Der Bayreuther Islamwissenschaftler Hans-Thomas Tillschneider hat die an einigen Universitäten vertretene Ausrichtung seiner Zunft kritisiert. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wirft er zwei Forschern fehlende Auseinandersetzung mit moderner Theologie und Geisteswissenschaften vor.
Tillschneider erklärt, dass das Buch des Münsteraners Lehrstuhlinhabers
Mouchanad Khorchide „Islam ist Barmherzigkeit“ in orthodoxen Kreisen dafür
kritisiert werde, weil es elementare Prinzipien des islamischen Glaubens
verletze. Der Wissenschaftler versuche, den Islam von der Scharia
abzukoppeln.
Kein wissenschaftlicher Anspruch
Wichtig ist
aus Sicht des FAZ-Gastautors Tillschneider, dass sich der Islam von
politisch-rechtlichen Ansprüchen trenne und sich gründlich säkularisiere. Er
müsse sich auch von den Teilen des islamischen Rechts lossagen, die mit dem
deutschen Recht kollidierten. Für noch bedeutender hält Tillschneider aber die
Tatsache, dass die entscheidende Kritik an dem Buch ausgeblieben sei: es fehle
der wissenschaftliche Anspruch.
Stattdessen liefere der Autor
„biographische Anekdoten, Versatzstücke aus der Tradition des Reformislam, einen
guten Schuss Esoterik und einen bunten Strauß Allerweltsansichten über Gott und
die Religion“. Zwischendurch wiederhole der Autor sein Mantra, dass der Mensch
ein Medium von Gottes Liebe und Barmherzigkeit sei.
Mindestens so
ringen wie Bultmann
Statt den Islam in seinen Denkmodellen
differenziert zu betrachten, reihe er freundliche Koran-Verse aneinander und
übergehe die „unfreundlichen“. Mit der modernen Wissenschaft habe dies nichts zu
tun: „Dabei müsste Khorchide mit der islamischen Theologie ringen, so wie
Bultmann (Anmerkung der Redaktion: der Marburger Theologieprofessor wurde
bekannt durch sein Programm der Entmythologisierung der neutestamentlichen
Verkündigung) mit der protestantischen Theologie gerungen hat, und stärker
noch“.
Tillschneider fragt, ob sich die frühere Gesetzesreligion Islam
jetzt zu einer Rundum-Wohlfühl-Religion entwickele, „ganz den Bedürfnissen des
Menschen zugewandt, uninteressiert am Buchstaben, überströmend von Liebe und
billiger Gnade“? Khorchide jedenfalls fehlten Begründungen oder der Anschluss an
die Denktraditionen seines Forschungszweiges. Ein Teil der Wissenschaft folge
eher den Befindlichkeiten der Islamverbände. Statt „süßlicher Prosa und
hölzernem Fundamentalismus“ bedürfe es aber Begründungen, die an die Wurzeln
islamischer Tradition und moderner Theologie gingen.
Als weiteres
Beispiel dieser „verqueren Weise“ Wissenschaft zu betreiben, sieht Tillschneider
Johann Bauers „Aishas Grundlagen der Islamrechteergründung und
Textinterpretation“. Dieses Werk bestehe auf einem Scharia-Islam ohne Abstriche.
Einen Islam, wie ihn der Direktor des Instituts für islamische Theologie an der
Universität Osnabrück, Bülent Ucar, gefordert habe, lehnt Tillschneider ab. Laut
Ucar habe der Glaube eines Muslims so „rein, klar und verständlich, vielleicht
auch kindlich'' zu sein, wie der Glaube einer alten Frau. Aus Tillschneiders
Sicht fehle einer solchen Wissenschaftsauffassung die intellektuelle Reife und
der Mut zur Selbstkritik.
pro-medienmagazin
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