Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Als Bundeskanzler Hellmut Kohl zu seinem ersten offiziellen Besuch in Israel antrat, brachte er den Spruch "Gnade der späten Geburt" mit. Dummerweise hat am Abend vor Kohls Ankunft ein flinker Journalist in Filmarchiven eine Szene entdeckt, die Kohl der Lüge strafte: Kanzler Kohl, auf einem Schützenpanzer im Gespräch mit einem Soldaten erzählt, unter Hitler als Flakhelfer gedient zu haben.
Jetzt hat sich ein anderer deutscher "Flakhelfer" zu seiner Vergangenheit bekannt: Günther Grass. Die Reaktionen sind gespalten und reichen von Enttäuschung bis Anerkennung, im Sinne von "Lieber spät als nie".
Frank Schirrmacher von der FAZ beschrieb den freiwillig zur Waffen-SS gemeldeten 17-Jährigen: "Das ist keine Frage von Schuld und Verbrechen. Grass war ein halbes Kind." Grass, am 16. Oktober 1927 in Danzig geboren, hatte bei Kriegsende sein 18. Lebensjahr noch nicht erreicht. Er hat wohl ein halbes Jahr bei der 10. SS-Panzerdivision "Frundsberg" gedient. In den letzten Kriegsmonaten wurde sie von Holland (Arnheim) in den Osten verlegt und aufgerieben. Die Überlebenden wurden von den Amerikanern an der Elbe in Gefangenschaft genommen. Ein Panzerschütze bei blutigen Kämpfen ist im Alter von 17 kein "halbes Kind" mehr.
Zur Entlastung von Grass sagt der Historiker Dani Uziel von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vaschem in Jerusalem: "Die 10. SS-Panzerdivion kämpfte in Arnheim, wo britische Gefangene das anständige Verhalten ihrer Soldaten hervorhoben. Auch beim ihrem Einsatz im Osten wurde nichts über Kriegsverbrechen bekannt." Bis zum Nürnberger Prozeß hielt Grass den Holocaust für eine Erfindung der Alliierten. Das verlangt eine Neubewertung seines Verhältnisses zu Juden und Israel.
Grass bezeichnet sich als Freund Israels. Besucht hat er das Land nur zweimal. 1967, bei einer Lesung in Tel Aviv empört er sich, dass der "Antisemitismus der Eltern ... den Kindern zum gegenstandslosen Philosemitismus" geriet. Auschwitz relativierend, sagte der deutsche Schriftsteller: "Kaum eine europäische Nation hat es gegeben, die sich nicht zeitweilig das Verbrechen zum politischen Verbündeten gewählt hatte." 1971 kam er im Rahmen einer historisch zu früh angesetzten "Deutschen Kulturwoche" nach Jerusalem. Bei einem Vortrag wurde Grass mit Tomaten beschmissen. Der "Freund Israels" schwor, niemals mehr den Judenstaat zu besuchen. Er hielt sich daran, bis heute.
Leo Ginster veröffentlichte im Juli 2004 eine Analyse des Verhältnisses von Grass zu Auschwitz, Juden und Israel. Er beschreibt eine öffentliche Auseinandersetzung zwischen dem israelischen Schriftsteller und Friedensaktivisten Yoram Kaniuk mit Grass während des Golfkriegs von 1991. Israel war damals von irakischen Scud-Raketen bedroht, die mit Giftgas aus Deutschland gefüllt sein könnten.
Ginster schreibt: "Grass reagiert hochgereizt auf die Frage, wo er war, als jüdische Demonstranten vor den Toren deutscher Chemiekonzerne standen. Er spricht fortan an Kaniuk vorbei zum Publikum, erwähnt immer wieder die Palästinenser und stellt die Parole "Blut für Öl" in den Raum. Kaniuk erinnert sich: "...nach etwa zwanzig Minuten also kam der Junge zum Vorschein, der einst der Hitlerjugend angehört, jener junge Mann, der tieffliegende amerikanische Flugzeuge beschossen hatte; die Blechtrommel verwandelte sich in jemand anderen, in eine Stahltrommel vielleicht ... Zum Schluss fiel alles ab und wurde vom Winde verweht, wir blieben dort nackt, ich war mein Großvater, er sein Großvater, der Deutsche gegen den Juden."
"Wie antisemitisch ist Günter Grass?" fragt Ginster. 1971 schrieb Grass gemäß dem antisemitischen Prinzip, dass die Juden an ihrem Unglück selber schuld seien: "So hat Israel durch die schleichende Annexion der besetzten Gebiete den arabischen Staaten einen Vorwand für deren Angriff geliefert." Präsident Ahmadinidschad will seit vergangenem Herbst Israel von der Landkarte löschen. Der Israelfreund Günter Grass kam jedoch dem iranischen Präsidenten bei Spiegel-Online schon im Oktober 2001 zuvor: "Israel muss aber nicht nur die besetzten Gebiete räumen. Auch die Besitznahme palästinensischen Bodens und seine israelische Besiedelung ist eine kriminelle Handlung. Das muss nicht nur aufhören, sondern rückgängig gemacht werden." Im gleichen Interview schwang der kritikfreudige Grass auch eine andere Keule: "Es ist für mich auch ein Freundschaftsbeweis Israel gegenüber, dass ich es mir erlaube, das Land zu kritisieren - weil ich ihm helfen will ... Solche Kritik aber zu kritisieren - damit muss man aufhören..." Es fehlte nicht einmal das klassische antisemitische Klischee mit Hinweis auf die alttestamentarische Rachsucht der Juden: "Aber dieses Auge um Auge, Zahn um Zahn der gegenwärtigen Politik schaukelt allen Zorn nur noch weiter hoch."
Yoram Kaniuk bemerkte nur zufällig die wahre "politische Stoßrichtung" des Grass-Buches über die gesunkene Wilhlem Gustlof, jenes Buch, mit dem die Deutschen vom "Täter" zum "Opfer" gewandelt wurden. "Grass behauptet, dass ein gewisser David Frankfurter einst den Nazi Wilhelm Gustloff tötete, der dann zum Symbol und Märtyrer der Deutschen wurde und nach dem das Schiff benannt wurde." Gemäß Grass sei der Jude Frankfurter nach dem Krieg nach Israel geflüchtet und dort im Verteidigungsministerium angestellt worden. Kaniuk schreibt: "Der Plot gemäß Grass lautet also: erst einen Nazi töten, dann flüchten, dann Araber töten. Das ist Grass. Jetzt habe ich selbst noch mal nachgeforscht: Frankfurter ging nach Israel und arbeitete für die "Jewish Agency" und half jüdischen Flüchtlingen." Kaniuk bezichtigt Grass, "die Geschichte absichtsvoll umgelogen" zu haben. "Da begriff ich, was für ein mieser Lügner dieser Grass ist."
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
No comments:
Post a Comment