Tuesday, November 07, 2006

Koalitionszwist um die Heimat der Ehrenmörder

Knapp zwei Monate vor der deutschen Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft streitet die große Koalition über die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Hintergründe des Konflikts sind die offene Zypern-Frage und die Vorlage des Fortschrittsberichts der EU-Kommission an diesem Mittwoch. Darin werden Ankara Versäumnisse beim Reformtempo vorgehalten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte die Türkei zum Einlenken in der Zypern-Frage auf. Die Türkei habe vor Aufnahme der Beitrittsverhandlungen zugesagt, das so genannte Ankara-Protokoll bis Ende 2006 umzusetzen - dies sei aber nicht geschehen, sagte Merkel nach einem Treffen mit dem finnischen Ministerpräsidenten Matti Vanhanen. Es müsse alles daran gesetzt werden, "dass das, was wir untereinander besprechen, auch eingehalten wird".
Die Kanzlerin betonte: "Wir wollen eine Lösung". Der Konflikt um das Ankara-Protokoll, nach dem die Türkei ihre Häfen auch für zyprische Schiffe öffnen muss, dürfe nicht eskalieren. Vanhanen, dessen Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, zeigte sich zuversichtlich, dass es noch in diesem Jahr zu einer Einigung in der Zypern-Frage kommt.
Stoiber warf der Türkei Vertragsbruch gegenüber Zypern vor: "Die deutsche Bevölkerung wird hier sehr genau darauf achten, wie sich die Bundesrepublik verhalten wird, wenn die Türkei hier anhaltenden Vertragsbruch begeht und sich das Recht herausnimmt, ein vollwertiges Mitglied der Europäischen Union nicht anzuerkennen." Außerdem falle der Fortschrittsbericht der EU-Kommission negativ aus. Bis zur Lösung dieser Fragen sollten keine weiteren Verhandlungskapitel mehr eröffnet werden, forderte der CSU-Chef. Die EU-Beitrittsgespräche müssten "eingefroren" werden.
SPD-Chef Kurt Beck bezeichnete dies als "schweren politischen Fehler". Europa brauche eine Brücke zur islamischen Welt, dies könne die Türkei sein. Zwar sei man bei den Reformen in der Türkei offenbar noch nicht so weit vorangekommen, wie sich das die EU-Seite gewünscht habe. Doch stünden die Beitrittsverhandlungen erst am Anfang. SPD-Fraktionschef Peter Struck nannte es "völlig richtig", dass die Türkei in zehn bis 20 Jahren EU-Mitglied werden könne.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte die Türkei zu erhebliche Reformanstrengungen auf und betonte zugleich: "Klar ist aber auch: Wir wollen den Erfolg der Verhandlungen." Offenbar wollten aber manche in Europa "ein Scheitern der Beitrittsverhandlungen regelrecht herbeireden zu wollen", kritisierte der Minister. Allerdings müsse es in der Zypern-Frage noch in diesem Jahr einen fairen Kompromiss geben.
Auch Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte, der von Stoiber geforderte Abbruch der Verhandlungen wäre "ein großer Fehler" für die EU. Dies hätte "jede Menge Schäden" zur Folge und wäre ein vollkommen falsches Zeichen an die islamische Region. Im Übrigen würde das Zypern-Problem so auch nicht gelöst.
Links-Fraktionschef Gregor Gysi sprach sich für "hohe Anforderungen" an die Türkei aus. Wenn sich das Land bestimmten demokratischen und rechtstaatlichen Bedingungen nicht stelle, dürfe es nicht in die EU aufgenommen werden. "Da müssen wir härter werden, auch im Interesse der türkischen Bevölkerung", sagte Gysi.
(ddp)

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