Saturday, March 11, 2006

Zum Tode Slobodan Milosevics

Slobodan Milosevic

Christian Y. Schmidt
Del Pontes freie Mitarbeiter

Die Verhandlung gegen Milosevic vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag geht nicht so voran, wie es sich die deutschen Medien erhofft haben. Weil das Belastungsmaterial der Anklage sich als dürftig erweist, zeigen die Gerichtsreporter besonderen Einsatz, damit aus dem Vor-Urteil ein ordentliches Urteil werden kann
Als Slobodan Milosevic Mitte Februar das erste Mal Gelegenheit hatte, vor dem Haager Tribunal zur Anklage Stellung zu nehmen, war es tags drauf der »Frankfurter Rundschau« vorbehalten, noch einmal die alte Platte aufzulegen. »Milosevic hat unmißverständlich klar gemacht, dass seiner Ansicht nach die Nato und ihre Befehlshaber seinen Platz auf der Anklagebank einnehmen müssten. Ganz nach dem Motto ›Angriff ist die beste Verteidigung‹ dreht er den Spieß um. Die Taktik mag zwar im Sport zum Erfolg führen, ist jedoch im Gerichtssaal zum Scheitern verurteilt... Die Anklage wird den Zeugen mit harten Fakten und Zeugen konfrontieren.«
Doch viel zu eloquent, mit viel zu vielen guten Argumenten hatte sich Milosevic verteidigt - und vor allem, viel zu viele hatten dabei zugesehen -, als daß die deutsche Presse in diesem Fall bei dieser simplen Darstellung hätte bleiben können. Die »Süddeutsche Zeitung« sah einen »starken Auftritt des einstmals starken Mannes« und die »Berliner Zeitung« berichtete, wie der Angeklagte »das anscheinend überforderte Team der Chefanklägerin Carla Del Ponte und ihre Zeugen in Bedrängnis bringt«. Selbst die »Taz« mußte einräumen, der Angeklagte habe sich »geschickt« verteidigt, und prophezeite, »das wird den Richtern noch Kopfzerbrechen bereiten.« Ähnlich die BBC, deren Urteil die »Neue Zürcher Zeitung« zusammenfaßte: Die Chefanklägerin »baue auf die Wirkung des Schocks – Milosevic als Urheber mittelalterlicher Brutalität –, anstatt ihn mit konkreten Beweisen als berechnenden Mörder zu überführen.« Und weil die Meute diesmal nicht sofort und eindeutig in die erwartete Richtung lief, sah sich auch die »Frankfurter Rundschau« gezwungen, ihr voreilig gefälltes Urteil zu korrigieren. Ein paar Tage nach dem ersten Bericht hieß es nunmehr aus Den Haag: »Bis jetzt ist noch kaum klar geworden, wie die Anklage ihre Version der Ereignisse beweisen will.« Ja, wie?
Das hatten sich all die, die Milosevic schon längst im Sinne der Anklage für schuldig halten und ihn deshalb wie selbstverständlich einen »Kriegsverbrecher« nennen, dann doch anders vorgestellt. Auch Zoran Djindjic hatte sich von Carla Del Ponte mehr versprochen. »Das Tribunal«, erklärte der serbische Premierminister dem »Spiegel«, »ermöglicht Milosevic, seine Demagogie auszuspielen und den Prozeß zu führen. Ich bin sprachlos, wieviel Geld verpulvert wurde, damit dieses Gericht nach fünf Jahren mit solch belanglosen Zeugen aufwartet. Dieser Zirkus bringt mich und meine Reformregierung gewaltig ins Dilemma ... Wie soll ich weiter die bedingungslose Integration in Europa als Grundidee unserer Politik predigen?« Wie bloß, wie?
Nach dem allerersten Schock versuchten die Medien jedenfalls wieder ihr Bestes, um Djindjic bzw. den eigenen Regierungen mit ihren bescheidenen Mitteln unter die Arme zu greifen. Da sie aber die Argumente Milosevics nicht widerlegen können, mußten sie sich anders behelfen. Zum Beispiel mit Zensur. Der Fernsehsender Phoenix verzichtete am ersten Tag der Übertragung aus dem Haager Gerichtssaal auf die Übersetzung der Rede Milosevic; am nächsten Tag fiel die für den Nachmittag angekündigte Liveübertragung ohne Angaben von Gründen aus. CNN übertrug die Fotos einfach nicht, mit denen Milosevic die schrecklichen Folgen der Nato-Luftangriffe belegte. Und nach einer Verhandlungswoche sendeten die Nachrichtensender dann selbst keine Zusammenfassungen vom Prozeßtag mehr.
Wo man aber mit Zensurmaßnahmen nicht weiterkam, da verlegte man sich aufs Leugnen. Die Tatsache zum Beispiel, daß der Angeklagte gleich am ersten Tag im Gerichtssaal den WDR-Fernsehbeitrag »Es begann mit einer Lüge« als Beweismittel vorgelegt und -geführt hatte, war allenthalben gemeldet worden und ließ sich nicht mehr aus der Welt schaffen. Zur Erinnerung: In diesem Beitrag widerlegen die Autoren u.a. schlüssig die Behauptung, es habe im Januar 1999 nahe dem Kosovodorf Racak ein Massaker serbischer Polizeieinheiten an albanischen Zivilisten gegeben. Die Anklage aber legt Milosevic u.a. dieses »Massaker« genauso zur Last, wie es der deutschen Bundesregierung als Begründung für den Bombenkrieg gegen Jugoslawien diente. Wie aber kann man ein solches Beweisstück widerlegen?
Christoph von Marschall vom Berliner »Tagesspiegel« machte es vor: »Die Behauptung, dass Racak entscheidend für den Kosovo-Krieg war, ist eine unzulässige Verkürzung. Die Nato hat sich nicht auf Racak als Rechtfertigung berufen. Für die Bundesregierung war Racak nur ein Hilfsargument unter vielen. Es waren Medien, die die emotionale Wirkung eines (mutmaßlichen) Massakers erkannten und den Kriegsgrund häufig auf Racak verkürzten.« Daß Joschka Fischer in der »Zeit« erklärte, für ihn sei Racak »der Wendepunkt« gewesen, daß Ludger Volmer schrieb, »das Massaker von Raccak ... erforderte eine deutliche Reaktion des Westens«, daß William Walker im April 2000 der »Berliner Zeitung« sagte: »Natürlich war die Episode in Racak entscheidend für die Bombardierungen« – alles egal. Es begann mit einer Lüge? Aber ja! Nur geht es auch immer so weiter. Und so macht man das zum Beispiel, genau so.
Die offensichtliche Lüge war allerdings nicht das beliebteste Mittel der Haager Berichterstatter, um die Aussagen Milosevics zu diskreditieren; schließlich muß man beim Lügen zunächst einmal das Ausgangsargument des Angeklagten referieren und kann zudem leicht widerlegt werden. Verbreiteter war deswegen die tendenziöse Charakterisierung des Angeklagten bzw. die Interpretation seines Auftritts vor dem Tribunal. So entstand vor dem geistigen Auge der Zeitungsleser wieder einmal »der eitle Milosevic« (»Taz«), »der große Manipulator« (»SZ«), eine »Persönlichkeit mit geteilter Wahrnehmung« (»FR«), der laufend eine »neue Tirade« (»SZ«) absondert, für die ihm der »Grand Prix für Demagogie« (»SZ«) gebührt. Oder kurz: Ein geifernder Irrer.
Eine, die sich auf eine solche Form der Diagnostik besonders gut versteht, ist die »Tagesspiegel«- und »Taz«-Autorin Caroline Fetscher. Zwar mußte auch sie einräumen: »Der Angeklagte, der auf Rechtsbeistand verzichtet und sein eigener Strafverteidiger ist, macht seine Sache gut, besser als erwartet, professionell, skrupellos, detailfreudig und hart. Exzellent vorbereitet ist er auf die Zeugen...«, doch dann, in einem Artikel für die »Taz«, ist der Geisteskranke wieder da: »In seinem Assoziationsfluss mäandert Slobodan Milosevic von einem Szenario zum nächsten, Paranoia und Tatsachen zu einem populistischen Gebräu mischend.« Doch wie macht man eine solche Aussage plausibel? Wie?
Frau Fetscher machte es so: »Thema Verschiebung: Auf seine Weise ist dem Angeklagten klar, dass es eine Orgie der Zerstörung gegeben hat, und er führt Fotos zum Thema vor, serienweise: Die von der Nato getroffenen Dörfer Surdulica und Jablanica, die Altstadt von Prizren, bombardiert Ende April 1999, ein weiterer kleiner Ort bei Prizren, überall Ziegelschutt und zerborstene Mauern, verkohlte Dächer, eingestürzte Minarette, Tote unter Trümmern. Der Kommentar des Angeklagten: ›Das sieht so aus, als hätte hier nur jemand ausprobiert, wie im Spiel, wie viel er eigentlich kaputt machen kann.‹ Erstaunlich, diese Assoziation, hier sei ein infantiler verantwortungsloser Berserker am Werk gewesen. Wie kommt sie zustande? Eine Antwort bietet sich an: Milosevic spricht von sich.«
So geht das eben auch. Wenn Milosevic stichhaltige Beweise für die Verbrechen der Nato vorlegt, dann ist das ein Eingeständnis seiner Schuld, weil ...? Weil der Irre eben irre ist. So einfach. Die Nato aber, das weiß Caroline Fetscher ebenso präzise, kann gar nicht schuldig sein: »Daß deren ... Fahrlässigkeiten und Fehler juristisch keine Kriegsverbrechen darstellen, da ihnen die dazu erforderliche Intention fehlte, unterschlägt Milosevic.«
Stellt sich abschließend bloß die Frage: Wie geht das grundsätzlich? Wie kann man all diese Sätze mit solcher Inbrunst niederschreiben, wie solche Vorverurteilungen in die Welt setzen, die jeder seriösen Gerichtsberichterstattung Hohn sprechen? Wie ist es möglich, die Vielzahl der präsentierten Beweise zu ignorieren oder sie schlicht in ihr Gegenteil zu verkehren? Eine Erklärung: Es ist die reine Panik, die die Fetschers und Co. antreibt.
Diese Panik ist zwar nicht begründet, doch der Reihe nach. Wie die meisten Den Haager Gerichtsreporter so berichtet auch Caroline Fetscher bereits seit Jahren aus dem und über das ehemalige Jugoslawien. In dieser Zeit hat sie einiges zusammengeschrieben. Besonders interessant aber ist ein »Tagesspiegel«-Artikel vom April 1999, in dem sie – während gegen Jugoslawien Krieg geführt wird - die Begegnung mit zwei hochrangigen UCK-Führern in Tirana schildert. Teilweise liest sich der Text wie eine Parodie, er ist aber keine: »Nicht nur äußerlich erwecken die Herren einen zivilen Eindruck. Ihre politischen Ausführungen haben sie wohl durchdacht. ›Wir wollen ein Teil des Westens werden, wir wollen Demokratie‹, sagt Reka mit Emphase. ›Darum waren wir für den Rambouillet-Vertrag, nicht, weil wir Nationalisten sind.‹ Jedes Wort, das Reka sagt, sitzt... Wie das Zusammenleben mit den heute feindlichen, unversöhnten Nachbarn aussehen soll, darüber machen sich diese Kosovo-Albaner ebenfalls ihre Gedanken. ›Leider sind die Serben Nationalisten, ihnen geht es nicht um westliche Werte.‹ Mit einem demokratischen Nachbarn wünschen sie zusammenzuleben... Auch wo ›Arkans‹ Leute gewütet haben, soll es weder Lynchjustiz noch Rache geben. ›Das ist gegen unseren Ehren-Kodex und unsere Überzeugung.‹« Als die beiden Herren schließlich gehen wollen, schlägt die Sympathie, die Fetscher ihnen entgegenbringt, vollends in Bewunderung um: »Sie erheben sich vom Tisch und verabschieden sich mit festem Händedruck. Da wirken sie, als wollten sie dem ganzen Leid und der Traurigkeit ihrer traumatisierten Landsleute etwas zum Trost und zur Hoffnung geben: ihre Haltung. Dann gehen sie raus auf die Straßen Tiranas, wo die Wagen vorüberbrausen, in denen junge Männer sitzen, die zum Kämpfen fahren.«
Ein gutes Jahr später, im Juni 2000, ist Frau Fetscher dann wieder in der Region, diesmal in Pristina, mitten im »befreiten« Kosovo. Und so sieht das friedliche Zusammenleben zwischen Serben und Albanern in der serbischen Provinz inzwischen aus: »Nirgends finden Kosovo-Albaner den Freiraum, auch nur einen serbischen Freund anzurufen. Kein Serbe sitzt an Bernard Kouchners Rundem Tisch. Ein Radiodirektor berichtet von Einschüchterungen durch die harte UCK-Fraktion, die sich ihrer versöhnlichen Vertreter entledigt hat. Sie bildet nun heimlich eine zweite Schicht der Macht, unter, neben und hinter der internationalen, die dies zähneknirschend duldet. Zwar hat Kouchner letzte Woche die Zeitung »Dita« vorübergehend verbieten lassen, nachdem sie einen Serben in der UN-Verwaltung Attentätern ausgeliefert hatte. »Dita« hatte die persönlichen Daten des Mannes so prominent publik gemacht, dass er ermordet wurde.«
Das haben also die zivilen Herren mit dem festen Händedruck aus dem Kosovo gemacht. Es ist genau das, was die prophezeit hatten, die die UCK von Anfang an als die völkische Bande bezeichneten, als die sie sich für Fetscher erst entpuppte. Zu diesen Leuten gehörte auch Slobodan Milosevic. Immerhin muß man Caroline Fetscher zugestehen, daß sie in ihrem Artikel vom Juni 2000 die Situation beschreibt, wie sie ist, und nicht beschönigt. Was aber wäre, wenn nun auch noch das, was Milosevic in Den Haag vorträgt, stimmen sollte – und sei es nur zum Teil? Frau Fetscher müßte sich dann endgültig eingestehen, in einem Krieg für eine Seite Partei ergriffen zu haben, die von Anfang an verbrecherisch war. Und so geht es nicht nur ihr. Es gibt viele Fetschers.
Deshalb die Panik. Deshalb die Angst, die Anklage könne womöglich die Schuld Milosevics doch nicht beweisen. Deshalb die unglaublichen Konstruktionen, mit denen Frau Fetscher wenigstens ihrer Leserschaft plausibel machen will, daß Milosevic auf jeden Fall schuldig ist. Deshalb Überschriften wie »Mißbrauch der Redefreiheit« oder »Der Milosevic-Spuk geht weiter« über Fetscher-Artikeln im »Tagesspiegel«, wenn es Milosevic gelingt, schlecht vorbereitete (oder lügende?) Zeugen in die Bredouille zu bringen. Und dann auch noch ein entlarvender Satz wie dieser: »So sehr Gericht und Publikum auf seiner Seite stehen mögen, es wäre nötig gewesen, die Aussagen des Zeugen mit einigen Beweisen zu untermauern«.
Ob es nun ungeschickt formuliert ist oder besonders engagiert gedacht - im Ergebnis hat Caroline Fetscher mit diesem Satz, der das Gericht zur Prozeßpartei auf der Seite der Anklage macht, recht. Deshalb ist ihre Panik auch unbegründet. Da braucht sie nun wirklich nicht die Ankläger zu fragen: »Kann es sein, dass sie den Angeklagten für so gut wie verurteilt halten?« Keine Sorge, Frau Fetcher: Er ist es bereits. Ganz sicher. Sie wissen doch, wie’s geht.

Christian Y. Schmidt schrieb in KONKRET 3/02 über die Macht des Springerkonzerns
KONKRET,4,2002

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