Profiteure des Antisemitismus von tjark kunstreich
»Ilan wäre nicht getötet worden, wenn er kein Jude wäre, sie haben ihn von Anfang an verurteilt«, wird Ruth Halimi, die Mutter des Opfers zitiert. Die Entführer hätten ihr geraten, sie solle in den Synagogen betteln gehen, als sie die geforderten 450 000 Euro Lösegeld nicht zusammenbekam. Zu diesem Zeitpunkt war Ilan Halimi schon tagelang gefoltert und gequält worden.
Ein Ritualmord – eine Tat, in der Antisemiten vollstrecken, was sie zur Rechtfertigung ihres mörderischen Hasses den Juden unterstellen. Deshalb ist die Debatte, welche Rolle die antisemitische Motivation der Täter spielte, absurd. Die Täter sind sich ihres Antisemitismus womöglich nicht bewusst, dennoch sind sie antisemitische Mörder. Vielleicht ging es ihnen wirklich in erster Linie um das Geld, und die Qualen Ilan Halimis waren willkommene Dreingabe, dennoch sind sie der Beweis für den Antisemitismus. In der Tat vermittelte sich jene Mischung von Habgier und Vernichtungswillen, die schon den deutschen Judenmord auszeichnete. Den antisemitischen Gehalt eines Hassverbrechens gegen einen Juden an der Motivation der Täter nachweisen zu wollen, hat schon im Prozess gegen Adolf Eichmann die Anklage vor ein unlösbares Problem gestellt.
Der Umstand, dass der Antisemitismus einer solchen Tat in ihr selbst begründet liegt und nicht in der Subjektivität ihres Vollstreckers, eignet sich zugleich zur Entlastung der Täter und zur Verharmlosung des Antisemitismus. »Die Gangster waren gierig nach Geld – und sie waren der Überzeugung, dass ›Juden Geld haben‹, und dass, selbst wenn die Opfer selbst kein Geld hätten, die Familie und die jüdische Gemeinschaft zusammenhalten würden. Das nennt sich Antisemitismus durch Amalgambildung«, brachte Frankreichs Innenminister Nicolas Sarkozy durchaus treffend auf den Punkt, was die Täter bewegt haben dürfte. Aber deren Antisemitismus wird dergestalt zu ihrem persönlichen Problem, die gesellschaftlichen Zusammenhänge bleiben undurchsichtig.
Dass Ilan Halimi nicht reich war, dass die jüdische Gemeinde von Bagneux ebenfalls nicht sonderlich wohlhabend ist, war den Tätern bekannt. Das verlogene Erstaunen darüber, dass Kinder christlicher, weißer und afrikanischer Eltern auch zur Gang gehörten, verleugnet die kulturelle Hegemonie des islamischen Antisemitismus in diesen Gegenden Frankreichs. Alle anderen möglichen Opfer hätten mit der Solidarität der Community rechnen können, zu der die Täter ebenfalls gehören. Sie kaprizierten sich auf Juden (oder Leute, die sie für Juden hielten), weil diese schon nicht mehr dazugehören, und sind in diesem Sinne ganz normale Profiteure des Antisemitismus, dem sie gerade in ihrer Intentionslosigkeit eine neue Qualität verliehen haben.
War die Voraussetzung für die Planung und Durchführung der Tat der antisemitische Alltag in den Vorstädten, der überhaupt erst die Frage, ob jemand Jude ist (oder dafür gehalten wird), relevant werden lässt, so ist ihr Resultat der Übergang von der Ausgrenzung zur offenen Markierung der Juden als Opfer. Der »Antisemitismus als Amalgambildung« ist eben nicht die merkwürdige Vermischung von Vorurteilen – das Amalgam ist die Islamisierung der Vorstädte. Der Mord an Ilan Halimi ist mehr noch als die Riots im vergangenen Jahr Symptom einer politischen Krise, auf die Frankreich sich zubewegt.
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