Atom-Geheimnisse: Der Mann, der zuviel wußte
Chris Charlier leitete das Team, das Irans Nuklearprogramm untersucht. Mohammed al-Baradei, Direktor der Atomenergiebehörde, hat ihn auf Druck aus dem Iran kaltgestellt. Die IAEA hat versucht, diesen Artikel zu verhindern
von Bruno Schirra
Als Chris Charlier im April dieses Jahres in Teheran ankommt, wartet schon das übliche Empfangskommando auf ihn. Es ist wie bei jedem seiner über 20 Besuche in der Islamischen Republik Iran. "Wo immer wir hingingen, was immer wir getan haben, sie waren immer hinter uns, haben uns mit Videokameras überwacht, jedes einzelne unserer Gespräche aufgenommen, uns keine Sekunde lang aus den Augen gelassen, uns immer über die Schulter geschaut. Wie zum Teufel sollen wir da vernünftig arbeiten können?", sagt der 64 Jahre alte Belgier. Chris Charlier ist der Chef der 15 Inspekteure, die im Auftrag der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA seit 2003 das Nuklearprogramm der Islamischen Republik Iran untersuchen.
Zum ersten Mal spricht ein Wiener Inspekteur offen und unter Nennung seines eigenen Namens über die Bedingungen, unter denen die UN-Kontrolleure Licht ins Dunkel um das iranische Nuklearprogramm zu bringen versuchen. Daß Charlier nun so offen darüber redet, hat Gründe. Seit April dieses Jahres ist er praktisch arbeitslos. Verantwortlich dafür ist ausgerechnet sein direkter Vorgesetzter, der Direktor der IAEA mit Sitz in Wien, Mohammed al-Baradei. Als Baradei im April zu Konsultationen nach Teheran fährt, verlangt sein direkter Gesprächspartner, der Chefunterhändler des schiitischen Gottesstaates, Ali Larijani, ultimativ die Ablösung von Chris Charlier.
Und Mohammed al-Baradei kommt diesem Ansinnen eilfertig nach. Chris Charlier hatte sich seit 2003 in Teheran kräftig unbeliebt gemacht. „Ich bin kein Politiker, ich bin Techniker, und als solcher interessiert mich bei meinen Inspektionen nur eines: Ist das Nuklearprogramm des Iran ein ziviles oder eine militärisches“, sagt Charlier heute. Was er bei seinen Inspektionen im Iran herausgefunden habe, sei eindeutig. "Ich glaube, daß sie ihr Nuklearprogramm und ihre wahren Aktivitäten verstecken. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Teheran auf dem nuklearen Feld Dinge betreibt, von denen wir bis heute keine Ahnung haben", sagt Charlier auf die Frage, ob Teheran möglicherweise ein geheimes paralleles Nuklearprogramm betreibt. In unzähligen Vermerken und Arbeitsberichten hat Charlier die Ergebnisse seiner Inspektionen festgehalten, hat die Tricks und die Täuschungsmanöver der Teheraner Machthaber aufgelistet, hat recherchiert, was einen seiner Inspekteure in Wien zu einer einzigen Schlußfolgerung führt: "Selbstverständlich baut Teheran die Bombe, und Charlier hat die Puzzleteile zusammengetragen, die das belegen. Dafür zahlt er nun den Preis", sagt einer seiner Kollegen. Al-Baradei habe Charlier geopfert, und er dürfe "jetzt in Wien bis zu seiner Pensionierung Büroklammern zählen". Der Grund: In Diskussionen mit Mohammed al-Baradei hat sich Charlier bislang immer geweigert, die iranische Nuklearakte zu schließen und Teheran so vom Vorwurf freizusprechen, es betreibe ein militärisches Atomprogramm."Keinen Zugang mehr zur iranischen Atomakte"
Im Gespräch bestätigte Charlier, was europäische Diplomaten in Wien nur hinter vorgehaltener Hand erzählen. Bei seinem letzten Besuch in Teheran habe Mohammed al-Baradei nicht nur in die Ablösung seines Chefinspekteurs eingewilligt. Ali Larijani, der engste Vertraute Ali Chameneis, des obersten geistlichen Führers Irans, bestand darüber hinaus darauf, es nicht bei der Entbindung Chris Charliers von seinen Aufgaben zu belassen. Künftig dürfe Charlier auch nicht mehr Einsicht in die iranische Atomakte in Wien nehmen.
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