Monday, December 18, 2006

Thomas Kapielski: Bibelforscher

Bild: Thomas Kapielski, Reckermann's Kunstgöthe











Meinem Lehrmeister in theologischen Belangen, dem Antiquar Bernd Gärtner zu Berlin-Charlottenburg, habe ich die Bekanntschaft mit den Werken eines der merkwürdigsten (in dem Sinne, daß er würdig sei, gemerkt zu werden) Geistes- und Religionswissenschaftler als auch Islamforscher unserer Zeit zu verdanken: Günter Lüling, geboren 1928.
Den besten Einstieg in seine weitläufigen Denkgebäude bieten die Aufsätze zur Geistes- und Religionsgeschichte „Sprache und archaisches Denken“, Erlangen 1985:
Oh, wie das funkelt! - Wie einem die „Büttenrede“ nun auf einmal einleuchtet und was sie mit den vorzeitlichen Kultkesselwagen des salomonischen Tempels und mit Schwertgriffen gemein hat.
Warum die alten Schmiede fertige Schwerter zerkleinerten und ans Geflügel verfütterten, um dann aus dessen Kot erneut Schwerter aufzuschmieden, und warum die Schmiede hinken (Hephasistos, Wieland), und was es mit dem Lichtbringermythos und der Verehrung schwarzer Kamele auf sich hat.
Das alles hört sich ziemlich abgeschieden, auch verstiegen an, gleichwohl ist es tiefste, historische Wurzelschau auf unsere Sprache, unsere Gebräuche und Mythen. Und all das ist sehr leidenschaftlich und listig und kühn durchdacht und vorgetragen.
Lülings zentrales Forschungsgebiet ist nun die Koranarchäologie. Die Welt hat ja nicht mit dem Koran angefangen. Und die Welt davor war keinesfalls eine unwissende. Der Wortschatz des Koran, seine Lebens- und Gedankenwelt schöpft aus Vorhandenem, aus vorarabischen und frühchristlichen Beständen, auch wo es sich dagegensetzt - das ist Lülings Thema: Mit wissenschaftlichen Methoden behorcht und durchleuchtet er den Koran, unterzieht ihn einer historisch-kritischen Sprachanalyse, legt tiefe Sedimente und früheste Schichten frei. (Neben sprachlichen Ausgrabungen, auch architektonische: die mekkanische Kaaba deutet Lüling als frühchristliches Kirchengebäude.) Schon der Theologe von Harnack (1851 – 1930) vermutete ja im Grunde eine arabische Umbildung gnostischen Judenchristentums durch den Propheten Mohammed.
1990 legt Lüling seine Dissertation „Über den Ur-Qur’án“ (Erlangen, 1974) in erweiterter Fassung vor; er entdeckt darin frühchristliche Strophenlieder und hat mit dieser erstaunlichen Sichtung Groll und Bann seiner Zunft auf sich gezogen; erst in den letzten Jahren wird er neu entdeckt und gewürdigt.
Derweil verweigert ja die Arabistik und Islamforschung des Abendlandes eine Pietät gegenüber muslimischer Selbstbeschreibung, alle Korantexte seien unmittelbar von Gott dem Mohammed diktiert und also tabu.
Die Bibel hat solche Forschungen längst überstanden; die Würde hat es ihr nicht genommen. Sogar beachtlicher und achtbarer ist sie geworden, und menschenlieber.

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