Thursday, August 01, 2013

Absurdes Theater: Frieden ist 104-mal John Kerry

von Gerrit Liskow
Jemand muss John Kerry etwas zu tun geben, bevor es zu spät ist. Es gibt doch wahrlich genug Krisen und Konflikte, die seine Aufmerksamkeit verdienen. Der chinesisch-indische Grenzstreit im östlichen Himalaya ist weiterhin ungelöst. Auch zwischen Pakistan und Indien schwelt seit Jahrzehnten ein Konflikt um die Provinz Kaschmir, und irgendwo in den Falten des westlichen Himalayas, so Richtung Hindukusch, hat sich vielleicht auch noch ein ganz, ganz kleiner Konflikt um die Grenze zwischen China und Pakistan versteckt.
Vielleicht nur ein ganz, ganz kleiner Konflikt, aber wer weiß. Immerhin hat Pakistan mal Ländereien an China abgetreten, die ihnen aus indischer Sicht gar nicht gehörten. Beim Shaksam-Tal handelt es sich zwar nur um einen üppigen Gletscher und ein paar recht hohe Berge, darunter K2, aber die Inder hätten diese Gegend trotzdem ganz gerne wieder zurück; die Fläche, um die es geht, entspricht übrigens in etwa den „Besetzten Gebiete“, also der „West Bank“ zwischen der Grünen Linie und dem Jordan-Fluss, dem heute so genannten „Palästina“.
Sie sehen, verehrte Leserinnen und Leser: Es gäbe genug für John Kerry zu tun, wenn er nur etwas tun wollte. Und es ist ja nicht so, dass der Kaschmir-Konflikt ein Spaziergang im Bürgerpark wäre. Immerhin sind seit - oh, schon wieder eine Parallele! - 1947 etliche Zehntausend Menschen im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen ums Leben gekommen. Bei Auseinandersetzungen, die übrigens auch den Terror gegen Zivilisten ausdrücklich als Strategie inkludieren, vor allem Terror und Attentate durch sogenannte „Märtyrer“ um die „indische Besatzung“ zu bekämpfen. Klingt doch alles recht vertraut, oder etwa nicht?
Nur für die globale „Linke“ war und ist Intifada in Indien emotional offensichtlich nicht annähernd so lukrativ wie jene Beschäftigung mit dem „Juden unter den Staaten“, die zur mehr oder weniger kämpferischen Parteinahme gegen das „zionistische Gebilde“ ausdrücklich einlädt. Kennt man bei der Speerspitze der Uffklärung Kaschmir vielleicht nur als luxuriöse Wolle, die den werktätigen Massen vom Kapitalismus durch Preise dreist vorenthalten wird? Hat Mr. Kerry von der gleichnamigen Länderei in und um Indien schon etwas gehört?
Nun ist es so, dass ein Narr, der zuversichtlich ist, irgendwie doppeltgemoppelt ist. Das fiel mir auf, als ich Mr. Kerry zuletzt öffentlich reden hörte. Ich dachte bei mir: Wie gut, dass der Betroffene von seinem Zustand nichts merkt. Gut für ihn – aber was ist mit den Menschen in seinem Umfeld? Ein optimistischer Narr ist, rein sprachlich betrachtet, dasselbe wie ein weißer Schimmel oder ein schwarzer Rappe. Ein Narr hat von Natur aus optimistisch zu sein, sonst ist er kein Narr. Das erfordert keine weitere Begründung, sondern leuchtet intellektuell und intuitiv unmittelbar ein.
(Die beiden Umkehrschlüsse treffen übrigens nicht zu: Man ist kein Narr, nur weil man zuversichtlich in die Zukunft schaut, und Pessimismus an sich macht einen noch lange nicht intelligent. Letzteres sei ausdrücklich den „kritischen“ Massen und Klassen noch einmal in ihr „politisches“ Poesiealbum geschrieben.)
Der Fachbegriff für „sprachlich doppeltgemoppelt“ schimpft sich nicht etwa Sophismus, und auch nicht Rhetorik, sondern schlicht Tautologie. Letztere produzierte John Kerry, als er sich angesichts der beginnenden Gespräche zwischen Israel und der PA als „optimistisch“ beschrieb. Das war doppeltgemoppelt, und zwar in doppelter Hinsicht, wie ich nun darlegen werde.
Wie wir wissen, ist zu den Vorgesprächen über jene Verhandlungen, die am Montag begannen, bereits von allen notwendigen Leuten alles Notwendige gesagt worden. Der Premierminister hat sich hingesetzt, und einen ganz lieben Brief geschrieben, in dem er beteuert, es wäre seine Pflicht, auch mal was Unbequemes zu machen. Kann man sich darauf berufen, wenn man der alten Frau im Bus den letzten freien Sitzplatz wegnimmt? Und wenn man sich in der Supermarktschlange (ohne alte Frau) einen unziemlichen Vorteil verschafft, womöglich sogar unter Ausnutzung niederer Instinkte, wie sieht es dann damit aus?
Ist das ein allgemeines Rechtsgut geworden, die Pflicht, auch mal was Unbequemes zu machen, oder gilt sowas wieder nur für Premierminister? Wäre damit der Gleichheitsgrundsatz vor dem Gesetz infrage gestellt? Immerhin könnte das bald die erste Bürgerspflicht werden: die Pflicht, etwas Unbequemes zu machen! Fragen über Fragen. Aber sie werden quittiert mit leutseligen Beteuerungen, nicht nur vom John aus Washington. Unbequem – mein Fuß!
Dann wäre da die Rede von der „Alternativlosigkeit“. Man kennt denselben Jargon aus der Zeit der Euro-„Rettung“, aber selbstverständlich nicht in Israel (haben die ein Glück gehabt!). Der ganze Gedanke läuft auf folgendes hinaus: Abbas wollte etwas für gar nichts. Man kennt das so und nicht anders nicht nur von ihm, sondern auch von seinen Gesinnungsgenossen und Seelenverwandten. Also von den Leuten, die sich mit hinreißender Naivität für die Sache der „Unterdrückten“ und „Verzweiflungstäter“ emotional erwärmen, solange sie nur genug Zivilisten ermorden – jüdische Zivilisten, versteht sich, aber „das“ hat „damit“ selbstverständlich nichts zu tun, nicht wahr, Jakob Augstein?
Abbas wollte sein Mittagessen umsonst. Er wollte sich durchschnorren und sich was vom kalten Büffet stibitzen, bevor die Dame des Hauses die Auflassung gegeben hat. Okay, kennen wir so von ihm und Team Terror und erwarten wir nicht anders. Sportliche Tischmanieren sind das, und eigentlich hätte man ihn damit nicht durchkommen lassen sollen. Aber: Irgendwas musste man ihm geben – nicht, damit er die Klappe hält, sondern damit er sie aufmacht und mit einem spricht? Warum? Was hat man davon, wenn man mit Herr Abbas spricht?
Es ging um Zugeständnisse, heißt es, weil er sonst nicht mal zum Aperitif erschienen wäre (es gibt doch auch alkoholfreie Cocktails, oder?). Und weil alle anderen Amuse-Gueules irgendwie noch viel schwieriger in der Zubereitung waren (Gebietsabtretungen, Rückkehrrechte, Statusfragen, Wohnungsbau-Stopp) gab es als kleinen Gruß aus der Kerry-Küche eben 104 rechtskräftig verurteilte Mörder. Bon Appetit! So war es nach Mr. Abbas Geschmack und so geht es in die offizielle Geschichte ein. Mit solchen Leuten muss man nicht reden, tut es anscheinend aber doch.
Und deshalb stellt sich die Frage: Wie konnte es dazu kommen, dass es keine Alternativen gibt? Wieso müssen jene Leute in den sauren Apfel beißen, die sich von allen Betroffenen am wenigsten gegen diese Entscheidung wehren konnten, nämlich die israelischen Bürgerinnen und Bürger? Anscheinend ist es bequemer, sie zu Zugeständnissen zu bewegen, als sonst irgendwen in „der Region“. Man muss die Entscheidung, ob sie sich von ihren gewählten Repräsentanten verraten und verkauft fühlen, schon ihnen selbst überlassen. Aber ich könnte es verstehen, wenn es so wäre.
Wieso, um es kurz zu machen, war ein Nein zu Mr. Abbas und Mr. Kerrys Wunschzettel auf einmal keine Alternative mehr? Immerhin haben 85% aller jüdischen Staatsbürger des jüdischen Staates in einer repräsentativen Umfrage von Israel HaYom überhaupt kein Problem damit, zu einem Deal Nein zu sagen, der aus dem Rechtsstaat so etwas Ähnliches wie eine Bananenrepublik macht und Gefängnisse in irgendwas mit Drehtür verwandelt, in eine Hotel-Lobby. Immerhin ist das ein Deal, der mehr Risiken als Chancen bietet.
Sich über dieses unbequeme Nein hinwegzusetzen, geht an den Grundgedanken der staatlichen Zuständigkeit: Dass die Regierung Sicherheit und Freiheit der Bürger schützt. Das ist die Basis des Staatsgedankens. Und selbst wenn es in der Vergangenheit zur vorzeitigen Haftentlassung von „alten Bekannten“, namentlich der Kundschaft von Team Terror kam, dann gab es im Tausch wenigstens etwas Bestimmtes dafür. Etwas Materielles, Gegenständliches – einen entführten Soldaten, oder wenigstens dessen toten Körper. Aber diesmal gab es: gar nichts! Abgesehen von Mr. Abbas heißen Atem und auf den hätte man zur Not vielleicht verzichten können.
Ein heißer Atem, der übrigens schon lange nicht mehr demokratisch legitimiert ist, zumindest nicht in seiner Funktion als „Palästinenser-Präsident“. Dessen erste (und vermutlich auch letzte) Amtszeit ist nämlich schon seit Jahren abgelaufen. Gewählt wurde in der Zwischenzeit nicht, bewahre! Doch nicht bei der PA, und die Wettervorhersage sagt für deren Revier auch keinen  „arabischen Frühling“ voraus, mapitom! Mal sehen, was passiert, wenn sich bei Abbus „Freunden“ rumspricht, dass ihr Boss schon lange nur noch sich selbst repräsentiert. Spätestens, wenn es mit dem „Frieden“ ernst werden könnte, was wie gesagt eher unwahrscheinlich ist, wird es sicherlich Zeit, den Abbu-Clan abzusägen und durch was „Progressiveres“ zu ersetzen.
Dieser Mangel bei den demokratischen Mindestanforderungen hinsichtlich staatlicher Legitimität ist die Sollbruchstelle, an der bei Mr. Kerrys Polit-Kaspertheater die Bretter durchbrechen. Bretter, die dem John aus Washington die Welt bedeuten. Auch wenn es aussieht, als wäre die Bühne seiner Selbstwahrnehmung aus etwas zusammengezimmert, das ihm vorne vom Kopf gefallen ist.
Das stört aber weder in Washington, noch in Brüssel, und schon gar nicht bei der PA, dem Mekka der „Palästina-Solidarität“. Es ist dasselbe Politbüro wie seit Jahr und Tag, und es ist genauso „legitimiert“, wie die PLO von Arafat. Nämlich als Verwalter eines terroristischen Gewaltmonopols, das nach außen und nach innen agiert. In dieser Funktion bekommt es jede Menge Kohle von der EU, der UNO und den USA. Kurz: vom sogenannten Westen. Interessant, dass gerade die globale „Linke“ und deren „politische“ Nachhut um Obama und Kerry meint, dass sie sich in „Palästina“ am wohlsten fühlen würde.
Sodann wäre anzumerken, dass allen, außer Mr. Kerry, klar ist, dass die Erfolgsaussichten mager sind und man sich mit einer weiteren „Friedens“-Initiative auch zu weit aus dem Fenster lehnen kann, nicht wahr, liebe Tzippi? Auf praktischer Ebene ist es kein Zweckpessimismus, wenn man behauptet, es käme nicht viel dabei raus. Im Gegenteil: Die PA beginnt bereits, sich Rechte über israelische Staatsbürger anzumaßen. Wenn es sich um Araber handelt, fordert die PA ultimativ die vorzeitige Haftentlassung. Wenn das kein Rassismus ist, was ist es dann? Gelten auf einmal zwei juristische Standards, einer für arabische Israelis und einer für den Rest der Welt?
Ich verlange, dass Judith Butler mir das erklärt! Warum das keine Apartheid ist, wenn die PA für arabische Israelis einen anderen - und zwar: komfortableren! - Rechtsstandard fordert, als für alle anderen Bürger. Und wenn Frau Butler grad nicht kann, weil sie auf irgendeiner BDS-Kampagne auftreten muss, um sich ihr mageres Professorinnen-Salär anzufetten, akzeptiere ich auch die Antwort der Frankfurter Honoratiorenschranzen (m/w), die Frau Butler letztes Jahr in einer Perversion von allem, was sich Philosophie nennen ließe, den Adorno-Preis verliehen haben (Schranzinnen und Schranzen, die vor meinem geistigen Auge so aussehen wie die Stützen der Gesellschaft auf einem Gemälde von Otto Dix).
Die PA, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, fordert also tatsächlich die Auslieferung solcher Israelis, die arabisch sind. Ist das nicht ein bisschen so, als würde Dänemark die sofortige Auslieferung aller Mitglieder der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein fordern, die dort vielleicht im Knast sitzen? (Es dürfen nicht sehr viele sein, ich schätze höchstens drei oder vier). Aber was würde denn wohl passieren, wenn so ein Schreiben in der Kieler Staatskanzlei einträfe? Die Dänen könnten froh sein, wenn sie daraufhin nicht mit Steinen beworfen würden, wenn sie mit dem Auto gen Süden in Urlaub fahren.
Es ist, kurz gesagt, einigermaßen verrückt, was da gerade im Vorspiel zum ersten Akt passiert: Herr Abbas hat bekommen, was er wollte. Nur dafür, dass er überhaupt mit anderen Leuten spricht – obwohl er schon lange nichts mehr zu sagen hat, mangels demokratischer Legitimierung. Monty Pythons hätte das nicht besser machen können. Am John aus Washington ist anscheinend ein Komiker von Weltrang verloren gegangen, wenngleich einer mit einem ziemlich zynischen Humor. Der Weg ins Dilemma indes war und ist mit guten Absichten gepflastert.
haolam

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