großbritannien, dafür haben unsere Streitkräfte gesorgt. Die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus ist ständig präsent in den englischen Medien. Und man wird sich weiter mit der deutschen Vergangenheit beschäftigen, ob in England, Amerika oder Israel – egal, ob das gewissen Kreisen in Deutschland passt oder nicht.
Auch in Ihrer Familie spielt der Krieg eine große Rolle.
Anfang 1941 haben meine Mutter und meine Schwester nur um Haaresbreite den Angriff eines deutschen Tieffliegers überlebt. Ein Onkel von mir war bei den Desert Rats, also der 7th Armoured Division, die Hitlers Wehrmacht in El Alamein besiegt hat, und er ist dann bis nach Hamburg gekommen. Ein anderer Onkel zählte zu den ersten englischen Soldaten, die in der Normandie gelandet sind, er war Kundschafter und hat später das KZ Bergen-Belsen entdeckt. Und mein Vater hat die Lancaster-Bombe gebaut, die bekanntlich die deutschen Städte pulverisiert hat. Also ich weiß, was Krieg ist.
In letzter Zeit wurde in Deutschland vor allem der deutschen Opfer britischer Bomber gedacht.
Ich war vor etwa sechs Wochen in Dresden zufällig bei einem recht makaberen Spektakel. Einige Menschen, die 1945 sehr jung waren und die seitdem offensichtlich wenig gesehen, gehört und gar nichts kapiert haben, meinten, sie seien die ersten Opfer des Krieges. Ich habe sehr vehement Widerspruch angemeldet und mich damit nicht sehr beliebt gemacht. Ich habe darauf hingewiesen, dass der Bumerang, den Deutschland damals losgeworfen hatte, nur mit Vehemenz nach Deutschland zurückgekehrt war. Primär verantwortlich für alle Toten des Luftkrieges sind Hitler und seine Partei. Sie haben den Krieg angefangen mit der begeisterten Zustimmung der Deutschen – bis zur Selbstzerstörung.
Die britischen Fliegerbomben gelten in der deutschen Wahrnehmung als besonders heimtückisch und kriminell.
Ich frage immer, was ist der Unterschied, ob eine Stadt aus der Luft oder vom Boden aus zerstört wird? Die Engländer und Amerikaner haben 162 deutsche Städte zerstört. Hitlers Wehrmacht aber hat in der Sowjetunion 18 000 Städte dem Erdboden gleichgemacht. Dieses Verhältnis muss man doch sehen!
Glauben Sie, dass Deutschland aus seiner Vergangenheit gelernt hat und der Verantwortung gegenüber den Opfern der Nazi-Zeit gerecht wird?
Man hat zwar einiges an materieller Hilfe für Israel geleistet, aber ich erinnere an eine Umfrage aus dem Jahr 2003, da waren 65 Prozent der Deutschen der Meinung, Israel stelle die größte Gefahr für den Weltfrieden dar, 50 Prozent meinten, dass die Israelis mit den Palästinensern genauso umgingen wie die Nazis mit den Juden. Und 85 Prozent der Deutschen sind gegen weitere Waffenlieferungen an Israel. Diese Umfrage ist eine bestürzende Diagnose der Probleme in Deutschland 61 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz.
Ihnen wurde 2003 der Villa-Ichon-Friedenspreis verliehen.
Mir ist der Preis zuerkannt worden für mein über 30jähriges Engagement für die Aufarbeitung des Völkermords an den Armeniern. Ich bin Biograf Armin T.Wegeners, eines deutschen Pazifisten, der im Ersten Weltkrieg Sanitäter und Augenzeuge der Ausrottung der Armenier durch die Türken war. Er ging durch die Todeslager und machte heimlich Fotos. Diese Generalprobe für den Holocaust wurde jahrzehntelang in Deutschland tabuisiert, weil damals das Kaiserreich der militärische Bündnispartner der Türkei war.
Der Preis wurde Ihnen nicht ausgehändigt, und die Jury sagte die Feierlichkeiten ab. Was war passiert?
Ich bekam Ärger, nachdem ich eine Demonstration gegen den drohenden Irak-Krieg gesehen und in einem Leserbrief an die taz meinen Ärger darüber zum Ausdruck gebracht hatte, wie zwar gegen Bush und Amerika polemisiert, aber nirgendwo Saddam Hussein und seine eminent gefährliche Bedrohung für Israel thematisiert wurde. Bekanntlich hat der Mann 1991 Israel mit Raketen beschossen. Ich habe in meinem Leben noch nie so eine einseitige Friedensdemonstration gesehen wie diese. Keine Friedensbewegung ist so anti­amerikanisch, antiisraelisch und pro­palästinensisch wie die deutsche.
Ist das nicht ein weltweites Phänomen?
Sicher, es gibt eine weltweite Welle des Antiamerikanismus. Aber es gibt auch eine ganz besondere Problematik der deutschen Vergangenheit und der deutschen Schuld. In Deutschland hat während des Irak-Krieges auch die Regierung den Antiamerikanismus bedient. Und wo der Antiamerikanismus wütet, ist der Antisemitismus nicht weit weg.
Und wegen dieser Kritik hat man Ihnen den Preis aberkannt?
Der Publizist und Rechtsanwalt Heinrich Hannover, selber Friedenspreisträger der Villa Ichon, hat den Vorstand auf meinen Leserbrief hingewiesen und ihn aufgefordert, sich von der Auszeichnung zu distanzieren. Die Villa Ichon hat dann die Preisverleihung abgesagt, weil es bei den Preisträgern eine »Kontinuität des Engagements für den Frieden« geben müsse, was sie bei mir offenbar nicht mehr gegeben sah. Dabei hat der Verein wohl übersehen, dass Heinrich Hannover selber Mitglied der NSDAP und Soldat der Wehrmacht war und keinerlei Widerstandshandlungen vor dem 8.Mai 1945 vorzuweisen hat. Man hat mir dann einfach das Preisgeld aufs Konto überwiesen, und die Heinrich-Böll-Stiftung hat dankenswerterweise eine alternative Preisverleihung organisiert, wo Ralph Giordano dann seine fulminante Laudatio hielt.
Was halten Sie vom Auftritt des eng­lischen Teams bei der WM und dem Rummel um Ihren Neffen?
The Sun hat sechs Seiten über Wayne gebracht, als wenn es um den neuen Messias ginge. Sicher hängt viel von ihm ab, aber längst nicht alles. Ich bin von der Leistung der englischen Mannschaft ziemlich enttäuscht. Ich hätte von solchen namhaften Spielern wesentlich mehr erwartet. Aber leider hat Eriksson es nicht geschafft, ein System zu entwickeln, das die Stärken der Einzelspieler harmonisiert und daraus eine richtig schlagkräftige Truppe macht.
jungle-world

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