Saturday, March 18, 2006

Die deutschen Schweinemedien - auch ein Nachtrag zum Tode Slobodan Milosevics

Stefan Frank
Militante Extremisten

Nicht leicht fiel Journalisten die Berichterstattung über die Geiselnahme in Beslan. Daß die Geiseln in der Schule zum großen Teil Kinder waren, konnte natürlich nur als "Glücksfall" (ZDF) betrachtet werden, "weil Präsident Putin da wohl nicht so schnell wird stürmen lassen"; unklar aber war vielen Reportern, warum sie jene Tschetschenen, die bislang immer als "Rebellen" oder "Freiheitskämpfer" firmierten, plötzlich "Terroristen" nennen sollen. Hier ist ein kleiner Leitfaden:

Al-Qaida-Kämpfer: Al-Qaida-Mitglied, das in Afghanistan Leute (Amerikaner) umbringt oder in Guantanamo inhaftiert ist

Al-Qaida-Terrorist: Al-Qaida-Mitglied, das außerhalb Afghanistans Leute umbringt (nicht immer Amerikaner)
Angst vor Terror (kurz: Terrorangst): ist schuld an den hohen Benzinpreisen

Aufständische (irakische): bringen im Irak Amerikaner um. Manchmal köpfen sie auch Vertragsarbeiter und Journalisten und halten das auf Video fest

Befreiungsarmee: UCK (Kosovo und so)

Extremisten (palästinensische): werden immer wieder Opfer israelischer Raketenangriffe (was im Leitartikel zu verurteilen ist, z.B. wegen der Gewaltspirale); wird auch benutzt, wenn man gerade keine Ahnung hat, wer hinter einem Anschlag steckt. Dann kann man auch von militanten Palästinensern sprechen.

Fatah: immer im folgenden Wortlaut: "Fatah-Organisation von Präsident Arafat". Unter den Organisationen, die zu internationalen Konferenzen oder bilateralen Treffen eingeladen werden, sind nicht sehr viele, in deren Emblem Maschinengewehre und Handgranaten abgebildet sind

Freischärler (mutmaßliche): leben mutmaßlich im Irak und verüben Angriffe auf amerikanische Besatzungstruppen ("Tageschau")

Freischärler (palästinensische): beschießen, laut "Tagesschau", gern israelische Städte mit Raketen

Hamas: militante Palästinenserorganisation; ihre Mitglieder sind palästinensische Kämpfer oder auch: die Militanten. Beispiel: Nachdem die H. kürzlich vom Gaza-Streifen aus einen erfolgreichen Raketenangriff auf einen vierjährigen Jungen durchgeführt hatte, feierten, wie die "Frankfurter Rundschau" bemerkte, "tausende Palästinenser den Erfolg der Militanten"

Hisbollah: eine pro-iranische Miliz. Man darf sie auch, wie die Hamas, als radikal-islamisch bezeichnen (nicht aber als islamistisch)

Islamisten: bedrohen die deutsche Sicherheit, weswegen Schily eine I.-Kartei anlegt. Im Nahen Osten mag es ->radikale Prediger, religiöse Eiferer oder radikale Schiiten geben, aber so gut wie keine I. Handelt es sich um den Iran, wird der unverfängliche Terminus Mullah benutzt

Kollaborateur: legitimes Ziel militanter Palästinenser: "Im Flüchtlingslager al-Amari im Westjordanland töteten militante Palästinenser vor zahlreichen Zuschauern einen mutmaßlichen Kollaborateur. Augenzeugen berichteten, der Mann sei vor einer Moschee mit Kugeln regelrecht durchlöchert worden" ("Taz", 29.8.). Im "Spiegel" werden K. auch Verräter genannt

Prediger (radikale): Radikale Prediger (nicht zu verwechseln mit Haßpredigern) bauen sich im Irak ->Widerstandsnester. Von den "Stellungen des Predigers Sadr" aus wurden die amerikanischen Besatzer wochenlang mit Suren bombardiert

Radikale Al-Aqsa-Brigaden: Statt des offiziellen Namens "Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden" gebräuchliche Wendung. Ihr heimlicher Anführer ist Yassir Arafat, der als gemäßigt gilt

Die Radikalen auf beiden Seiten: Formulierung, die in keinem Leitartikel zum Nahostproblem fehlen sollte. Gemeint sind auf der palästinensischen Seite die ->radikalen Al-Aqsa-Brigaden, auf israelischer die Likud-Partei (wer in Israel radikaler ist als Likud, heißt ultrarechts oder ultra-orthodox - Anmerkung: Unter den Palästinensern gibt es weder Rechte noch Ultrarechte, sondern nur Radikale; die Frage, in welcher Hinsicht sie radikal sind, braucht uns nicht zu interessieren)

Rebellen (tschetschenische): Tschet. R. richten gerne mal "ein Blutbad" an ("Tagesschau"), drohen, die Premiere eines Moskauer Musicals platzen zu lassen oder stören den Schulunterricht

Separatisten: gibt es im Baskenland und auf Korsika. In Tschetschenien werden S. ->Rebellen genannt, auf dem Balkan Unabhängigkeitskämpfer

Terror-Experte: Rolf Tophoven. Rät von Panik und Hysterie ab, warnt aber davor, Al-Qaida zu unterschätzen

Terroristen: RAF. Hinweise nimmt jede Polizeidienststelle entgegen

Terroristen (albanische): Ein serbischer Bürgermeister wollte vor einigen Jahren im Presevo-Tal welche gesehen haben, mußte sich aber von ZDF-Korrespondent Klaus Brodbeck belehren lassen, daß es sich bei der Rede von "alb. T." um Propaganda der Milosevic-Ära handelt

Terroristen (palästinensische): Palästinenser, die sich nicht auf Judenmord beschränken (->Freischärler), sondern deutsches Eigentum beschädigen, wie z.B. 1972 in München oder bei der Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" 1977. In diesen beiden Fällen ist es nicht nur erlaubt, von palästinensischen Terroristen zu sprechen, sondern gefordert. Historische Tatsache: Seit 1977 gibt es keinen palästinensischen Terrorismus mehr

Terror-Netzwerk: Ein Netzwerk ist ein System, in dem mehrere Stationen (Computer und Terminals) gemeinsam auf Datenbestände zugreifen, Daten austauschen und Geräte (z.B. den Drucker) gemeinsam benutzen. Werden statt Daten Bomben ausgetauscht, spricht man von einem Terror-Netzwerk

Top-Terrorist: Terrorist mit einem Marktwert von mehr als fünf Millionen Dollar

Untergrundorganisation: ETA (baskische U.), IRA (nordirische U.)

Widerstandskämpfer: Wehrmachtsoffiziere, die 1944 einen Bombenanschlag auf Hitler unternahmen. Heute gibt es W. nur noch im Irak, wo sie den Hitler Bush bekämpfen und alles in allem für eine "explosive Situation" ("heute") sorgen. Ganz schön hipp, die "irakische Widerstandsszene" (NDR)

Widerstandsnest: Wohnung eines Widerstandskämpfers

Dies ist, wie gesagt, ein Leitfaden; natürlich benötigen Journalisten auch Fingerspitzengefühl. Überschreiten z.B. irakische Aufständische bei ihren Bombenanschlägen und Hinrichtungen das Maß, das deutsche Reporter für gerechtfertigt halten, sind gar Europäer unter den Opfern, dann spricht man von Extremisten. Verüben tschetschenische Rebellen einen Anschlag außerhalb Tschetscheniens, der in Deutschland nicht auf Sympathie stößt (z.B. weil auch Kinder ums Leben kommen), mutieren sie, wie kürzlich in Beslan, zu Terroristen. Innerhalb Tschetscheniens sind es aber in jedem Fall Rebellen bzw. Freiheitskämpfer. Dort schießen sie ja auch nur auf Lastwagen, Hubschrauber und auf 8.-Mai-Feiern (die deutschen Medien sprechen aus gutem Grund nur von "Feiern" oder "Paraden").
Die Hamas wird neuerdings mancherorts als "radikal-islamisch" bezeichnet oder sogar als "radikal-islamistisch". Eine schöne Formulierung, spielt sie doch auf die Möglichkeit an, daß es auch gemäßigte Islamisten geben könne. Wie wichtig eine genaue Sprache ist, verdeutlicht folgender Bericht über einen Vorfall im Gazastreifen, der der "Neuen Zürcher Zeitung" entnommen ist: "Ein israelischer Militärsprecher charakterisierte den gepanzerten Vorstoß ... mit dem neutralen Begriff der ›Operation‹, während er die Freischärler, die in ihrer eigenen Stadt auf eingedrungene fremde Truppen schossen, dafür ›Terroristen‹ nannte." Unglaublich. Dabei hatten die Freischärler, wie die "NZZ" versichert, zuvor bloß "sporadisch mit primitiven Raketen und Minenwerfern ziel- und wirkungslos auf israelische Dörfer jenseits des Gazastreifens" geschossen. Wenn das schon Terrorismus ist!
konkret,10,2004

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