Es rauschte wieder einmal gewaltig im Blätterwald, als in der letzten
Woche der EU- Gipfel mit einem Ergebnis endete, dass der Öffentlichkeit
endlich als „europäische Lösung“ verkauft werden konnte, für die unsere
Kanzlerin seit Monaten so hart gearbeitet hat.
Hätte sie sich lieber auf die faule Haut gelegt und uns mit ihren Verschlimmbesserungen der Einwanderungskrise verschont.
„Sie hat das unmöglich Scheinende möglich gemacht und ihr erstes
maßgebliches Zwischenziel erreicht, nämlich eine Übereinkunft mit
Ankara, die Voraussetzungen dafür schaffen soll, wieder zu geordneten
Verhältnissen an den europäischen Außengrenzen zurückzukehren“, jubelt
Volker Zastrow in der FAZ. Wirklich?
Wer sich den Text der Vereinbarung anschaut, fragt sich, woher dieser
Optimismus kommt. Die Vereinbarung ist das Papier nicht wert, auf das
sie geschrieben wurde. Es gibt handfeste Zugeständnisse an die Türkei,
was Visafreiheit und Neubelebung der Beitrittsverhandlungen zur EU
angeht. Davon abgesehen gibt es nur das Prinzip Hoffnung und
illusorische Festlegungen.
Die Kanzlerin weiß das sehr wohl, denn sie hat schon bei der
Verkündung ihres „Erfolges“ eingeräumt, dass es „Rückschläge“ geben
könnte. Der Wahrheit näher kommt der Verdacht, dass dieses Abkommen von
Anfang an nicht funktioniert.
Für jeden Syrer, der aus Griechenland in die Türkei zurückgewiesen
wird, soll ein Syrer aus den Flüchtlingslagern der Türkei über legale
Verfahren in die EU kommen. Das soll ab dem 4. April gelten und dazu
führen, dass die irreguläre Einreise nach Europa an Attraktivität
verliert. Für dieses Umsiedlungsverfahren sollen zunächst 18.000 Plätze
zur Verfügung stehen. Schon das ist absurd, denn es befinden sich weit
mehr Menschen in den griechischen Lagern. Wie die EU hoffen kann, dass
die Zahl von 18.000 nicht erreicht wird, ist eines der vielen Rätsel.
Sollten mehr Bürgerkriegsflüchtlinge irregulär nach Griechenland kommen
und in die Türkei zurückkehren müssen, soll ein zweites Kontingent von
54.000 Personen greifen. Diese Zahl wurde von den EU-Regierungen bereits
2015 festgelegt, damals zur Entlastung Ungarns. Weiter heißt es, dass
diese Maßnahme zeitlich befristet ist und sich die EU-Staaten freiwillig
an der Aufnahme der insgesamt maximal 72.000 Menschen aus der Türkei
beteiligen können.
Das sind also die berühmten „Kontingente“, die schon in der
Vergangenheit nicht funktioniert haben. Warum sollte es jetzt klappen?
Dafür gibt es keinen Anhaltspunkt.
Merkels einziger Erfolg ist, dass alle EU-Regierungschefs
unterzeichnet haben. Warum? Weil von einer Verteilung der Ankömmlinge
auf die EU-Staaten nicht mehr die Rede ist. Die Staaten können sich
lediglich „freiwillig“ beteiligen. Alle, die das bereits abgelehnt
haben, werden es nicht tun. Die überwiegende Anzahl der Migranten wird
nach Deutschland kommen, wenn nicht gar alle. Es handelt sich im Kern um
eine deutsch- türkische Vereinbarung. Die EU ist eine Mogelpackung.
Dass alle in die Türkei zurückzuführenden Migranten in Griechenland
zuvor ein Asylverfahren bekommen sollen, ist eine weitere Illusion.
Griechenland soll innerhalb weniger Tage ein extrem effizientes
Asylverfahrenssystem auf seinen entlegenen Inseln in der Ägäis
aufzubauen. Wie soll das gehen, wenn Griechenland und die EU schon über
Wochen und Monate Probleme hatten, die Hotspots für Flüchtlinge auf den
Inseln einzurichten? Seit 2011 dürfen illegal in die EU eingereiste
Flüchtlinge nicht nach Griechenland überstellt werden, weil der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil „M.S.S.
gegen Belgien und Griechenland“ festgestellt hat, dass Griechenland
nicht in der Lage ist, ein menschenwürdiges Asylverfahren zu
gewährleisten.
Warum sollte das jetzt auf einmal möglich sein?
Angeblich hätte die EU schon Vorbereitungen dafür getroffen, um mit
Geld und Personal zu helfen. „Die Freunde von Griechenland“, so Angela
Merkel bei ihrer Pressekonferenz nach dem Gipfel, werden nun mit den
logistischen Vorbereitungen beginnen. Die Truppe hat nichts weniger als
Wunder zu vollbringen.
Selbst wenn das Wunder gelingen sollte, gibt es ein ernstes Problem.
Der Retter in der Not ist kein sicheres Drittland. Die Vereinbarung
enthält auch keine Garantien, dass die Türkei als sicherer Drittstaat
eingestuft werden kann, sondern beschränkt sich auf Regelungen, die
höchstwahrscheinlich vor europäischen Gerichten scheitern werden.
Was ist, wenn die Rückgeführten sich an den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden?
Die Türkei ist nicht nur kein sicheres Drittland, sie ist mitten in
einem blutigen Bürgerkrieg. In den deutschen Medien wurde in den
vergangenen Monaten sehr wenig darüber berichtet. Wer sich über den
Krieg gegen die Kurden informieren wollte, musste auf die linksradikale
„Junge Welt“ zurückgreifen. Was sagt das über unsere Medien?
Mehr noch: Erdogan hat vor wenigen Wochen in Hinblick auf Demokratie,
Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei verkündet: „Ich sage es
offen: Für uns haben diese Begriffe absolut keinen Wert mehr“. Haben die
Medien und die EU- Regierungschefs das nicht gehört?
Man muss keine Kassandra sein, um vorauszusehen, dass die
Vereinbarung nur in zwei Punkten realisiert wird: Das von der Türkei
geforderte Geld wird fließen und die Visafreiheit für die Türkei wird
kommen. Damit hätten wir ab Juni einen zusätzlichen Flüchtlingsstrom zu
verkraften. Die von Erdogan verfolgten Kurden können visafrei in Europa
einreisen. Das würde dem türkischen Staatschef gefallen, der einmal in
Hinblick auf die deutsche Unterstützung für die kurdische Peschmerga
gesagt haben soll, wenn die Deutschen die Kurden so liebten, dann
sollten sie doch die Kurden übernehmen.
Die „Wertegemeinschaft“ EU hat es in der Vereinbarung nicht einmal
geschafft, die Türkei zur Achtung der Menschenrechte und der Genfer
Flüchtlingskonvention zu verpflichten. Die Vereinbarung ist auch kein
Erfolg, sondern ein Dokument des Scheiterns von Merkel. Es war von
Anfang an klar erkennbar, dass ihre Politik der unbeschränkten Aufnahme
in Deutschland nicht durchzuhalten sein wird. Statt ihren Fehler
einzugestehen, führt sie einen immer absurder werdenden Kampf gegen die
realistischere Sicht der anderen europäischen Mitgliedsstaaten. Sie kann
das nur, weil die Zastrows in den Medien Merkel unkritisch lobhudeln,
statt sie kritisch zu begleiten.
vera-lengsfeld.de
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