Tuesday, January 17, 2006

Atome gespalten, Mullahs nicht

Der Antizionismus und die Atomfrage eint die verschiedenen Fraktionen im iranischen Machtapparat. Das Hoffen auf die Reformer ist eine Illusion. von udo wolter

Die europäischen Politiker lassen sich nicht beirren. Mag der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad damit drohen, Israel zu vernichten, und den Holocaust leugnen, oder der Iran sein Programm zur Anreicherung von Uran wieder aufnehmen – nicht nur der österreichische Bundeskanzler und EU-Ratsvorsitzende Wolfgang Schüssel setzt weiter auf »Kräfte der Vernunft« im Iran. Doch wo soll man die finden, nachdem die von der EU so lange hofierten »Reformkräfte« um Mu­ham­mad Khatami nicht die gewünschten politischen Erfolge herbeigeführt haben und fast alle Schaltstellen der Macht von »Konservativen« und Hardlinern besetzt worden sind?

Allerdings zeigt gerade das iranische Atomprogramm, dass die Unterscheidung zwischen »Reformern« und Hardlinern nur bedingt tauglich ist. Denn ungeachtet aller internen Differenzen und Querelen gibt es keine Fraktion in der offiziellen iranischen Politik, die die Grundlagen des islamistischen Regimes anzweifeln würde.

Ganz wie die heutigen Machthaber beteuerte auch der vormalige Präsident und »Reformer« Khatami, dass der Iran den Besitz von Atomwaffen nicht anstrebe, und verteidigte zugleich das Nuklearprogramm als ein »nationales Recht«. Auch in seiner Amtszeit betrieb der Iran jahrelang ein Katz- und Mausspiel mit den Inspektoren der Internationalen Atombehörde, und immer wieder tauchten Hinweise auf ein heimliches Atomwaffenprogramm auf.

Erst kürzlich bekannte sich der damalige Leiter der iranischen Verhandlungsdelegation, Hussein Mussavian, in einem Fernsehinterview zu der bewährten iranischen Hinhaltetaktik: »Dank der Verhandlungen haben wir ein Jahr gewonnen, in dem wir die Konversionsanlage in Isfahan fertig stellten.« Gemeint waren die Gespräche, die Großbritannien, Frankreich und Deutschland im Namen der EU mit dem Iran führten.

Dass dort nun ein Präsident amtiert, der ebenso wie die Mehrheit des Parlaments zu den konservativen bis radikalen »Prinzipientreuen« der so genannten islamischen Revolu­tion gehört, bedeutet allerdings nicht, dass ein völlig einheitlicher Machtblock existiert. So musste es Ahmadinejad als erster Präsident der Islamischen Repu­blik überhaupt hinnehmen, dass das Parlament einige seiner Kandidaten für Ministerämter durchfallen ließ.

In den vergangenen Jahren sind eine Reihe von Figuren aus den paramilitärischen Revolutionsgarden, den Pasdaran, in alle wichtigen politischen Gremien aufgestiegen. Dies hat zu einer erheblichen Militarisierung des Machtapparats geführt. Bis zur Präsidentschaftswahl im Juni letzten Jahres unterstützte der oberste religiöse Führer Ali Khamenei diese Entwicklung. Doch als mit Ahmadinejad erstmals ein Nichtkleriker zum Präsidenten gewählt wurde, der ebenfalls eine Karriere als Kommandeur der Pasdaran hinter sich hatte, befürchtete Khamenei wohl, dass der Klerus an Einfluss verliert.

Er reagierte darauf, indem er die Befugnisse des Schlichterrats, der höchsten Vermittlungsinstanz, und des Vorsitzenden Hashemi Rafsanjani stärkte. Er übertrug einen Teil seiner eigenen Kompetenzen auf dieses Gremium, insbesondere die Aufgabe, die »Art der Realisierung der allgemeinen Politik des Staates« zu bestimmen und die »drei Gewalten zu kontrollieren«. Damit stieg Rafsanjani zum zweitmächtigsten Mann im Gottesstaat auf, der in der Hierarchie nun über Präsident Ahmadinejad steht. Zugleich berief Kha­me­nei auch »Reformer« wie den früheren Präsidenten Khatami in den Schlichterrat.

Bei diesen Maßnahmen, die im Übrigen vor Ahmadinejads antisemitischen Tiraden stattfanden, ging es jedoch keineswegs um eine politische Stärkung der »gemäßigten« Kräfte. Beobachter wie der oppositionelle Intellektuelle Mohsen Sazegara sehen darin vielmehr ein Indiz dafür, dass nicht nur zwischen den konservativen Mullahs und dem Pasdaran-Flügel ein Machtkampf tobt, sondern auch zwischen verschiedenen Gruppen der Mullahs.

Die betätigen sich nicht zuletzt auch als Rackets mit handfesten ökonomischen Interessen. Das gilt vor allem für Rafsanjani, dessen Clan ein gigantisches Handelsimperium aufgebaut hat und mit gleich zwei von seinen Töchtern gegründeten, technokratisch orientierten Parteien im Parlament vertreten ist. In der Bevölkerung aber ist er als korrupt und ausbeuterisch verhasst, weshalb Ahmadinejad mit seinen sozialpolitischen Versprechen und der fundamentalistischen Parole von der »Rückkehr zu den Werten der islamischen Revolution« es nicht allzu schwer hatte, sich bei den Präsidentschaftswahlen gegen ihn durchzusetzen.

Sicher existiert ein gewisses Konfliktpotenzial zwischen »pragmatischen« Mullahs wie Rafsanjani einerseits, die an guten Geschäften mit westlichen Staaten interessiert sind, und der mit Khameneis Hilfe aufgerückten Elite der Revolutionsgarden andererseits, die an einer ideologisch harten Linie festhalten.

Michael Rubin vom »American En­ter­prise Institute« weist darauf hin, dass diese auch in viele Führungspositionen der »revolutionären Stiftungen« vorgedrungen sind, die unter anderem den Auslands- und den Währungshandel monopolisieren. Von dort aus versuchen sie schon mal, lukrative Geschäfte wie die Vergabe des Betriebs von Telefonnetzen oder des Teheraner Flughafens an ausländische Firmen zu verhindern. Gleichzeitig kontrollieren sie auch das Atomprogramm und die meisten rüstungstechnischen Projekte.

Dabei ist das Atomprogramm keine originäre Idee der Mullahs, sondern geht auf den Schah zurück. Zu seinen Befürwortern gehören nicht nur alle Fraktionen des Machtapparats, sondern auch Angehörige der säkularen Exilopposition. Die mögliche Entwicklung von Atomwaffen durch das Regime der Mullahs bedeutet allerdings eine ganz andere Qualität, vor allem wenn man die israelfeindliche und antisemitische Staatsdoktrin ernst nimmt.

Dafür, dass sie ernst gemeint ist, stehen nicht nur die als »Hardliner« eingestuften Kräfte um Ahmadinejad. Der »Reformer« Khatami hat in einem Interview des Schweizer Fernsehens noch im Jahr 2004 explizit das Existenzrecht Israels bestritten. In derselben Diktion wie nun Ahamdinejad sprach er 1998 in einer Predigt zum »al-Quds-Tag« von Israel als einer »nicht heilbaren Wunde im Körper des Islam«.

Und Rafsanjani, der als Befürworter einer »gemäßigt pragmatischen« Linie hierzulande das Wohlwollen einiger Mullah-Astrologen aus deutschen außenpolitischen Thinktanks genießt, hat als bislang einziger hochrangiger iranischer Politiker offen mit der Atombombe gegen Israel gedroht. Bei einem Treffen mit Khaled Mashaal, dem politischen Führer der palästinensisch-islamistischen Hamas, verkündete er vor wenigen Wochen: »Die Tage der Zionisten sind gezählt.«

Dazu passt, dass der Iran nach Angaben von Hamid Resa Assefi, Sprecher des Außenministeriums, eine Konferenz plant, um das »Ausmaß« des Holocaust zu bewerten. Informationen der Nachrichtenagentur AKI zufolge will der »Verband islamischer Journalisten im Iran« demnächst eine ähnliche, internationale Konferenz in Teheran abhalten, auf der über den »Wahrheitsgehalt der Version, die die Europäer und Zionisten über den Judenmord während des großen Krieges verbreitet haben«, debattiert werden soll. Ob zu der Konferenz so illustre »Holocaustforscher« wie Horst Mahler und Robert Faurisson eingeladen werden, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

jungle-world.com

No comments: