Thursday, June 15, 2006

Wettbewerb unter Emiren

Al-Qaida nach dem Tod Zarqawis
von jörn schulz

Zum Geschäft terroristischer Organisationen gehört auch das Marketing. Wer in der Konkurrenz um Rekruten und Sponsoren bestehen will, muss eine Marke kreieren und eine Identifikationsfigur aufbauen. Die al-Qaida-Führung war in dieser Hinsicht erfolgreich, das Logo der Organisation, das Porträt Ussama bin Ladens, fand auf T-Shirts und anderen Fanartikeln weite Verbreitung.
Wenn jedoch die Aktivitäten den Erwartungen der Kundschaft nicht mehr entsprechen, droht ein Imageverlust. Weitgehend isoliert im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet kann die al-Qaida-Führung keine eigenstän­digen Operationen mehr durchführen. Sie muss befürchten, dass andere aufstrebende Terroristen irgendwann selbst Anspruch auf die Führung des globalen Jihadismus erheben. Die Marketingabteilung stellte sich darauf ein. Sie präsentierte bin Laden nicht mehr im Kampfanzug mit Kalaschnikow, sondern in feines Tuch gekleidet, als einen Emir, einen Befehlshaber der Gläubigen, der mit sanftem Blick seinem Kollegen George W. Bush wohlmeinende Ratschläge erteilt.
Ob die jihadistische Szene ihn in dieser Rolle akzeptieren würde, blieb jedoch fraglich. Dass Abu Musab al-Zarqawi in einem Ende April ver­öffentlichten Video erstmals die Maske lüpfte und sich so als Identifikationsfigur präsentierte, dürfte von bin Laden als Affront gewertet worden sein. Im Herbst 2004 hatte Zarqawi öffentlich Ussama bin Laden als Emir anerkannt, der ihm im Gegenzug die Führung der »al-Qaida im Zweistromland« zusprach. Doch mit den Anschlägen in Jordanien im November des vergangenen Jahres stellte Zarqawi klar, dass er seine Tätigkeit nicht auf den Irak beschränken wollte; zudem verkündete er in seinem Video, er habe seine »Augen auf Jerusalem« gerichtet.
In diesem Video zeigte sich Zarqawi schwarz gekleidet mit einem leichten Maschinengewehr, einer deutlich größeren Waffe als der von bin Laden. In einer Art jihadistischem Schwanzvergleich wollte er offenbar belegen, dass er Anspruch auf eine größere street credi­bility erheben könne als sein saturierter Emir.
Doch selbst in Kreisen der al-Qaida geht es nicht nur um den body count. Zarqawis extreme Brutalität und der von ihm angeordnete antischiitische Terror stießen auf Widerspruch, allerdings eher aus taktischen denn aus huma­nitären Gründen. Die Ermordung schiitischer Zivilisten zur Hauptaktivität zu erklären, erschien vielen Jihadisten als unangemessen. Denn wer die US-Amerikaner aus dem Irak vertreiben will, kommt um ein taktisches Bünd­nis mit den Islamisten unter der schii­tischen Bevölkerungsmehrheit nicht herum. Ayman al-Zawahiri, der bedeutendste Ideo­loge der al-Qaida, hatte vergeblich versucht, Zarqawi diese simple strategische Überlegung zu vermitteln.
Die militärischen Erfolge der Taliban und al-Qaida-Kämpfer in Afghanistan haben das Ansehen der Führungsgruppe um bin Laden wieder gestärkt. Sie dürfte versuchen, wieder mehr Einfluss im Irak zu gewinnen, nachdem Zarqawis Karriere gewaltsam beendet wurde. Doch selbst wenn dessen verbliebene Anhänger das akzeptieren sollten, würde sich nicht allzu viel ändern. Bin Laden ist bereit, den Kampf gegen die Schiiten zu vertagen, er betrachtet sie jedoch ebenfalls als Häretiker, die es letztlich zu unterwerfen gilt. Und auch seine Augen sind auf Jerusalem gerichtet. Er teilt den Traum Zarqawis, die beiden wichtigs­ten Schauplätze des Jihad, den Irak und die palästinensischen Gebiete, durch die Beseitigung der jordanischen Monarchie zu einem Schlachtfeld zu verschmelzen.
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