Thursday, January 12, 2006

Die Grünen fürchten um ihren Ruf

von Carsten Fiedler

Die Vorwürfe gegen deutsche Geheimdienstmitarbeiter hatten bei den Grünen-Abgeordneten längst die Runde gemacht, doch Fraktionschef Fritz Kuhn wollte mit einer guten Nachricht in den zweiten Tag der Klausur in Wörlitz starten: Fraktionskollege Alexander Bonde habe Geburtstag, jetzt werde erst mal gesungen. Erst nach dem Ständchen kam Kuhn auf "diese BND-Geschichte" zu sprechen, zu der seine Co-Fraktionschefin etwas sagen wolle. Renate Künast, die sich schon morgens mit den Sicherheitspolitikern der Fraktion und Parteichefin Claudia Roth besprochen hatte, gab dann die grüne Linie vor: Die angeblichen Operationen des BND in Bagdad müßten vollständig aufgeklärt werden, und zwar nicht nur im "geheimen Kämmerchen" des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG). Später sprach Künast von einer "Bombe" und der "Stunde der genauen Aufklärung". Für Mittwoch hat die Fraktion die Unterrichtung des Auswärtigen und des Innenausschusses durch die Bundesregierung und eine Aktuelle Stunde im Bundestag beantragt.

Trotz des bezeugten Aufklärungswillens sind die neuerlichen BND- Enthüllungen für die Grünen äußerst heikel - fallen sie doch wie auch die CIA-Affäre in die Zeit, in der Joschka Fischer Vizekanzler und Außenminister der rot-grünen Regierung war. Seinen Fraktionskollegen versicherte Fischer eilig, er habe zwar von den beiden BND-Mitarbeitern im Irak gewußt, mehr aber auch nicht. Vor Journalisten sagte er, "die Vorwürfe, die seit gestern in den Medien sind, sind mir vertraut, aber der Sachverhalt sagt mir nichts". Jetzt müsse aufgeklärt werden, "und dann muß das bewertet werden". Der laut Parteichef Reinhard Bütikofer "ungeheuerliche Vorwurf", der BND habe mit Wissen der Bundesregierung die US-Truppen im Irak unterstützt, trifft die Grünen ins Mark. Claudia Roth drückt es noch zurückhaltend aus: "Das wäre ein eklatantes Zuwiderhandeln gegen das deutsche Nein zum Irak-Krieg." Ein Sicherheitspolitiker formuliert es drastischer: "Im schlimmsten Fall hieße das, der BND hätte mit Billigung der rot-grünen Regierung den Angriffskrieg im Irak unterstützt." Die möglichen Folgen für die Glaubwürdigkeit der Grünen seien "dramatisch".

Der Sorge um ihren Ruf als Friedens- und Bürgerrechtspartei zum Trotz wollen sich die Grünen diesmal - anders als in der CIA-Affäre - mit an die Spitze der Aufklärungsbewegung setzen. Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele sagte der WELT, wenn die Vorwürfe nicht schnell entkräftet würden, sei ein Untersuchungsausschuß "sehr wahrscheinlich". Der Rechtsexperte Jerzy Montag äußerte die Vermutung, die BND-Mitarbeiter müßten "auf Anweisung von höchster Stelle gehandelt" haben. Das bedeute, daß zumindest der damalige Kanzleramtschef und heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) über die Vorgänge informiert gewesen sein müßte. Montag warnte vor "verhängnisvollen Folgen für die Sicherheitslage in Deutschland", die die BND-Operationen haben könnten. Als eine Konsequenz der Affären um die Nachrichtendienste müsse die umfassende Geheimhaltungspflicht in der PKG aufgehoben werden. In der seit Wochen schwelenden CIA-Affäre machte Joschka Fischer einen Schritt nach vorn: Er reagierte auf die Drohung der FDP mit einem Untersuchungsausschuß.


Wenn die Liberalen einen U-Ausschuß wollten, "habe ich da keine Probleme mit", so Fischer. "Ich habe da nichts zu verbergen."

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