Die Linkspartei lud zur Nahost-Konferenz nach Berlin. Nur der Vertreter der Hamas bekam kein Visum. Die parteiinterne Debatte über den Antizionismus geht weiter. von ivo bozic
Uri Avnery hat die Gelegenheit verpasst, ein gutes Geschäft zu machen. Zum Ende der Nahost-Konferenz der Linkspartei am vergangen Wochenende berichtete der weißbärtige Friedensaktivist aus Israel, seine Gruppe Gush Shalom habe am Tag zuvor bei der Gedenkkundgebung für Yitzhak Rabin in Tel Aviv Buttons mit der Aufschrift »Mit der Hamas reden!« verteilt. Von diesen hätte er bei der Linkspartei in Berlin ganz sicher auch einige loswerden können. Denn mit der Hamas reden wollten beispielsweise auch die Außenpolitiker Wolfgang Gehrcke und Norman Paech, die die Konferenz vorbereitet hatten. Der eingeladene Regierungssprecher der Hamas, Ghazi Hamad, konnte allerdings nicht erscheinen, weil er als Angehöriger einer terroristischen Vereinigung kein Visum erhält. Sehr zum Bedauern von Gehrcke, der sich vehement für die Teilnahme des Mannes von der Hamas an dem »repräsentativen Treffen von Friedenskräften« eingesetzt hatte.
Präsent war die »Friedenskraft« Hamas dennoch auf der Konferenz. Ein am vergangenen Mittwoch in der New York Times veröffentlichter Artikel des Hamas-Strategen Ahmad Yousef, in dem er eine zehnjährige »Hudna«, also eine Art Waffenstillstand, anbietet, wurde verlesen und als »gewaltiger Durchbruch« gefeiert. Keine Erörterung fand dabei die Frage, wie das mit der Begebenheit zusammenpasst, dass seit Jahresanfang über 20 Tonnen Sprengstoff, Luftabwehr- und Anti-Panzer-Raketen in den Gaza-Streifen geschmuggelt wurden, wie die israelische Zeitung Ha’aretz berichtet und daraus schließt, die Hamas wolle im Gaza-Streifen mit Israel ein »Gleichgewicht des Schreckens« aufbauen. Also vielleicht ein Waffenstillstand auf der Basis von allgemeiner Aufrüstung und Abschreckung?
Viel interessanter war da die Forderung des Vorsitzenden der deutsch-palästinensischen Gesellschaft, Raif Al-Hussein. Dieser erklärte am Samstag in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die wahllose Bewaffnung palästinensischer Jugendlicher in der Vergangenheit sei ein schwerer Fehler gewesen, und forderte ein »waffenfreies Palästina«. Darauf, so berichtete er dann am Sonntag, habe er viele empörte Reaktionen seiner Landsleute erhalten.
Der Rest der Veranstaltung verlief weniger überraschend. Während der Vertreter der israelischen Friedensorganisation Peace Now einen schweren Stand auf dem Podium hatte, als er begründete, wieso seine Organisation den Libanon-Krieg unterstützt hatte, durfte die Professorin Fanny Michael-Reisin von der Organisation »Jüdische Stimmen für gerechten Frieden in Nahost« unwidersprochen behaupten, der Gaza-Streifen sei ein einziges großes »Konzentrationslager«.
In der Linkspartei geht indes die Debatte über die Haltung gegenüber Israel einerseits und gegenüber der Hamas und der Hizbollah andererseits weiter. Nachdem die stellvertretende Parteivorsitzende Katja Kipping im Oktober ein Papier mit einer Stellungnahme gegen die antizionistische Parteilinie vorgelegt hatte (Jungle World 43/06), folgte in der vergangenen Woche eine Erklärung mit dem Titel »Hamas raus aus den Köpfen« (in Anlehnung an die PDS-Kampagne »Nazis raus aus den Köpfen«), die bisher von 30 Funktionären und Parteimitgliedern vor allem aus Sachsen unterzeichnet wurde. Die Unterzeichner kritisieren vor allem die Einladung der Hamas zu der Nahost-Konferenz: »Da Dr.Hamad die Einreise verweigert wurde, kommen wir nicht in die Situation, gegen die Konferenz protestieren zu müssen. Wir fordern aber, die Einladung an Dr. Hamad zurückzunehmen und sich einer kritischen Debatte über das Verhältnis der Linken zum militanten Islamismus zu stellen.«
Zurückgenommen wurde die Einladung selbstverständlich nicht, und von der geforderten Debatte war auf der Konferenz nichts zu vernehmen. Bisher versucht die Parteimehrheit, die aufkommende Diskussion stoisch zu ignorieren und ins Leere laufen zu lassen. Es blieb Jürgen Elsässer überlassen, in der Tageszeitung junge Welt das Schreckensbild einer sich formierenden pro-israelischen »Lobby« in der Linkspartei zu beschwören.
Sollte sich tatsächlich eine Strömung in der Partei herausbilden, die mit dem Antizionismus brechen will, dann hätte sie allerdings noch einiges mehr zu tun, als gegen antiisraelische Ansichten einzelner Politiker der Linkspartei zu protestieren. Zu einer Auseinandersetzung mit dem Antizionismus in der Linken gehört auch eine Aufarbeitung der Nahost-Politik der DDR-Staatspartei SED. Nur zweimal bekannte sich die DDR ernsthaft zu Israel. Einmal bei der Teilung Palästinas 1947 durch die Uno und zum zweiten Mal – 43 Jahre später – nach dem Mauerfall im April 1990, als alle Abgeordneten, auch die der PDS, in der frei gewählten Volkskammer eine Erklärung abgaben, in der es hieß: »Wir bitten das Volk in Israel um Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel.«
Tatsächlich war die Politik der DDR während der ganzen Jahre zwischen diesen beiden Daten durch und durch antiisraelisch. Bereits 1956 bezeichnete Walter Ulbricht bei einem Besuch in Ägypten Israel als »Speerspitze des Imperialismus«. Während die DDR nie diplomatische Beziehungen mit Israel aufnahm, genoss die PLO seit dem Jahr 1982 die vollen diplomatischen Rechte. Die DDR gewährte dem Drahtzieher des Münchner Olympia-Attentats von 1972, Abou Daoud, auf Bitte der PLO Asyl. Der ehemalige Spionage-Chef der DDR, Markus Wolf, hat bestätigt, dass die DDR antiisraelische Terrorgruppen unterstützte. Spätestens seit dem Libanon-Krieg 1982 wurden verwundete palästinensische Kämpfer in der DDR medizinisch versorgt. Es gab Spendensammlungen und Waffenlieferungen für die PLO und eine scharfe politische Rhetorik, die Israel regelmäßig als »faschistisch« bezeichnete und mit dem Nationalsozialismus gleichsetzte, während die DDR Entschädigungszahlungen an die Überlebenden des Holocaust konsequent verweigerte.
Über den letzte Akt dieser Geschichte der SED/PDS berichtete der Tagesspiegel im Jahr 2005. Sage und schreibe 75 Millionen DDR-Mark, also über 19 Millionen Euro, soll die Partei demnach im Mai 1990, also noch nach der Entschuldigung der Volkskammer, einer dubiosen, gerade erst gegründeten »Islamischen Religionsgemeinschaft« mit Sitz in einer SED/PDS-Immobilie gespendet haben. Dazu kam noch ein Darlehen in Höhe von 53 Millionen DDR-Mark. Der Vorsitzende der so großzügig bedachten Organisation, Abdel Younes, wurde vom westdeutschen Geheimdienst in Zusammenhang mit dem Olympia-Attentat gebracht. Die Stasi ordnete ihn der PLO-Organisation Al-Fatah und dem militanten PLO-Führer Abu Moussa zu.
Mit seiner Firma Gulf soll Younes auch an Waffengeschäften mit der PLO beteiligt gewesen sein. War der Scheck als Solidaritätsbeitrag für den antiisraelischen Befreiungskampf gedacht? Wie auch immer. Der Deal platzte, weil Younes den Scheck zu spät einlöste, nachdem das neue Parteiengesetz bereits in Kraft getreten war.
Sollte in der Linkspartei eine ernsthafte Auseinandersetzung über Antizionismus beginnen, dann kann das nicht nur eine akademische Übung sein, dann muss es auch um ganz konkrete Vorgänge in der Vergangenheit gehen, für die nicht nur die Partei ganz allgemein, sondern auch konkrete Personen im Speziellen eine Verantwortung tragen. Eine Erneuerung der Erklärung der Volkskammer von 1990 wäre ein erster Schritt.
jungle-world
No comments:
Post a Comment