Monday, October 23, 2017

Armutszeugnis

Wer wissen möchte, wie es um die deutsche Antisemitismusforschung bestellt ist, der lese Abraham Melzers »Die Antisemitenmacher« und rufe sich bei der Lektüre immer wieder in Erinnerung, daß, wie die »kritische Website« NachDenkSeiten kolportiert, »Michael Kohlstruck vom Zentrum für Antisemitismusforschung [..] das Buch als ›einen wichtigen Debattenbeitrag‹ [bezeichnet]«.
Das kürzlich erschienene Buch des ehemaligen Herausgebers der Zeitschrift Der Semit ist tatsächlich eine Mischung aus Autobiographie, Anklagen gegen Menschen, die sich, so scheint’s, gegen den Autor zusammengetan haben, und weiterer kruder Verschwörungstheorien. Eher nebenher wird Israel wenig fundiert angegriffen und dafür die extremistische BDS-Bewegung maßlos glorifiziert.
Bei der Befassung mit dieser Bewegung offenbart sich eine weitere Schwäche des Buchs: Abraham Melzer – und ein lausiges Lektorat – ignoriert Fakten. Nach eigener Auskunft wurde die BDS-Bewegung 2005 von der »palästinensischen Zivilgesellschaft« ins Leben gerufen, glaubt man dem Autor, entstand sie hingegen »ursprünglich in Israel« und müßte sich damit wohl selbst boykottieren.
Wieder und wieder, grob geschätzt in jedem dritten Absatz, erwähnt Abraham Melzer den Publizisten Henryk M. Broder, der »seit bald einem Vierteljahrhundert« versuche, »mit Chuzpe, Verlogenheit und Rücksichtslosigkeit [..] jede Kritik an Israel und seiner verhängnisvollen Politik zu desavouieren, zu diskreditieren, zu verunglimpfen und gesellschaftlich inakzeptabel zu machen.«
»Der Schaden«, so der Autor weiter, »den er damit anrichtet, für die jüdische Gemeinschaft und für unsere Demokratie, ist kaum zu bemessen.« Nun muß man gerade jüngeren Veröffentlichungen Henryk M. Broders nicht unbedingt wohlwollend zustimmen, daß er ein Fall für Verfassungsschützer sein soll, ist aber doch ein wenig übertrieben. Abraham Melzer ist es, der hier mit Dreck wirft.
Es gehe Henryk M. Broder, behauptet Abraham Melzer, »um nicht weniger und nicht mehr als um die Zerstörung von Existenzen und um die Unterdrückung eines politisch legitimen und notwendigen Diskurses in diesem Land«. Und wieder möchte man sich fragen, ob es nicht ein, zwei Nummern kleiner geht. Geht es nicht. Nicht für Abraham Melzer, der überall Marionetten Israels sieht.
Da ist vom Zentralrat der Juden in Deutschland und jüdischen Gemeinden die Rede, »die sich als inoffizielle ›Vertreter‹ des Staates Israel gerieren«, dort wird angesehenen Autoren wie Esther Schapira und Georg M. Hafner unterstellt, ihre Bücher seien in »der deutschen Abteilung des riesigen Propaganda-Ministeriums in Jerusalem« entstanden. Abraham Melzer kann es sich »vorstellen«.
Und die Vorstellung allein reicht ihm als Beleg für seine steile These. »Die Antisemitenmacher« hat mit Seriosität wenig gemein, das Buch bietet weder eine unterhaltsame noch irgendwie bereichernde Lektüre. Gilt es im Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin als ein »wertvoller Debattenbeitrag«, fragt man besser nicht, was dort sonst noch getrieben wird.
https://www.tw24.net/?p=13986

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