von Gerrit Liskow
Es ist einigermaße
n ironisch, dass die moderne Demokratie
ausgerechnet in ihrem Geburtsland beerdigt werden soll. In ihrem
Geburtsland, denn im Gegensatz zu Griechenland kann England mit Fug und
Recht behaupten, die Wiege der Demokratie zu sein (Magna Carta, Bill of
Rights, Verbot der Sklaverei, Frauenwahlrecht). Denn nur, weil ab und
zu, bei besonders passender oder unpassender Gelegenheit, mal abgestimmt
wird, ist eine Gesellschaft noch lange nicht demokratisch, liebe
BasisdemokratInnen von den Grünen; und noch lange nicht zivilisiert.
Nun ist es so, dass von den einstigen demokratischen Errungenschaften
auf den Britischen Inseln in den letzten beiden Generationen nicht mehr
viel übrig geblieben ist. Dank der Brüsseler Beamtendiktatur werden die wirklich wichtigen Entscheidungen
längst im Ministerrat „abgestimmt“ und dann von einem
„Europa“-Parlament abgenickt. Dieses „Parlament“, das nichts zu sagen
hat, mit der Krull-Oper zu vergleichen, stellt indes eine gegenseitige
Verharmlosung dar; die Krull-Oper wirkte wenigstens nicht über die
Grenze des historischen Deutschen Reiches hinaus.
Ein „Europa-Parlament“, dessen Mitgliederliste sich über weite,
osteuropäische Strecken wie das Who-is-who der ZKs und Politbüros
vergangener Tage liest und dem mit Martin Schulz vom Gewerkschaftsflügel
der SPD angemessen vorgesessen wird. Manchmal könnte es einem
tatsächlich so vorkommen, als wäre die entwickelte Form des Faschismus
eben doch die Sozialdemokratie, aber ich schweife ab. Oder vielleicht
greife ich auch vor – wer weiß, liebe Leserinnen und Leser.
Aber nicht allein die ihr durch den EU-Einheitsstaat vorgesetzten
Behörden brachten und bringen die einstige Mutter aller Parlamente mit
Sitz im Palast zu Westminster in eine existenzielle Krise. Ihre recht
ehrenwerten Mitglieder arbeiten selbst fleißig an ihrer
Verüberflüssigung: per Devolution, also per Abtreten immer weiter
gehender Rechte der Zentralregierung mit Sitz in Downing Street an
Regionalparlamente, die ihre Steuer- und Sozialpolitik gerne selbst
gestalten und dazu in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer freiere
Hand erhalten haben.
Das Devolutions-Spiel wurde letztes Jahr nördlich von Hadrians Wall,
in Schottland, bis zu dem Punkt getrieben, an dem die Tartan-Zone fast
einen Strich durch jene Union gemacht hätte, die dem United Kingdom
einst seinen Namen gab, als James VI von Schottland 1603 zu James I von
Großbritannien wurde. (Wir haben das selbstverständlich im
Geschichtsunterricht gelernt dank unserer Qualitätspädagogen von der
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften, nicht wahr, liebe Leserinnen
und Leser?) Schließlich musste sich sogar HM The Queen zur Sache äußern
und etwas höchst Diplomatisches, vor allem aber völlig Unpolitisches,
über das drohende Ende der Union zu Gehör bringen; die royale
Sprachregelung war (glaube ich), dass sie persönlich Großbritannien dann
aber doch ein wenig trist fände, ohne die Schotten und ihre flimmerigen
bunten Röcke.
Wenn man nun noch in Betracht zieht, dass mehr als die Hälfte aller britischen Wahlkreise
so „sicher“, also im Wahlergebnis vorhersehbar ist, dass sich in ihnen
kaum noch die Wahlforschung lohnt, muss man sich fragen: Warum überhaupt
wählen gehen?
Nun ist es so, dass in Großbritannien im Gegensatz zu Deutschland
niemand Angst vor der nächsten Euro-Pleite haben muss. Das vor allem,
weil man dort gegenüber jenen Risiken, die die Einheitswährung auf dem
Kontinent der Alternativlosigkeit darstellt, relativ gut immunisiert
ist: durch etwas, das sich das Britische Pfund Sterling nennt, liebe
Kinder. Ebenfalls ist das Vereinigte Königreich dadurch vor den sich aus
wirtschaftlichen Problemen regelhaft ergebenden sozialen Konflikten
geschützt, wie sie im Krisenregionen wir „Europa“ nicht die Ausnahme,
sondern die Regel sind (Extremismus usw.). Und wenn alles nichts hilft,
wird eben der Kanaltunnel dicht gemacht.
Zudem läuft die Wirtschaft im UK. Zwar auf einem Berg von
Staatsschulden, gegen den sich der Mount Everest wie ein Fliegenschiss
ausnimmt, aber: Sie läuft. Und das nicht nur mehr schlecht als recht,
wie in Frankreich oder Germany, sondern sie läuft von allen in den G7
enthaltenen entwickelten Industriestaaten am zweitbesten;
mit Wachstumszahlen, die sich der Wirtschaftsflügel der deutschen
Sozialdemokratie nicht mal mehr im Traum vorstellen kann (oder darf).
Ferner findet dieses Wirtschaftswachstum nicht bloß auf dem Papier
der Amtsstuben statt, sondern es macht sich zunehmend auch im
Portemonnaie der Durchschnittsverdiener bemerkbar; durch
Steuerentlastungen und sinkende Konsumentenpreise. Mr Cameron, der
Premierminister, und seine dem Anspruch nach wirtschaftsfreundliche
Tory-Partei, sollten die Allgemeinen Wahlen am 7. Mai 2015 (also fast
auf den Tag genau 70 Jahre nach dem Ende der vorläufig letzten akut
faschistischen Episode der EU) mit einem bemerkenswerten Vorsprung
gewinnen.
Jedoch: Von der ökonomischen Realität des Jahres 2015 spielt sich seit Wochen und Monaten in jenen „politischen“ Umfragen
nichts ab, in denen sich Tories und Labour ein Kopf-an-Kopf-Rennen
liefern, bei dem sich beide um einen Stimmenanteil von jeweils rund um
die 33% streiten (+/- 2%).
Was natürlich auch für die britische Sozialdemokratie nichts Gutes
verheißt. Denn nachdem ihr Wahlkampf-Hit aus dem letzten Jahr („Cost of Living Crisis“)
sich in wachstumsbedingt in Wohlgefallen aufgelöst hat, bleibt nur der
Dauerbrenner NHS – also jenes staatliche Gratis-Gesundheitssystem, das
der Labour Frontmann Mr Miliband am liebsten zu jener Knarre machen
möchte, die er den Wählerinnen und Wählern an die Schläfe hält, damit
sie bei der Labour-Partei ihr Kreuzchen machen; moralische Erpressung
funktioniert bei der politischen Klientel der Sozialdemokratie eben
immer noch am besten.
Wer sich in Ruhe und auf amüsante Art zu Gemüte führen möchte, was Mr
Miliband sich zudem unter erfolgreicher politischer
Kommunikationsarbeit vorstellt, dem sei dieses Video aus dem Jahr 2011 ans Herz gelegt.
Es ist nebenbei eine unfreiwillige Sternstunde jenes investigativen
Qualitätsjournalismus, wie ihn auch der britische Staatsfunk (a.k.a.
BBC) betreibt.
Nun ist nach über zwei Generationen Euro-Kommunismus auch
Großbritannien dort angelangt, wo die meisten entwickelten
Industrienationen sich schon seit langem befinden: Die eine Hälfte der Bevölkerung muss arbeiten gehen, damit die andere Hälfte sich einen schicken Tag machen kann (und für die meisten Mitgliedstaaten der EU würde so eine Eins-zu-Eins-Ratio sogar eine Verbesserung bedeuten).
Die diesen Zahlen zugrunde liegende Statistik geht mit dem Begriff
„Arbeit“ übrigens sehr großzügig um, denn nach ihrer Definition sind
sogar Staatsdiener mit „Arbeit“ beschäftigt; meine persönliche Erfahrung
sieht anders aus, aber das ist vermutlich das Beste, was die meisten
der Damen und Herren im öffentlichen Dienst mit ihrer Zeit anfangen
können, denn wenn sie tatsächlich arbeiten würden, wären wir noch tiefer
im Dreck.
Dass nun ein paar heilige Kühe geschlachtet werden, damit jene
zumindest ansatzweise sinnvolle Annäherung an die Wirklichkeit
geschieht, wie sie der Ex-BRD Gerhard Schröders Agenda 2010 beschert hat
(jene „Hartz“-Reform, ohne die in Germany keiner mehr arbeiten gehen
bräuchte, nicht wahr, liebe Gewerkschaftler und Sozialdemokraten?) ist
dennoch unwahrscheinlich. Bei gleichzeitig wachsenden Anspruchsniveaus
und sinkenden Einnahmen bedeutet es für eine Gesellschaft nicht
unbedingt etwas Gutes, wenn sie nur noch aus Egoisten besteht.
Die beiden großen, landesweiten britischen Parteien bedienen ihre
relativ fest verfugte politische Klientel mit dem Status Quo am besten.
Die Tories senken hier und da mal eine Steuer, die den Mittelstand
interessiert (z.B. die Erbschaftssteuer) und Labour macht seiner
Kundschaft erfolgreich weiß, dass Geld nicht auf Bäumen wächst – sondern
aus dem Geldautomaten kommt. Warum etwas reparieren, das funktioniert?
Die Art und Weise, wie der Status Quo vom etablierten Personal gemanagt wird, hat selbstverständlich auch in Großbritannien eine erstaunliche Vielfalt von Wahlvorschlägen
produziert, denen allen gerecht zu werden den Rahmen völlig sprengen
würde und die zur Konzentration auf das Wesentliche zwingt; was ja auch
durchaus wünschenswert sein kann.
Die Situation in Schottland ist bekannt: Hier will eine Partei, die
sich national und sozialistisch wähnt und SNP genannt werden will, gerne
gegen den Willen der Mehrheit ihre Vision von einem unabhängigen Schottland durchdrücken:
eine Gesellschaft, die sozial immer gerechter wird, weil alle sich aus
dem vermeintlich unerschöpflichen Ölschatz in der Nordsee ernähren!
Ersatzweise würde die SNP aber auch mit dem Geld anderer Leute vorlieb
nehmen, am besten mit dem der bei ihresgleichen so verhassten
Steuerzahler aus England.
Selbstverständlich wird die schottische Unabhängigkeit überaus
großzügig von der EU gefördert (richtig, auch von Ihren Steuergeldern)
und höchstwahrscheinlich kommt bei der schottischen Unabhängigkeit etwas
heraus, das latent an Kuba oder das heutige Venezuela erinnert; wo man
sich nach dem Zusammenbruch des Ölpreises nicht mal mehr eine Rolle Klopapier
leisten kann. Aber wo kämen wir denn hin, wenn die SNP sich nicht
zusammen mit der EU um die Entwicklung des neuen Menschen kümmern würde?
Weil die Schotten in ihrer Mehrheit glücklicherweise nicht blöd sind,
hat sich längst herumgesprochen, dass „ihr“ schwarzes Gold in
absehbarer Zeit zu Ende geht; in sehr absehbarer Zeit sogar, vermutlich
in den nächsten zehn Jahren. Nicola Sturgeon, Erster Minister und
Lächelmaske der SNP, hinter der sich natürlich Alex Salmond versteckt,
hat „ihre“ Partei deshalb zuletzt ökologisch in Form gebracht und
verspricht ihren WählerInnen nun vollmundig, dass Windmühlen den „politischen“ Traum vom unabhängigen Schottland finanzieren.
Angesichts der Milliarden, die dank der „Energiewende“ von unten nach
oben verteilt werden, zeichnet Miss Sturgeons neue Masche sich immerhin
durch Logik aus – selbst wenn ihre Ziele mindestens ebenso wahnsinnig
bleiben wie die von Captain Ahab, bzw. Alex Salmond.
Aber auch südlich der Grenze wird „gegrünt“. Von Brighton aus, der
von Fahrradfahrern und Fixertreffpunkten gleichermaßen geplagten Bastion
der Ökopathen, geht Natalie Bennett für die „Green Party“ an den Start.
Zusätzlich zu den üblichen „ökologischen“ Eckpunkten („bedingungsloses
Mindesteinkommen“, „Abschaffung der Studiengebühren“, „Einführung der
Luxussteuer“) kann man bei Miss Bennett auch noch ein Verbot des Grand
National in Aintree gratis hinzu bekommen; letzteres würde für die Fans modischer Kleidung im Pferdesport sicherlich einen nicht wiedergutzumachenden Verlust bedeuten.
Ach ja, und eine Extraportion „Israel-Kritik“ bekommt man bei Miss Bennett auch. Sie ist nämlich, wie sich heute herausgestellt hat, eine ganz besonders „anti-zionistische“ kleine Person, die Bio-Natalie der BDS Bewegung
von den „Grünen“. Leider, oder viel mehr zum Glück, hat Miss Bennett,
das australische Importprodukt, ihren Transport ins britische Mutterland
anscheinend intellektuell nicht unbeschadet überlebt. Es wurde bis
jetzt noch jedes Mal unfreiwillig komisch, wenn sie sich zu etwas äußern
sollte, das im weitesten Sinne mit Zahlen zu tun hat und die Beherrschung der Grundrechenarten voraussetzt (plus, minus, mal und geteilt, liebe Teenager).
Ein symptomatischer Erfolg uffjeklärter Bildungspolitik und nebenbei
vielleicht ein seltener Anlass zur Hoffnung besteht ja darin, dass an
den Instituten der GEW tatsächlich so viel praxisuntauglicher
Schwachsinn reproduziert wird, dass die etablierte „Politik“ unter ihren
inneren Widersprüchen irgendwann zusammenbrechen muss: Weil kein
geeignetes Personal mehr verfügbar ist, das den Kurzschluss von
Gesellschaftsform und Denkform, ersatzweise aber wenigstens die
Grundrechenarten, beherrscht.
Und schließlich wäre da noch eine Partei, die zumindest öffentlich
gerne so auftritt, als hätte sie den „guten“ politischen Populismus
erfunden und sich deshalb über weite Strecken ihrer Mitgliedsbasis erfolgreich dagegen sträubt,
mit solchen Geschmacklosigkeiten wie der ungarischen Jobik Partei, der
französischen Front National oder einer alternativdeutschen
Professorenpartei in denselben trostlosen Topf geworfen zu werden.
Es fällt schwer, die UK Independence Party zu verstehen, wenn man
selbst nicht über jenen Common Sense verfügt, der auf Deutsch nur sehr
ungenau, dafür aber umso irreführender, als „Gesunder Menschenverstand“
übersetzt wird; wer „Stammtischwahrheit“ dazu sagt, vergisst oder will
darüber hinwegtäuschen, dass etwas nicht allein deshalb zur Lüge wird,
weil man es in einer Gastwirtschaft sagt.
Die Programmatik dieser Partei leitet sich aus ihrem Namen ab.
Unabhängigkeit setzt politische Freiheit voraus und Freiheit ist vor
allem die Möglichkeit, eigene Entscheidungen treffen zu können. Und es
sind eben nur dann eigene Entscheidungen, wenn man zu ihrer
Verwirklichung nicht auf Geld oder Macht anderer Leute angewiesen ist;
letzteres kann man linken Polit-Personen, vor allem aus der NGO-Szene,
offenbar nicht oft genug sagen.
Was an der UKIP-Programmatik nun gut oder schlecht ist,
sollte der britische ideelle Gesamtwähler indes bitte selbst
entscheiden. Die inhaltliche Bewertung politischer Forderungen bleibt
eine akademische Diskussion mit geringer praktischer Relevanz, solange
die Bedingung der Möglichkeit von Demokratie nicht grundsätzlich
wiederhergestellt ist. Namentlich, solange nicht auch die wirklich
wichtigen Dinge wieder von gewählten Abgeordneten in eigener Regie
entschieden werden können, und nicht vom Brüsseler ZK der EUdSSR. Dass
sich daran nach den Allgemeinen Wahlen am 7. Mai etwas ändert, ist so
gut wie aussichtslos, und deshalb teile ich die Anti-UKIP-Hysterie, in
die sich die uffjeklärten Milieus derzeit mal wieder zweckdienlich
hineinsteigern, nicht wirklich.
Es ist höchst unwahrscheinlich, dass der derzeitige Amtsinhaber eine
Regierungsmehrheit hinter sich versammelt. Nicht zuletzt weil sein
derzeitiger Koalitionspartner, die Liberal Demokratische Partei, als
Fußnote unter ferner liefen enden wird.
Wahrscheinliches Ergebnis ist eine Labour-Koalition mit den „progressiven“ kleinen Parteien;
„progressiv“ in Richtung auf eine fortschreitende, immer „gerechter“
werdende Verteilung der ökologischen, sozialen und nationalen Misere
(letztere betrifft vor allem Schottland); frei nach der
Churchill-Devise: „Sozialismus ist die gleichmäßige Verteilung des
Elends“.
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