In der offiziellen “Europa”-Politik will die Freude in dieser Woche schon wieder keinen Anfang finden. Nachdem in Italien etwas für das “Projekt” Wesentliches nicht ganz geklappt hat und sich die absolute Mehrheit in demokratischer Abstimmung gegen “mehr Europa” entschieden hat, musste gestern auch die Regierung von Premierminister David Cameron in Nachwahlen einen Haken kassieren.
In der idyllisch gelegenen Kreisstadt Eastleigh in Hampshire, im wirtschaftlich florierenden Süden von England, zwischen Erdbeerfeldern und hundertjährigen Hecken, also dort, wo die Welt noch in Ordnung ist, war ein Parlamentssitz in Westminster vakant geworden.
Chris Huhne, der liberal-demokratische formalige Abgeordnete, hatte kurz nach den letzten general elections zurücktreten müssen, nachdem ruchbar wurde, dass er seine speeding points (die britische Analogie zur Verkehrssünderkartei) seiner ihm angetrauten Gattin aufs Auge gedrückt hat, und zwar unter Ausnutzung seines Amts, ausgerechnet als britischer CO2- und Klima-Kommissar, und nach der Devise “freie Fahrt für freie Bürger”. Nun ja, das mag sehr liberal sein, aber ganz legal ist es nicht.
Dass die Nachwahl in Eastleigh zudem während eines der schlimmsten Sex-Skandale stattfand, den die LibDems je zu gewärtigen hatten (und es gab da schon einiges, angefangen von Strichern, die über die Staatskasse abgerechnet wurden), störte das Eastleigh-Elektorat offenbar nur ganz am Rande.
“Experten” hatten zuvor befürchtet, die Gerüchte, Lord Rennard, Ex-Vorstand der Partei, würde zum Feierabend regelmäßig Wahlhelferinnen zu sexuellen Gefälligkeiten nötigen (von zwölf derartigen Episoden war zuletzt die Rede, und fünf junge Damen werden juristische Schritte einleiten), könnten dem Wahlerfolg der LibDems durchaus Abbruch tun.
Später am Wahltag, nachdem die ersten exit polls (Nachwahlbefragungen) veröffentlicht wurden, und sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Euro-kritischen UK Independence Party abzeichnete, hieß es dann von diesen selben “Experten”, der Ruf der britischen “Politik” sei inzwischen derartig ruiniert, dass einem gestandenen Liberal-Demokraten auch derartige Skandale nichts mehr anhaben könnten.
Liberal sein, das weiß man nicht erst seit Loriot, heißt eben in erster Linie liberal sein. Und so konnten die LibDems sich gegen zwei Uhr in der Frühe tatsächlich darüber freuen, dass ihnen die guten Leute von Eastleigh die Eskapaden von Chris Huhne und die Gerüchte über Lord Rennard ganz diskret vergeben und vergessen hatten, und Mike Thornton ihr frischgebackener MP sein soll:
32% für die Liberal-Demokratische Partei
28% für die UK Independence Party
25% für Maria Hutchings von der Conservative Party
28% für die UK Independence Party
25% für Maria Hutchings von der Conservative Party
In Eastleigh ist die Welt, wie gesagt, noch in Ordnung. Könnte man meinen, wären da nicht diese beiden nicht ganz unwesentlichen Details: Zum einen kam David Camerons Tory-Party nur auf den dritten Platz. Und zum anderen liegt die Euro-kritische UKIP von Nigel Farage in Eastleigh nur um 1.800 Stimmen bzw. 4% hinter den LibDems.
Es war im Umfeld des Tory-Hauptquartiers zuvor sehr oft die Rede davon, dass die Conservative Party unmöglich die Wahlen 2015 gewinnt, wenn sie in Wahlbezirken wie Eastleigh nicht punktet. Also in Wahlbezirken, in denen die Welt noch in Ordnung ist, wie gesagt. Und solche Wahlbezirke gibt es in Groß-Britannien noch immer zuhauf, anderslautender Propaganda zum Trotz.
Das Ergebnis der Nachwahl in Eastleigh kann von daher kein Anlass zu großer Freude gewesen sein für den derzeitigen Bewohner von 10, Downing Street. War Ende letzter Woche doch schon der Kurs des Schatzkanzlers Ihrer Majestät, George Osborne, dem unnachgiebigen Verdikt der Rating-Agentur Moody´s zum Opfer gefallen: Klassenziel nicht erreicht.
Seitdem ist Groß-Britannien sein Tripple-A-Rating los, die Bestnote, die es so gut wie abonniert hatte, seit Margaret Thatcher das Land in den 70ern davor bewahrt hatte, sich unter der Gewerkschafts-Knute zum Albanien der westlichen Welt zu entwickeln.
Nun ja, bleibt das Abschneiden der UKIP, der Unabhängigkeits-Partei. Deren Programmatik ist über weite Strecken ein wenig diffus, macht sich inhaltlich aber an einem wesentlichen Eckpunkt fest: Die Bevölkerung soll in demokratischen Abstimmungen selbst darüber entscheiden, was für sie richtig ist.
Das ist offensichtlich keine Selbstverständlichkeit, denn sonst könnte es keine politische Forderung sein. Und daraus leitet sich dann als wesentliche Aufgabe ab, jegliche Zusammenarbeit mit den Organen der EU unverzüglich zu beenden, weil sich “Europa”, aufgrund seiner allseits bekannten “Demokratiedefizite” unmöglich anmaßen könne, für die Menschen auf den britischen Inseln und einigen Überseeterritorien zu sprechen, geschweige denn sie zu regieren. So geht die Linie der britischen Unabhängigkeits-Partei.
Frau Dr. Merkel, Bundeskanzlerin, hat sich von Mr Farage erst unlängst in einer Fragestunde, die sie im sogenannten “Europa-Parlament” abgehalten hat, einen persönlichen Eindruck vermittelt. Wer sich für diesen Wortwechsel interessiert, kann an dieser Stelle einen Eindruck davon bekommen: http://www.youtube.com/watch?v=w5VsW1W2Zek
Selbstverständlich sind derartige Positionen im EU-Establishment als Populismus verschrien, denn sie stellen sich quer zu so gut wie allen etablierten Linien von “Medien” und “Politik”. Es steht nebenbei auch zu vermuten, dass der Staatsfunk eine intensive Anti-Populismus-Kampagne lostreten wird, lang und schmutzig, vor allem aber auf Kosten der Allgemeinheit, pünktlich zur September-Wahl.
Man kann es den Funktionären des Status Quo nicht verdenken, dass sie das tun, immerhin hängt deren Lebensplanung davon ab (vor allem bei den “Grünen”, die ihre Klientel insbesondere aus den Beamten der gehobenen und höheren Besoldungsgruppen rekrutieren).
Es geht also bei der “politischen” Dresche, die der “Populismus” jetzt kassiert, um nicht mehr und nicht weniger als die Besitzstandswahrung der etablierten “Linken” oder sonst irgendwie “Alternativen”, die es sich in “Politik” und “Medien” bequem gemacht haben. Es wäre ja auch unlogisch, wenn sich der lange Marsch durch die Instanzen für sie nicht gelohnt hätte.
Was nun die Positionen der UKIP in der Tat ziemlich schwer verdaulich macht, sind deren Forderungen zur Einwanderung. Auf diesem Gebiet scheint das Programm und diese Partei sich zum Vehikel simplistischer Forderungen zu machen und ist gegen diverse Ressentiments und xenophobe Stimmungslagen nicht ausreichend isoliert.
Im Hinblick auf “Europa” unterscheidet sich das Wahlergebnis in Eastleigh jedoch nicht wesentlich vom Ergebnis der Italien-Wahl: Die absolute Mehrheit ist jeweils für Parteien, die skeptisch oder kritisch sind, wenn es um die vermeintlichen Erfolge der EU geht. Angesichts des demokratischen Legitimitätsdefizits der EUdSSR hätte jedes andere Resultat am Bewusstseinszustand des Elektorats und an seiner demokratischen Reife zweifeln lassen.
Ach ja, Labour! Die britische Sozialdemokratie war gestern auch angetreten und ist mit rund 4.000 Stimmen auf Platz vier gekommen, das sind 10% und fast genauso viele, wie beim letzten Mal. Und das, wo ihr Chef, Ed Miliband, doch extra einen ganz besonders “zugkräftigen” Kandidaten aufgestellt hatte. Naja, wenn das alles ist, was “unser Bester” kann, wie schneidet dann wohl einer von “unseren” Schlechteren ab?
Gerrit Liskow via haolam
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