Wednesday, November 08, 2006

Ein rotes Kopftuch

Nach ihrer Aufforderung an Musliminnen, das Kopftuch abzulegen, erhalten türkischstämmige Politikerinnen Morddrohungen. von david zorn
Alle drei stehen unter Polizeischutz: die Bundestagsabgeordneten Ekin Deligöz (Grüne) und Lale Agkün (SPD) und die Frauenrechtlerin und Rechtsanwältin Seyran Ates. Ihr Appell an die Musliminnen in Deutschland, das Kopftuch abzulegen, mit dem sie u. a. zusammen mit einem anderen türkisch-deutschen Politiker, Mehmet Daimagüler (FDP), Mitte Oktober an die Öffentlichkeit traten, führte dazu, dass sie zum Ziel von islamistischen Beschimpfungen und Schmähungen wurden. Bezeichnend daran ist, dass, soweit bekannt, fast nur die Frauen die Drohungen erhielten und deren Absender überwiegend Männer waren.
Den Satz, an dem sich die muslimischen Gemüter am meisten erhitzten, sprach vor drei Wochen Ekin Deligöz aus. Sie sagte in Bild am Sonntag: »Ich appelliere an die muslimischen Frauen: Kommt im Heute an, kommt in Deutschland an. Ihr lebt hier, also legt das Kopftuch ab! Zeigt, dass ihr die gleichen Bürger- und Menschenrechte habt wie die Männer!« Und weiter sagte sie: »Das Kopftuch ist ein Symbol der Frauenunterdrückung. Wer von Frauen verlangt, dass sie Kopftuch tragen, macht sie zu einem Sexualobjekt, das sich verhüllen muss.«
Auch die anderen an dem Aufruf Beteiligten, wie Agkün oder Daimagüler, äußerten sich ähnlich. Seyran Ates meinte, das Tragen von Kopftüchern werde politisch instrumentalisiert. »Aber ein Kopftuch darf kein Mittel sein, um eine politische Auseinandersetzung zu führen. Darum appelliere ich an die Musliminnen in Deutschland: Legt dieses kleine Stück Stoff doch einfach ab, wenn es sich tatsächlich nur um ein kleines Stück Stoff handelt, wie viele behaupten!«
Kaum waren diese ja weder blasphemischen noch gar revolutionären Zeilen gedruckt, als schon die ersten E-Mails mit Beschimpfungen versandt wurden. Von den größeren türkischen Zeitungen berichtete Türkiye in einschlägiger Weise. Der Titel am Dienstag vor drei Wochen nannte die Aufruferinnen »eine Schande für die Menschheit«. Die islamistisch-nationalistische Zeitung Yeni Mesaj, die allerdings mit einer Auflage von rund 2 500 Exemplaren nicht gerade ein Massenblatt ist, verstieg sich sogar dazu, Deligöz und Akgün erst ihre türkische und islamische Identität abzusprechen, die scheinbar unabdingbare Voraussetzung, um etwas über den Islam sagen zu dürfen, und ihnen dann eine »Nazi-Logik« zu unterstellen. Unterdessen erhielten sie weitere Schmähbriefe, in denen sie als »Verräterinnen« und »Untermenschen« beschimpft und schließlich mit dem Tode bedroht wurden.
Als diese Geschehnisse an die deutsche Öffentlichkeit drangen, folgte prompt die Reaktion. Das Präsidium des Deutschen Bundestags verurteilte die Drohungen und stellte sich einträchtig hinter die Angegriffenen. Sie erhielten aus allen Parteien Zuspruch, wobei kaum Aussagen zur Sache gemacht wurden, sondern vor allem das Recht auf Meinungsfreiheit verteidigt wurde.
Anfang der vergangenen Woche versuchte schließlich die grüne Fraktionsvorsitzende, Renate Künast, die muslimischen Verbände zu bewegen, sich mit den Verfemten zu solidarisieren. »Selbst wenn wir anderer Meinung sind oder wären, werden wir dafür kämpfen, dass in diesem Land jeder seine Meinung frei äußern kann, ohne entsprechenden Bedrohungen ausgesetzt zu werden«, sagte sie in der Hoffnung, mit den Verbänden eine gemeinsame Kampagne für die Grund­rechte initiieren zu können. Doch das Vorhaben scheiterte. Zwar sprachen sich alle Verbände wie erwartet für die Meinungsfreiheit aus und verurteilten die Morddrohungen, sie schoben allerdings alle ein großes Aber hinterher.
So sagte etwa Ali Kizilkaya vom Islamrat, dass Deligöz nur eine bedauerliche Einzelmeinung vertrete und dass es ein religiöses Gebot des Korans sei, das Tuch zu tragen. Bekir Alboga, der Dialogbeauftragte der größten islamischen Organisation in Deutschland, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib), zeigte sich, nachdem er die Drohungen verurteilt hatte, nicht gerade solidarisch. »Ich erwarte von Abgeordneten, vor allem von Abgeordneten mit Migrationshintergrund, etwas mehr Sensibilität«, sagte er.
Auch Kenan Kolat vom säkularen Türkischen Bund Berlin und Brandenburg warnte nach der obligatorischen Verteidigung der Meinungsfreiheit, dass Deligöz aufpassen müsse, was sie sage, da es für die Öffentlichkeit nicht immer möglich sei, zwischen islamistischem Terror und islamischem Kopftuch zu unterscheiden, und sie somit den sozialen Frieden gefährde.
Was die islamischen oder türkischen Verbände nicht zu leisten gewillt waren, wurde dann von Vertretern der christlichen Parteien voll und ganz geleistet. Der bayrische Innenminister Günther Beckstein (CSU), der sonst eher dafür bekannt ist, die Zensur etwa im Internet ausweiten zu wollen, und dessen Partei anlässlich des so genannten Karikaturenstreits sogar forderte, den »Blasphemie-Paragraphen« wieder zu verschärfen, nannte die Drohungen einen »unverhohlenen Versuch, die Meinungsfreiheit einzuschränken und damit die Grundlagen unserer Rechtsordnung zu erschüttern«. Auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) erwies sich als Verteidiger der Grundrechte und bezeichnete den Aufruf als »absolut legitim«.
Es handelte sich um eine vereinnahmende Verteidigung der Kritikerinnen des Islam, die allesamt gelungene Einwandererbiographien vorzuweisen haben. Solche Leute sind gefragt, wenn es darum geht, den Islam in den bürgerlichen Staat einzubinden. Das soziale Problem in Deutschland, das Immigranten in nicht geringem Maße betrifft, will man mit Kulturalisierung in den Griff bekommen. Schäuble nannte in der Welt »die Neuregelung der Beziehungen zwischen Staat und Islam gemäß unserem Kirchenrecht« einen »Ansatzpunkt«, um die »Integrationsdefizite« von Eingewanderten zu beheben.
Im Gegensatz zu den Vorstellungen der Konservativen, die wissen, »dass der Mensch in der Sünde verhaftet ist« und es deshalb »rechtliche Regelungen, Grenzen, die einen Rahmen setzen«, brauche, wie Schäuble im selben Interview zum Besten gab, nimmt sich Deligöz’ Aufruf wie ein Ausbund an Liberalität aus. In der ARD erklärte sie noch einmal den Aufruf: »Ich habe nirgendwo Gesetze oder Sanktionen gefordert, sondern an die Freiwilligkeit appelliert.« Es gehe ihr nicht um die Frauen, die »freiwillig« das Kopftuch trügen, »sondern darum, die Freiheit zu haben, sich dafür oder dagegen zu entscheiden, ohne Druck von außen. Das ist mir wichtig. Und es gibt eben auch die Frauen, die leise sind und nicht nach außen dringen, und für die möchte ich ein Sprachrohr werden.«
In der Auseinandersetzung geht es nämlich nicht nur um die Meinungsfreiheit. Die Frage ist auch, ob die Kritik an einem reaktionären religiösen Symbol und an der patriarchalen Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern überhaupt noch zur Kenntnis genommen wird.
jungle-world

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