Ihr Rassismus hielt die Nationalsozialisten nicht davon ab, mit arabischen Führern zu kooperieren. Der Judenhass war das Bindeglied. Über die Studie »Halbmond und Hakenkreuz«. von jan kiepe
Keinesfalls wurden der Nahe und der Mittlere Osten von Nazideutschland einzig als Landstriche gesehen, die es nach kriegerischer Einverleibung zu kolonialisieren gelte. Vielmehr vertrauten die planenden Instanzen und Persönlichkeiten der Judenvernichtung dem eliminatorischen Antisemitismus und dem Kollaborationswillen der arabisch-muslimischen Bevölkerung, sobald dort die »Endlösung« durchgeführt würde. Zwischen beiden Seiten herrschte hier ein zentrales Einvernehmen.
Gesandte des Auswärtigen Amts und des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) berichteten seit 1933 regelmäßig über den Hitlerkult und den Judenhass in der Region. Arabische Führer, zuvörderst der Mufti von Jerusalem und der zentrale Fürsprecher der palästinensischen Nationalbewegung, Haj Amin Muhammad el-Husseini, biederten sich der NS-Führung an. Nicht nur waren sie darauf bedacht, mit Hilfe des »Dritten Reichs« ihre nationale Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Großbritannien zu erlangen: Sie wollten sich endgültig der jüdischen Bevölkerung entledigen.
Eine der zentralen Thesen der Monografie von Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers über den politischen und ideologischen Schulterschluss zwischen dem »Dritten Reich« und der arabischen Welt lautet entsprechend, dass sich der Antisemitismus »als stärkstes Bindeglied zwischen dem Dritten Reich und dem Nahen und Mittleren Osten« erwiesen habe. Anhand historischer Quellen, hauptsächlich aus bundesdeutschen Archiven, zeichnen Mallmann und Cüppers die bisher kaum beachtete Entwicklung der deutsch-arabischen Beziehungen dieser Zeit kritisch nach. Sie merken an, dass man sich allzu schnell dem Vorwurf des »Eurozentrismus« ausgesetzt sehe, widme man sich ernsthaft der »muslimischen Affinität zum Dritten Reich«. Diese Einschätzung ähnelt der Anregung Dan Diners in seinem Buch »Versiegelte Zeit«, die »Orientalismus«-These Edward Saids zu überdenken. Allzu oft werde, so die beiden Historiker, der in der arabischen Region auch heute grassierende Antisemitismus verdrängt oder verniedlicht.
Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler sollten einige Jahre vergehen, bis sich die NS-Führung des Potenzials des arabisch-muslimischen Judenhasses bewusst wurde und ihn zu fördern gedachte. Erst als sich das Deutsche Reich 1937 endgültig von Großbritannien als Allianzpartner abgewandt hatte, Italien es 1939/40 nicht vermochte, seinen Einfluss am Mittelmeer auszuweiten, und sich die NS-Führung zu deren Unterstützung genötigt sah, näherten sich die deutsche und die arabische Seite an. Die entscheidende Wende in der deutschen Orientpolitik vollzog sich im Jahr 1941. Unter der Führung Erwin Rommels begann das »Deutsche Afrikakorps« seine Offensive gegen die technisch und strategisch unterlegene britische Armee. Trotz einiger Rückschläge drang die Wehrmacht bis Juli 1942 von Libyen bis nach El Alamein in Ägypten vor, wo sie endgültig gestoppt werden konnte. Während des deutschen Vormarsches berichteten Beobachter regelmäßig von euphorisierten Einheimischen.
Einer der Garanten für diese Entwicklung weilte seit November 1941 im Exil in Berlin. Bis 1945 bemühte sich Husseini von dort, die arabisch-muslimische Kollaborationsbereitschaft für die »Endlösung in Palästina« zu fördern und zu garantieren. Yassir Arafat, ein entfernter Verwandter des Mufti, gehörte zum Kreis seiner Vertrauten. In zahlreichen Rundfunkansprachen, die vom Deutschen Reich in arabische Länder übertragen wurden, verkündete Husseini seinen religiös und rassenbiologisch motivierten Antisemitismus. Daneben propagierte er seine Hoffnungen auf die nationale Souveränität arabischer Staaten, die unter deutscher Patronage erlangt werden sollte.
In das Jahr 1941 fielen ebenfalls Planungen der Wehrmacht, in das britische Mandatsgebiet Palästina vorzudringen. Darauf wartete das besagte Einsatzkommando mit 24 Angehörigen unter der Leitung Walther Rauffs, eines Mitarbeiters des RSHA. Ohne die Niederlage bei El Alamein und ohne weitere alliierte Gegenschläge wäre das Afrikakorps vermutlich innerhalb von zehn Tagen nach Palästina vorgedrungen. Der Einsatzbefehl der Wehrmacht glich im Wortlaut dem der Einsatzgruppen in Osteuropa. Rauff und seine Untergebenen sollten weitgehend eigenständig handeln. Offensichtlich vertraute die deutsche Führung weiteren Erfahrungen aus Osteuropa: Den dortigen Einsatzgruppen gehörten nur wenige Deutsche an; einheimische Hilfswillige waren ihnen bei den Massenmorden behilflich. Dies sollte auch für den Nahen und Mittleren Osten gelten. Innerhalb des Jischuw wurde die Bedrohung genauestens erkannt und es wurden Schutzvorkehrungen getroffen. Bei einem deutschen Vormarsch wären die Vorkehrungen allerdings wegen der arabischen Mithilfe gescheitert.
Auch nach der Niederlage bei El Alamein und dem Rückzug der Panzereinheiten nach Tunesien – die Alliierten waren im November 1942 in Nordafrika gelandet – wurden die deutschen Versuche, in die verlorenen Gebiete einzudringen, fortgesetzt. Dort sollten Aufstände entfacht und Sabotageakte begangen werden, um die Alliierten zu schwächen. Auch wenn die NS-Führung derlei Unternehmungen materiell kaum zu fördern vermochte, da das »Unternehmen Barbarossa« in der Sowjetunion zu viele Kräfte band, vertraute sie weiterhin den antisemitischen Potenzialen an Ort und Stelle.
Rauffs Einsatzkommando weilte seit November 1943 in Tunesien. Sämtliche tunesischen Juden wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet und ausgeplündert. Dem Wunsch der Wehrmacht und des RSHA entsprechend, versuchte Husseini währenddessen, die Kollaborationswilligkeit der Einheimischen zu fördern und mit Hilfe der Reichsregierung seine antisemitische Propaganda zu streuen, da der Judenhass dort weniger grassierte. Glücklicherweise beendete die endgültige Kapitulation der »Heeresgruppe Afrika« vom 13. Mai 1943 derlei Bemühungen.
Neben dem Nahen und Mittleren Osten nennen Mallmann und Cüppers weitere Fälle, in denen Nazideutschland und muslimische Kräfte kooperierten und Kriegsverbrechen begingen. Muslimische Bosnier und Albaner gehörten Einheiten der Wehrmacht und der SS an, nachdem sie militärisch und ideologisch geschult worden waren. Es wurde gar angeordnet, deren kulturelle Bräuche im Kriegsalltag zu berücksichtigen und ihnen muslimische Geistliche zur Seite zu stellen.
Trotz der sich abzeichnenden Kriegsniederlage Nazideutschlands ließen Persönlichkeiten wie Husseini nicht davon ab, in Rundfunkansprachen den »Heiligen Krieg« zu propagieren und den Untergrund zu reorganisieren. »Nach 1945«, so Mallmann und Cüppers, »war die Affinität zum Nationalsozialismus in der arabischen Welt weitgehend ungebrochen.« Das durchaus populäre Bild, »die rassistische Komponente in der nationalsozialistischen Ideologie habe eine Schranke zwischen Deutschen und Arabern gebildet«, wird von ihnen in Frage gestellt. In ihrer lesenswerten und materialreichen Studie stellen sie fest, dass die Deutschen die »Endlösung der Judenfrage in Palästina« sehr genau geplant und vorbereitet haben. Dabei waren die Deutschen sich der weitgehenden Hilfswilligkeit der Muslime gewiss. Dank der alliierten Gegenoffensiven trat diese Katastrophe nicht ein.
Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers: Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, 280 Seiten, 49,90 Euro
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