Mit Maschinenpistolen und schusssicheren Westen stehen mehrere Polizisten rund um die Alte Synagoge in Essen, um das jüdische Gotteshaus vor möglichen antisemitischen Angriffen zu schützen. Die Beamten wirken angespannt. Erst in der vergangenen Nacht hatte es im Internet eine Drohung gegeben. "Auf Facebook wurde ein Anschlag für drei Uhr in der Nacht angekündigt", sagte ein Polizeisprecher. Zwei Stunden vor der angekündigten Zeit fuhr ein Wagen an der Synagoge vorbei, in dem vier Männer saßen. In Richtung Polizei sollen sie bei heruntergelassenem Fenster gerufen haben, dass man sich "später wiedersehe". Daraufhin wurden sie vorläufig festgenommen. Sie sollen laut Polizei allesamt einen Migrationshintergrund haben. Mittlerweile setzten die Ermittler sie wieder auf freien Fuß, die entsprechende Internetseite wurde gelöscht. Bereits vor einer Woche wurden in Essen 14 Verdächtige festgenommen, weil sie einen Anschlag auf die Synagoge geplant haben sollen. Ob zwischen beiden Fällen ein Zusammenhang besteht, konnte die Polizei noch nicht sagen. Wegen der angespannten Sicherheitslage wurden alle für gestern geplanten anti-israelischen Kundgebungen in der Stadt kurzfristig abgesagt.
Nicht nur in Essen, landesweit hat die Polizei wegen der aktuellen politischen Lage in Nahost und den dadurch ausgelösten anti-israelischen Demonstrationen die Sicherheitsmaßnahmen vor Synagogen und jüdischen Einrichtungen verstärkt. "Wir haben alle Polizeibehörden angewiesen, ihre Sicherheitsmaßnahmen entsprechend anzupassen", betont ein Sprecher des Innenministeriums. Die jüdischen Gemeinden in NRW sind dafür dankbar.
Dmitrij Yegudin, Vorsteher der jüdischen Gemeinde Duisburg, Oberhausen und Mülheim, hat darüber hinaus noch private Sicherheitsdienste für die Bewachung eingestellt. Er sorgt sich vor allem um die Kinder seiner Gemeinde. "In unserer Kindertagesstätte hat es Drohanrufe gegeben", sagt er. "Das macht uns allen große Angst." Die Staatsanwaltschaft sei bereits eingeschaltet. "Wir erwägen nun, auch die Kita von Sicherheitsleuten bewachen zu lassen."
Auch Sharon Fehr, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Münster, bereitet der plötzlich so massiv auftretende Judenhass große Sorge. "Wir werden teils von Passanten vor der Synagoge verbal attackiert", sagt er. Wenn ihm Mitglieder der Gemeinde davon berichten, muss er sie beruhigen. "Wir versuchen unsere zahlreichen Freunde und Wegbegleiter in Deutschland zu mobilisieren, der negativen Entwicklung entgegenzuwirken", betont er. "Damit wollen wir verhindern, dass wir Juden einen Anlass finden, Deutschland verlassen zu wollen."
Selbst Sportveranstaltungen sind betroffen von der verschärften Sicherheitslage. In Oberhausen beschützte die Polizei gestern Abend ein Jugendfußballspiel der israelischen Junioren-Mannschaft Maccabi Netany, das dort im Rahmen eines internationalen Turniers stattfand. Zudem war ein Freundschaftsspiel zwischen dem SC Paderborn und der israelischen Mannschaft Maccabi Haifa in Österreich gestern zunächst wegen Sicherheitsbedenken abgesagt worden. Erst nachdem man den Spielort in ein größeres Stadion verlegt hatte, gab das österreichische Innenministerium grünes Licht.Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen registrierte im vergangenen Jahr 29 Fälle von Sachbeschädigungen gegen jüdische Einrichtungen, 2012 waren es 23 gewesen. Darunter fallen eingeworfene Fensterscheiben und Schmierereien. Einen solchen Vorfall meldete in der Nacht zu gestern die jüdische Gemeinde in Wuppertal. Dort sprühte ein Unbekannter "Free Palestine" (Freiheit für Palästina) an die Synagoge.
"Unsere Überwachungskameras haben ihn aufgenommen, aber er war vermummt", berichtet Gemeindevorsitzender Leonid Goldberg. Anders als etwa in Duisburg musste die Polizei die Synagoge in Wuppertal in den vergangen zwölf Jahren nicht rund um die Uhr überwachen. Nach den jüngsten Vorkommnissen denkt Goldberg darüber nach, das wieder zu ändern. Auch wenn ihm das schwerfalle. Er stehe bereits mit der Polizei in Kontakt. "Wir fühlen uns momentan sehr schlecht", betont er. "Es fehlt nicht mehr viel, bis wir das Gefühl bekommen werden, es wäre besser, unsere Koffer zu packen."
Auch in der jüdischen Gemeinde in Mönchengladbach kam man in den vergangenen Jahren ohne durchgehende Polizeipräsenz vor der Synagoge aus. Man fühle sich sicher. "Wir brauchten sie nicht. Hier war immer alles sehr ruhig und friedlich", sagt Vorsteherin Leah Floh. Doch das wird sich wohl bald ändern. Den Sicherheitsdienst ließ Floh schon verstärken. Sie fürchtet besonders radikale Muslime. "Ich glaube, Deutschland wird ein massives Problem mit dem Islamismus bekommen", meint sie.
Floh sorgt sich besonders um jüngere Generationen und fragt sich, ob Deutschland weiterhin so offen und tolerant Juden empfangen werde? "Gut fühlen wir uns nicht. Vor allem, weil es den Juden in Israel nicht gutgeht. Man kann Israel sicherlich auch kritisieren, aber bitte sachlich."
rp-online
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