Der islamistische Aufruhr um die Mohammed-Karikaturen ist keine Reaktion, sondern eine Offensive. Mit Appellen an die Meinungsfreiheit ist es nicht getan. von ivo bozic
Meinungsfreiheit ist ein Produkt der Aufklärung, ein wichtiger Beitrag zur Emanzipation des Menschen. Die Dialektik der Aufklärung ist jedoch, dass die Gedanken, für deren Freiheit man eintritt, nicht zwangsläufig auch im Sinne der Freiheit sind, dass die Emanzipation auch die Reaktion emanzipiert. Meinungsfreiheit meint, dass man alles meinen darf, nicht, dass jede Meinung das Recht hat, Geltung zu beanspruchen. Man kann der Meinung sein, »Hexen« müssten verbrannt oder Juden vergast werden, doch das Recht, diese Meinung populär zu machen, ergibt sich dadurch nicht. Dennoch ist die abstrakte Meinungsfreiheit das einzige Argument, das den westlichen Kritikern des islamistischen Sturms der Entrüstung wegen der Mohammed-Karikaturen einzufallen scheint.
Es ist ja nicht so, dass Muslime keinen Spaß verstehen. Politische Karikaturen sind in der muslimischen Welt sehr beliebt. Darstellungen vom Tor zum KZ Auschwitz, mit einer israelischen Fahne geschmückt ist, oder eines mit einem Hakenkreuzbeil Araber schlachtenden Sharon sind wie viele andere antisemitische Zeichnungen im Stürmer-Stil – besonders gerne solche von Blut trinkenden oder als Ratten dargestellten Juden – in arabischen Medien sehr populär. Nie hat man gehört, dass deshalb Juden zum Boykott etwa saudischer Waren aufgerufen oder mit Handgranaten und Panzerfäusten bewaffnet Botschaften besetzt hätten. Im Übrigen hat auch die Schweizer Garde des Vatikans noch keine Kinos gestürmt, in denen »Das Leben des Brian« gezeigt wurde. Nein. Auch kein Imam und kein Mullah beschwert sich über solche Satiren, vielleicht hat der eine oder andere Religionswächter gar bei ihrem Anblick gelacht.
Gar keinen Spaß verstehen diese aber, wenn ihre Religion, konkret der Prophet Mohammed, verspottet wird. Seit Wochen lässt die so genannte muslimische Welt die Muskeln spielen: Massendemonstrationen, Schüsse, Aufrufe zum Heiligen Krieg, brennende Fahnen, Kopfgeld auf die Zeichner, EU-Büros in Gaza und Ramallah von Anhängern der Hamas und der Fatah militärisch gestürmt, Brandbomben auf ein französisches, Verwüstung eines deutschen Kulturzentrums im Gaza-Streifen, wo Terroristen drohen, jeden Dänen, Norweger oder Franzosen, der ihnen vor die Flinte kommt, zu erschießen; al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden durchkämmen Hotels und Cafés im Westjordanland auf der Suche nach Europäern, entführen kurzzeitig in Nablus einen Deutschen, außerdem wütende Kommentare in arabischen Zeitungen, 17 Regierungen und die Arabische Liga fordern die Bestrafung der Verantwortlichen, Bombendrohungen gegen Jyllands-Posten, Boykottaufrufe und -maßnahmen gegen dänische Waren, Schließung der saudischen, libyschen, syrischen und kuwaitischen Botschaft in Dänemark, versuchte Stürmung der dänischen Botschaft in Jakarta, jene in Damaskus und Beirut in Brand gesetzt.
Gleichzeitig kursierten in islamischen Internetforen Links zu einer Anleitung für einen erfolgreichen Hacker-Angriff. Tatsächlich wurden die Websites von France Soir und zahlreichen deutsch-jüdischen Publikationen, darunter das antifaschistische Internetportal Hagalil, daraufhin gehackt. Auch Hagalil hatte die Karikaturen veröffentlicht.
Vom Nahen bis zum Fernen Osten – überall werden schwerste Geschütze aufgefahren, meist verbal, manchmal ökonomisch, zuweilen aber auch im wörtlichen Sinne. Man könnte den Eindruck haben, die dänische Luftwaffe habe einen Jumbo in die Ka’aba in Mekka gelenkt. Dabei geht es nur um ein paar harmlose Zeichnungen in einer eher unbedeutenden dänischen Zeitung, nicht besonders bösartig, nicht rassistisch, sie rufen nicht zur Gewalt auf, brechen kein Tabu, das im Falle des christlichen Pendants Jesus nicht schon tausendfach gebrochen worden wäre.
Dass Fundamentalisten, egal welcher Religion, keinen Spaß verstehen, wenn es um ihr Allerheiligstes geht, das weiß man, das ist überall so, das ist, ganz einfach gesagt, ihr Problem. Insoweit könnte man meinen, wenn Islamisten vor lauter Entrüstung über diese Cartoons unbedingt aller Welt ihre verzweifelte Humorlosigkeit demonstrieren wollen, so sollen sie doch. Aber sie gehen mit einer radikalen und teilweise gewaltsamen Vehemenz in die Offensive, die erschrecken muss. Vielleicht, wenn man die vorletzte Reserve seines Humors, den Zynismus, mobilisiert, könnte man selbst darüber noch lachen. Vielleicht braucht es sogar die allerletzte Reserve, den Galgenhumor, aber irgendwann ist wirklich Schluss mit lustig. Spätestens dann, wenn man sich die Reaktionen im Westen auf den hysterischen Fundi-Alarm anschaut.
Dass sich religiöse Dogmatiker wie der Vatikan und Kardinal Lehmann gegen Blasphemie aussprechen, war zu erwarten. Erschreckender sind die Reaktionen in der weltlichen westlichen Welt. Die norwegische Regierung »missbilligte« offiziell den Nachdruck der Karikaturen in einer norwegischen Zeitung, die Redaktion der Jyllands-Posten entschuldigte sich, der Chefredakteur der französischen Zeitung France Soir, die die Bilder nachgedruckt hatte, wurde gefeuert. Der britische Außenminister Jack Straw wetterte, der Nachdruck der Zeichnungen sei »beleidigend und respektlos«. In Düsseldorf wollen die Karnevalisten beim bevorstehenden Rosenmontagszug auf provokante Darstellungen des Islams verzichten, weil sie »nicht enden wollen wie dieser Filmemacher in Holland«, wie die Rheinische Post einen Karnevalisten zitierte. Immer wieder wird der Grund für die gegenwärtige Eskalation nicht in dem hysterischen Aufbegehren in der islamischen Welt gesehen, sondern vor allem in der erfolgten »Provokation«.
Auch die deutschen Medien schienen zuerst in multikultureller Ehrfurcht zu erstarren. Besonders auffällig war die Reaktion der taz, die noch im Fall der Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie engagiert für die Meinungsfreiheit eingetreten war. In ihrer ersten Stellungnahme zu dem derzeitigen Konflikt ließ sie sich aber lieber darüber aus, dass die dänische Zeitung mit den Karikaturen nur ihr ausländerfeindliches »Süppchen gekocht« habe. Die nicht gerade multikulti-freundliche Bild-Zeitung ließ den Fall vom so genannten Orient-Experten Peter Scholl-Latour kommentieren, der »Respekt vor der Religion« einforderte und kritisierte, die Karikaturen hätten die »Moslems herausgefordert«.
Es geht dabei nicht um die Frage, ob man Mohammed abbilden darf oder nicht. Das ist eine Frage, welche die Gläubigen untereinander klären müssen. Sie beschäftigt schließlich auch Christen und Juden, und wenn religiöse Autoritäten zu der Erkenntnis gelangen, man dürfe Gott oder einen Propheten nicht abbilden, dann mag das eine Richtschnur für die Anhänger jener Religion sein, mehr aber auch nicht. Die Vermengung religiöser Regeln mit irdischem Recht verbietet sich in einer aufgeklärten säkularen Gesellschaft; eine Einsicht, die nicht nur Anhängern der Sharia fehlt, sondern selbst Vertretern eines säkularen Staats wie dem türkischen Regierungschef Erdogan, der im Hinblick auf die Mohammed-Karikaturen eine Einschränkung der Pressefreiheit forderte.
Immerhin haben einige europäische Zeitungen die Cartoons nachgedruckt und, als das muslimische Aufbrausen immer absurder wurde, auch die freie Meinungsäußerung verteidigt, ebenso Politiker von der CDU bis zu den Grünen. Dennoch ist die Reaktion auf den mittelalterlich anmutenden Amoklauf der muslimischen Welt von Hilflosigkeit geprägt. Die Angst vorm Warenboykott und die Angst, im internationalen Wettbewerb um den ökonomisch interessanten besten Kontakt mit gerade den unbequemsten Staaten den Anschluss und in bestimmten Regionen den Einfluss zu verlieren, lässt eine entschlossene Haltung kaum zu. Dazu kommt die Angst vor der Gewalt, die verständlicherweise in vielen Redaktionen und unter Comic-Zeichnern um sich greift. Dies alles führt dazu, dass sich Regierungen, Zeitungsredaktionen und Berufsexperten erpressen lassen. Diejenigen, die jederzeit den amerikanischen Imperialismus im Visier haben, sollten sich einmal fragen: Wer sitzt denn da ökonomisch und auch politisch zuweilen wirklich am längeren Hebel? Wer will denn da seine Leitkultur zum Maßstab aller Dinge machen und sie weltweit notfalls mit Gewalt durchsetzen, während er für sich beständig die Opferrhetorik in Anspruch nimmt?
Während die »Weltgemeinschaft« es nicht hinbekommt, einem Staat, der mit der Auslöschung Israels droht und eifrig an der Atombombe bastelt, zumindest mit ein paar bescheidenen Handelssanktionen zu antworten, führt ein Warenboykott der islamischen Welt gegen Dänemark im Westen gleich zum großen Muffensausen. Und wie um dem ganzen Irrsinn die Krone aufzusetzen, spricht nun der Iran Wirtschaftssanktionen gegen Europa aus. Die Arab News kommentierte triumphierend: »In dieser Woche werden wir Zeugen der Stärke der arabischen und muslimischen Welt, die die westlichen Nationen – bildlich gesprochen – in die Knie zwingt.«
Spätestens die heftigen und teilweise terroristischen Reaktionen in der islamischen Welt zeigen, dass die umstrittenen Karikaturen, die den Islam mit Terror in Zusammenhang bringen, treffend die Wirklichkeit abbilden. Getroffene Hunde bellen. Es liegt nicht an der Religion des Islam, dass so viele Menschen bei Koran und Mullah sofort an Terror denken, aber es hat selbstverständlich mit dem Auftreten der rabiatesten Islamisten und Gotteskrieger zu tun. Schließlich ist es kein Zufall, dass Jihadisten wie Ossama Bin Laden oder antisemitische Selbstmordattentäter präsenter in der Weltöffentlichkeit sind als ein gemäßigter und friedliebender Imam in irgendeiner kleinen Hinterhofmoschee. Die Schuld für diese Wahrnehmung liegt nicht bei einer angeblich islamophoben, jüdisch-amerikanisch indoktrinierten Weltöffentlichkeit, sondern vielmehr bei diesen neuen Aushängeschildern des politischen Islamismus.
Das haben auch – wenige – arabische Journalisten und Intellektuelle festgestellt. Der Chefredakteur der jordanischen Zeitung Shihan ließ drei der umstrittenen Mohammed-Cartoons drucken und stellte in seinem Kommentar neben einer scharfen Kritik an den Zeichnungen auch die Frage: Was ist schlimmer, solche Bilder oder Selbstmordanschläge? Sein Mut wurde sofort mit der Entlassung und später mit seiner Verhaftung beantwortet.
Wer sich mit Terror für den Islam einsetzt wegen ein paar Karikaturen, die den Islam mit Terror in Zusammenhang bringen, der droht, selbst zur Karikatur zu werden. Die erzürnten Islamisten offenbaren erneut ihre ideologische Bankrotterklärung, aber auch ihr politisches Selbstbewusstsein, das sie mit gutem Grund haben.
Wer beim Streit um die Mohammed-Karikaturen nur an die Presse- und Meinungsfreiheit appelliert, hat den Konflikt nicht verstanden. Es geht auch darum, welche Meinungen da geäußert werden oder nicht geäußert werden sollen. Und da liegt es nicht nur für Linke doch ganz klar auf der Hand: Die Überzeugung, sich über Religion, Kirchen und Götter lustig machen zu dürfen, ist eine, die unterstützt werden sollte, die Meinung, die ganze Welt müsse irgendwelchen religiösen und anti-modernen Regeln unterworfen werden, ist eine, der politisch entgegengearbeitet werden muss. Genauso wie dem Islamismus als politischem Projekt und seinen terroristischen Begleiterscheinungen.
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