Saturday, March 22, 2014

Der Weglasser

Gute Journalisten beachten bei ihrer Arbeit verschiedene publizistische Grundsätze, zu denen die “Achtung vor der Wahrheit” sicher nicht als letztes Gebot gehört. In seinem Pressekodex formuliert der Deutsche Presserat näher, was er sich darunter vorstellt:
“Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben.”
Behauptet nun jemand, der gewiß einige Prominenz genießt, “ethnische Säuberungen”, einen zumindest versuchten Völkermord also, ist das durchaus eine Nachricht. Und so zitiert Christian Wagner Richard Falk im Staatsfunk durchaus korrekt:
“Es gibt mehr und mehr Siedler, und Jerusalem wird gezielt zu einer rein jüdischen Stadt gemacht.”
Richard Falk allerdings unterliegt keinem Wahrheitsgebot. Und das kann wissen, wer in Tel Aviv stationiert, in dessen Umgebung tätig ist und sogar noch anmerkt, “die israelische Regierung aber hat Falk immer wieder Einseitigkeit vorgeworfen”.
Doch genügt es, einfach zu erklären, die israelische Regierung widerspreche Richard Falk regelmäßig? Müßte der Journalist, sofern das möglich ist, nicht selbst den Wahrheitsgehalt der Aussage prüfen, die er immerhin aus eigenem Antrieb zitiert?
Christian Wagner jedenfalls unterläßt es. Und so erfährt sein Publikum nicht, daß die israelische Hauptstadt Jerusalem weit davon entfernt ist, “ethnisch gesäubert” und “zu einer rein jüdischen Stadt gemacht” zu werden.
1972 lebten in Jerusalem 313.800 Menschen, unter ihnen 83.500 Araber, was einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 26,6% entspricht. Elf Jahre später, 1983, lag der arabische Anteil an der auf 428.700 Menschen gewachsenen Bevölkerung bei 28,55%.
1995 lag der arabische Bevölkerungsanteil bei 30,1%, fünf weitere Jahre später, 2000, bei einer inzwischen auf 657.500 Menschen gewachsenen Gesamtbevölkerung bei 31,7 Prozent beziehungsweise 208.700 Menschen.
Und so ging es stetig weiter: 2002 lag der arabische Bevölkerungsanteil an der Einwohnerschaft Jerusalems bei 32,6%, 2003 bei 32,9%, 2004 bei 33,56%, 2005 bei 34%, 2006 bei 34,4%, 2007 bei 34,8%, 2008 bei 35,27% und 2009 bei 35,69%.
2015 wird Jerusalem nach Schätzungen 884.000 Einwohner haben, darunter 334.500 Araber (37,8%). 2020 sollen 958.900 Menschen in der israelischen Hauptstadt leben, 371.700 Araber werden dann einen Anteil von 38,76% an der Bevölkerung bilden.
Wie Jerusalem auf diese Weise jemals eine “rein jüdischen Stadt” werden soll, weiß nur Richard Falk, der scheidende Sondergesandte des “UN-Menschenrechtsrats” für die palästinensischen Gebiete. Und, vielleicht, Christian Wagner, der sich die eigene Recherche sparte.
Indem er ausgerechnet diese Behauptung Richard Falks auswählte, zitierte und ihren Wahrheitsgehalt gerade nicht hinterfragte, machte Christian Wagner sie sich zu eigen und desinformierte so sein Publikum, enthielt ihm die Wahrheit vor.
Christian Wagner ist eben bloß ein deutscher Staatsjournaillist.
tw24

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