Zwei-Staaten-Lösung in Gefahr
von ivo bozic
»Wir haben nach 3000 Kassam-Raketen seit dem Rückzug aus Gaza aufgehört zu zählen«, erklärte der Bürgermeister der südisraelischen Stadt Sderot. Wie viele Raketen wirklich abgeschossen wurden, ist nicht genau zu sagen. Doch Tatsache ist, dass mit jeder Rakete der Abzug der israelischen Truppen aus dem Westjordanland und damit die viel beschworene Zwei-Staaten-Lösung weiter wegrückt.
70 Prozent der israelischen Bevölkerung leben in dem schmalen, an der engsten Stelle nur 14 Kilometer breiten Küstenstreifen westlich des Westjordanlandes, fast jeder Ort ist von der Grünen Linie aus mit Katjuscha-Raketen erreichbar, einschließlich der Metropole Tel Aviv. Der Ben-Gurion-Flughafen kann mit Kassams getroffen werden.
Solange der Beschuss durch solche Raketen nicht verhindert werden kann, wird es keinen Rückzug aus der Westbank geben. Die Tatsache, dass Israel nach dem Abzug aus Gaza bisher kein Rezept gefunden hat, die Angriffe aus dem Gaza-Streifen zu verhindern, und die Palästinensische Autonomiebehörde ebenfalls wenig Interesse daran zeigt, beweist, dass die Bedingungen für einen Rückzug aus der Westbank derzeit nicht gegeben sind. Es müsste daher im ureigenen Interesse der Palästinenser sein, dieses Dauerfeuer zu unterbinden.
Dass sich nach der Räumung Gazas die Sicherheit in Israel nicht verbessert, sondern verschlechtert hat, lässt nicht nur Zweifel an der Richtigkeit dieses Abzugs bzw. von dessen Zeitpunkt aufkommen, sondern stärkt auch jene Kräfte in der israelischen Gesellschaft, die eine Aufgabe der Westbank ablehnen. Die militärische Intervention in Gaza spiegelt die Hilflosigkeit der israelischen Politiker wider, die einerseits wissen, dass kein Weg an einer Abkopplung, also einem weitgehenden Rückzug auch aus Westbank vorbeiführt, andererseits dies nicht verwirklichen können, solange die Hamas dem israelischen Staat den Krieg erklärt. Und dass sich das so bald nicht ändern wird, daran ließ der in Syrien lebende Hamas-Sprecher Abu Marsuk in einem Spiegel-Interview keinen Zweifel. Die »Auslöschung« Israels und die Verpflichtung zum Jihad sind auch weiterhin Bestandteile der Charta der Hamas. Ein palästinensischer Staat friedlich an der Seite Israels widerspricht ihren Interessen.
Nachdem sich die Hamas zur Entführung des israelischen Soldaten bekannt hat, so wie sie auch für unzählige andere Terrorangriffe verantwortlich ist, ist die Empörung darüber, dass Israel die Hamas wie eine Terrorgruppe behandelt und nicht wie eine demokratisch legitimierte Regierung, fadenscheinig. Zumal die Hamas sich selbst nicht als normale Regierung versteht. Abu Marsuk sagt: »Wir sind keine Regierung wie die irgendeines anderen unabhängigen Staates. Wir sind eine Regierung unter Besatzung. Und die Aufgabe einer solchen Regierung ist es, Widerstand zu leisten, auf jede mögliche Art und Weise.«
Dass die Militäroffensive in Gaza und die Verhaftung zahlreicher Hamas-Leute die Raketenangriffe aus Gaza verringern, darf bezweifelt werden. Die Militäroperation ist in Israel höchst umstritten. Vernünftige Alternativen jedoch hört man selten. Auch wenn die Mittel vielleicht die falschen sind, das Ziel ist richtig: Im Moment kann es nur um die Unterbindung des Terrorismus und seiner militärischen Aufrüstung in Gaza gehen, denn das ist die Bedingung, um an Fortschritte im Westjordanland überhaupt denken zu können.
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