Marlies Emmerich
BERLIN. Seit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten sieht sich der Zentralrat der Juden in Deutschland mit einer Flut von antisemitischen Zuschriften konfrontiert. "Seit dem Ausbruch der Kämpfe im Nahen Osten kommen täglich bis zu 200 E-Mails bei uns an", sagt Zentralratssprecherin Jacqueline Hopp. Fast ausschließlich handele es sich dabei um Schreiben mit einem "sehr negativen Tenor gegenüber Israel und den Juden." Auch in der Berliner Jüdischen Gemeinde, der größten in Deutschland,wird über zunehmenden Anti-Judaismus geklagt.In einem Schreiben wird von einer "Mörderbande unter dem Davidstern"gesprochen und ein Vergleich mit der SS gezogen. In dem Brief wirdempfohlen: "Es ist ander Zeit für einen neuen Führer, der dem Judenvolk wieder die Grenzen zeigt." Ein anderer schreibt: "Wenn ich etwas zu sagen hätte, ich würde euch nicht töten, ich würde euch auf die entfernteste Insel bei Wasser und Brot verbannen. Nehmt euch nicht so viele Rechte heraus..."In der Regel sind die E-Mails nach Angaben des Zentralrates anonym verfasst. Viele notieren einfach, dass man sich einmal mehr bestätigt sehe, den "Juden" alles Böse zuzutrauen. Es sei dagegen ein "Hohn", Deutschen "immer wieder" ein schlechtes Gewissen einreden zu wollen. Oft ist von "Selbstjustiz" und "Herrenmenschentum" die Rede. Der Zentralrat wird auch gefragt, was "ihr" (gemeint sind Israelis) mit den Nachbarn macht, um dann festzustellen, dass die Kriegshandlungen der Israelis "noch ein paar Nummern größer" seien als der Holocaust. Der Generalsekretär des Zentralrates, Stefan Kramer. sagt dazu: "Man könnte in tiefste Depression verfallen."In einer norddeutschen Stadt war ein Jude mit einer Kippa, die traditionelle Kopfbedeckung der Männer, bespuckt worden. Und nur nach Intervention konnte in Trier eine mit ausdrücklichem Hinweis auf den Nahostkonflikt abgesagte Veranstaltung mit der Berliner Kantorin Avira Gerstetter stattfinden.Auch in der Berliner jüdischen Gemeinde haben Anrufe mit antisemtischen Inhalten zugenommen, sagt Gemeindechef Gideon Joffé. Vielmehr Sorgen als die Anrufe bereitet Joffé allerdings, dass sich Gemeindemitglieder im Alltag bedroht fühlen. Schon im Juli hätten sich Eltern gemeldet, deren Kinder auf Grund ihres jüdischen Glaubens beschimpft worden seien. Die Beschwerden würden Schulen aus allen Bezirken betreffen. Dabei gehen Joffé zufolge die Aggressionen gegen jüdische Schüler "quer durch alle anderen Religionen", also nicht nur von Muslimen aus.Mehrere Schüler seien deshalb schon im letzten Jahr auf den jüdischenRealschulzweig gewechselt. Joffé rechnet damit, dass nach den Ferien die Anfragen wieder zunehmen. Ursprünglich sollte dieser Zweig an der Berliner Oberschule aus Kostengründen schließen. "Daran ist überhaupt nicht mehr zu denken", sagt Joffé. Aus Verantwortung gegenüber den Mitgliedern müsse die Schule erhalten werden.
Berliner Zeitung
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