Die Piratenpartei hatte sich nicht erst seit ihrem großen Wahlerfolg in Berlin mit dem Vorwurf auseinandersetzen müssen, dass sie in der Partei rechtes Gedankengut dulde. Zum Beispiel weil sie ehemalige Parteimitglieder und Funktionäre der NPD1 in ihren Reihen duldete oder es schon Äußerungen von Piraten gab, die den Holocaust relativierten. Parteiausschlussverfahren wurden nur zögerlich in Gang gesetzt2.
Nun gibt es schon wieder einen Fall aus Baden-Württemberg: Kevin Barth wurde erst vorige Woche zum Kreisvorsitzenden der Partei in Heidenheim gewählt. Zwei Wochen zuvor hatte er eine Twitter-Nachricht mit dem Wortlaut gesendet: “Ok. ich bin also Antisemit, weil ich die israelische Kackpolitik und den Juden an sich unsympatisch finde, weil er einen sinnlosen Krieg führt?”.
Die Politik Israels als Blaupause für jeden individuellen Juden zu verstehen ist ein antisemitischer Reflex. Er versucht jeden Juden in die Verantwortung zu ziehen, für das vermeintlich falsche Vorgehen Israels. Die Wortwahl des „Juden an sich“ hat seinen Ursprung im Antisemitismus der rassistisch argumentiert und einer Volksgruppe bestimmt Charaktermerkmale zuschreibt, die in Barths Fall als „unsympatisch“ bezeichnet werden. Es ist reine Diffamierung, dass die legitimen Sicherheitsinteressen Israels von Barth nicht anerkannt werden und als „sinnloser Krieg“ benennt.
Zwei Tage später konnte man auf seinem Blog einen Beitrag lesen3, in dem sich Barth nur scheinbar von der Nachricht distanzierte. Dort kommentierte er die Ergebnisse des Berichts des unabhängigen Expertengremiums Antisemitismus4, den die Bundesregierung in Auftrag gegeben hatte. Demnach hätten zwanzig Prozent der Deutschen latent antisemitische Einstellungen. Anstatt sich über den virulenten Antisemitismus in Deutschland besorgt zu zeigen, ist das Ergebnis für Barth ein Versuch der Regierung und der Medien, „uns wieder mal als den dummen deutschen Antisemiten darzustellen“, „sprich wieder einmal werden wieder einmal mehr von einer Studie an den Pranger gestellt“. Antisemitismus scheint für Barth ein kleineres Problem darzustellen als die Kränkung seines Nationalstolzes. Auch übernehme er keinerlei Verantwortung, die sich aus der deutschen Geschichte und der Schoah ergibt. „Und ich denke auch nicht, dass das unsere heutige Generation will“.
„Ich habe vor 2 Tagen einen Tweed geschrieben, der falsch verstanden wurde. Dafür entschuldige ich mich“, heißt es weiter. Später verteidigt er allerdings seine Aussagen gegenüber Israel: „Für mich sind die Regierenden dort und in Amerika nur Kriegstreiber und Verbrecher. Und das sage ich so, wie ich es meine.“ Aber damit verurteile er „nicht den Juden an sich“.
Das Abweisen jeglicher geschichtlicher Verantwortung und die gleichzeitige Diffamierung des jüdischen Staates wird in der Antisemitismusforschung als sekundärer Antisemitismus bezeichnet. Er verschafft eine Gewissenserleichterung indem er indirekt behauptet, dass Israel (stellvertretend für alle Juden) selbst eine Kriegspolitik betreibe, die seine Bewohner moralisch entwerte und sie somit als Opfer von Antisemitismus unglaubwürdig mache.
Seine antisemitischen Äußerungen kosteten Barth seinen Posten. Er trat zurück und entschuldigte sich für die Formulierung. Auch der Kreisverband der Piraten bezog öffentlich Stellung: „Wir stellen hiermit ausdrücklich klar, dass Antisemitismus und Rassismus weder in der Piratenpartei noch generell in einer Demokratie einen Platz haben“.
Die Piratenpartei will für die junge Generation stehen. Dabei ist es ihr noch nicht gelungen zu beweisen, dass sie trotz ihrer pluralistischen Aufstellung gegen rechtes Gedankengut im Innern gewappnet ist. Barths Meinung ist sicherlich nicht repräsentativ für die ganze Partei. Aber die Vorfälle von Antisemitismus haben sich in der Vergangenheit gehäuft. Jetzt bleibt abzuwarten, wie die Piraten damit umgehen werden.
haolam.de
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