Der heimliche Orientalismus Deutschlands,durchleuchtet von Fred Alan Medforth
Tuesday, July 21, 2015
Das EU Sommertheater präsentiert: The Europe to end all Europe
von Gerrit Liskow
Vor 150 Jahren, bei der Erstbesteigung des Matterhorns, galt es als wissenschaftlicher Konsens (Obacht, liebe Klimafreunde), dass alle Mitglieder einer Seilschaft sich mit ein und demselben Seil aneinander und nicht etwa am Berg festzurren sollten. Die Folgen dieser Lehre waren in der Praxis fatal, denn derlei Seilschaften-Solidarität führte dazu, dass, wenn einer stürzte, auch alle anderen mit ihm in den Tod gerissen wurden – auch die, die sich hätten retten können. So viel zur sozial gerechten Risikoverteilung.
Und nun zu etwas ganz anderem: Mehreuropa. Selbstverständlich ist das Euro-Dilemma nicht annähernd so bedrohlich wie die Situation von Freizeitsportlern in den Alpen oder im Himalaya. Immerhin bestehen Seilschaften meist „nur“ aus einer Handvoll Leuten – in der EU hingegen leben viele hundert Millionen Menschen.
Und an deren Lage hat sich durch die neuerliche Griechenland-Rettung nichts Wirkliches zum Besseren gewendet: Noch immer sind am Süd- und Westrand der Großeuropäischen Wohlstandssphäre etliche Millionen nicht mehr auf wirtschaftlich sinnvolle Art in der kapitalistischen Gesellschaftsform unterzubringen.
Im laufenden Krisenjahrzehnt haben bereits viele Hunderttausende die Reise aus den Pleitezonen der EU in die letzte verbliebene Wachstums-Oase der EU angetreten: ins Vereinigte Königreich, der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaft der entwickelten Welt.
Das bessert nichts an der Lage in deren Heimatländern, im Gegenteil: Hier ist die Investition in eine ganze Generation jungen, gut ausgebildeten und hoch motivierten Humankapitals (früher sagte man ganz einfach Menschen dazu) durch die Lappen gegangen – dank des auf epochale und monströse Art gescheiterten Freilandversuchs mit der vermeintlichen „Einheitswährung“.
Vermeintlich, denn der Euro ist in Wahrheit natürlich keine Einheitswährung. So etwas würde eine gemeinsame Steuer- und Finanzpolitik seiner Mitgliedsländer voraussetzen. Er ist lediglich ein zugunsten seines wirtschaftlich stärksten Mitglieds stabilisiertes System fester Wechselkurse.
Nichts wird daran etwas ändern, solange der Wille dazu fehlt; und so sehr wie momentan hat der noch nie gefehlt. Die schwedische Regierung hält die anstehende Einführung des Euro „in den nächsten Jahrzehnten“ für unwahrscheinlich, in Warschau sieht man die Dinge ähnlich.
Die schwedische „Europa-Kritik“ basiert übrigens nicht etwas auf der Beobachtung, dass die EU ihre Bevölkerung seit Jahren immer ärmer macht. Sondern darauf, dass die „politische“ Konkurrenz des schwedischen Champagner-Sozialismus am Ende womöglich Recht behalten könnte. Jaja, Sozialdemokraten meinen es eben nur gut – vor allem mit sich selbst.
Dass mit der dritten Griechenlandrettung (innerhalb von fünf Jahren) alles anders würde, kann man nur noch glauben, wenn man den Kopf voller Sauerkraut hat oder auf der Bundestagstoilette Pattex schnüffelt; warum ich jetzt ausgerechnet an diesen Tweet von Peter Altmaier (CDU) denken muss, kann ich Ihnen auch nicht sagen, meine Damen und Herren.
Fifty shades of Greece
Es hat sich allen Beteuerungen und Jubelmeldungen zum Trotz nichts geändert in Youroop: Griechenland ist genauso Pleite, wie zuvor, bekommt dafür aber eine Finanzierung für eine Brücke ins Nirgendwo. Hurra!
Danach wird dem bereits völlig überschuldeten Steuerparadies vom IWF eine weitere Finanzspritze injiziert, die allerdings nur bis März 2016 halten soll – spätestens dann muss wieder „gerettet“ werden. Wenn wir bis dahin nicht alle verrückt geworden sind.
Die dritte Griechenlandrettung ist an völlig akademische Reformvorhaben gebunden, an die in Griechenland nicht einmal jene Politiker glauben, die dafür bezahlt werden, dass sie dem Rettungspaket parlamentarisch zugestimmt haben.
Alles, was hier nach Gewaltanwendung durch die Eurozone verabschiedet worden ist, hat denselben Bezug zur Wirklichkeit wie ein Disney-Film oder irgendein anderes Märchen, das man nur zu gerne glauben möchte.
Indes: Man will sich eben allenthalben etwas vormachen. In Athen, dass man wirtschaftlich nicht in der Kreis-, sondern in der Bundesliga spielt. (Sorry, wegen der verletzten Empfindungen durch diese schiefe Metapher, liebe hauptamtlich Empörte). Und in Brüssel, diesem Vorort von Berlin, wünscht man sich, dass aus elf Millionen Griechen endlich elf Millionen Steuerzahler werden; oder zumindest ein paar Dutzend.
Leider leben wir nicht mehr in dem Alter, in dem das Wünschen noch geholfen hätte. Sogar die wahnhafte Linke musste letztlich einsehen, dass „ihre“ EU nicht die Kuschelwiese und der Streichelzoo sind, für die sie Mehreuropa jahrzehntelang gehalten hat.
Jenes "Europa", das die „Klasse des Bewusstseins“ seit vielen Jahrzehnten im freien Markt der Ansichten und Meinungen anpreist, hat sich als ein antidemokratischer Behemoth erwiesen, der über Leichen geht, wenn es seiner Sache dient. Es ist selbstverständlich nicht das erste mal, dass der Linken so ein Irrtum in der "politischen" Wahrnehmung passiert. Honi soit qui mal y pense.
Monsieur Hollande, mon amour
Nun ist es so, dass der Euronationalismus zwar sehr talentiert darin ist, über Glühlampen, Gurken und Bananen zu regieren. Von den kleinen Dingen des Lebens versteht man oder frau etwas in Brüssel, aber auch von den großen, denn man oder frau haben sich ein wirklich sehr dekoratives, quasi imperiales Kaffee-Service für ihre EU ausgesucht, zum Spottpreis von nur 3 Millionen Euro.
Bloß wenn es um die Existenz von elf Millionen Griechen geht – die ich hier nur als die Spitze jenes Eisberges zitiere, der aus den einschlägig bekannten süd- und westeuropäischen Staaten besteht – dann tut sich die EU mit dem erfolgreichen Geldausgeben unverhältnismäßig schwer.
Und es ist auch gar nicht so, dass es derzeit nicht genug andere Problem gäbe. Für Leute, die Konflikte lösen möchten, gäbe es alle Hände voll zu tun. Zum einen hätten wir da den in und um „Europa“ Amok laufenden islamistischen Extremismus. Und zum anderen jene humanitäre Katastrophe, die skrupellose Menschenhändler im Mittelmeer mit den boat people angerichtet haben.
Oder wie wäre es, sich zur Abwechslung mal mit der unbequemen Frage auseinanderzusetzen, warum die EUdSSR der einzige Wirtschaftsraum der Welt ist, der sich seit 2008 stetig auf dem absteigenden Ast befindet – und zwar nachhaltig und ohne Aussicht auf Besserung, allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz.
Das sind Probleme, an denen die Brüsseler Beamtendiktatur sich lieber nicht die Finger verbrennen möchte. Weil man im Grunde weiß, dass man zwar sehr gut über Glühbirnen, Gurken und Bananen regieren kann, aber nicht wirklich über einen Kontinent. Oder zumindest nicht so, dass dabei das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl herauskäme.
Stattdessen rettet man Griechenland. Man ahnt zwar, dass dieses Problem sich nicht lösen lässt – versucht es aber trotzdem. Ohne Aussicht auf Erfolg, solange die pünktliche und vollumfängliche Begleichung von Steuerschulden in Hellas als überflüssige Marotte verstanden wird und solange die Kreditoren nicht für die nächsten dreißig Jahre auf das für ihr Kapital anfallende Nutzungsentgeld (besser bekannt als Zinsen) verzichten.
Stattdessen intensiviert man die Anstrengungen, die in diese chronische Malaise namens EU geführt haben. Nach Ansicht des Monsieur aus dem Elysée soll nach der Methode Mehr-des-Gleichen „Mehreuropa“ jene Probleme lösen, die „Europa“ verursacht hat. Jaja, von Frankreich lernen, heißt siegen lernen...
Die praktische Funktion Griechenlands besteht jetzt also mehr denn je darin, jenen Sachzwang zu vermitteln, den man sich freiwillig-unfreiwillig schafft, um das Projekt Europa am Laufen zu halten; gegen den erklärten Willen seiner Bevölkerung. Referenden in Irland, Portugal und Frankreich? Demokratie sieht anders aus, liebe Freunde der Brüsseler Beamtendiktatur.
Jeder schneidet sich die Rute zum eigenen Arsch, warum soll das sozialistische nouvel régime der fünften Republik eine Ausnahme bilden. Aber warum musste man Monsieur Guillotins praktische Erfindung so schnell von der Place de la Concorde entfernen?
Germany und France: désentente cordiale
Der gegen jede Anfechtung durch die empirische Wirklichkeit hermetisch abgeschottete Euro-Wahn ist nicht nur in selbstverständlich zweckdienlich interessierten Stellen in Paris und Berlin anzutreffen.
Der einzige verhältnismäßig realistische und wahnfreie Vorschlag zur Rettung der griechischen Situation, der zeitlich befristete Austritt des Landes aus der Euro-Zone, scheitert am Veto einer neo-bonarpartistischen Beamtenclique in unserem sozialistischen Bruderland links des Rheins sowie an jenen Wahlberechtigten, die nicht verstehen wollen, dass der Euro nicht die Lösung, sondern das Problem darstellt.
Allerdings weiß die Kaste der ENA-Mandarine nur zu genau, was es im wiedergutgewordenen Deutschland wert sein kann, sich keinen Deutschen, sondern einen „Europäer“ zu nennen. Diesen moralischen Luxus, die vermeintliche Absolution vor der eigenen Geschichte, möchte Germany sich auch in Zukunft gönnen, nicht zuletzt in seiner Funktion als Exportweltmeister.
Selbstverständlich weiß man rings um den Monsieur vom Elysée ebenfalls nur zu genau, wie bequem es ist, mit dem Geld anderer Leute großzügig zu werden; nicht umsonst ist der Sozialismus in Frankreich die Staatsreligion. Und wenn das neue Deutschland dann auch noch dafür bezahlt, dass es sich freiwillig-unfreiwillig zum weltweiten Bösewicht machen darf, dann sind historischer Ablasshandel und moralische Schutzgelderpressung mit Frau Dr. Merkel (CDU) bestimmt gleich doppelt so amüsant.
Die Ironie der Euro-Zwickmühle besteht einzig und allein darin, dass das wiedergutgewordene Germany seinem unfreiwilligen historischen Vorbild immer ähnlicher wird, je mehr es sich darum bemüht, sich von der emotionalen Last seiner Geschichte freizukaufen. Wer die eigene Historie nicht verstanden hat, läuft eben Gefahr, sie zu wiederholen. Nur scheint sich die ewige Wiederkehr diesmal nicht als nationaler, sondern als internationaler Sozialismus zu inszenieren.
Es hätte die sogenannte Griechenland-Krise, die natürlich in erster Linie eine Deutschland-Frankreich-Krise ist, die Sternstunde einer euroskeptischen Partei sein können, die Wahlen gewinnen und nicht bloß Recht behalten möchte. Derlei ist in Deutschlands nicht in Sicht.
Die Brüsseler Beamtendiktatur wird es nicht wahrhaben wollen, dass sie gescheitert ist. Lügen und Leugnen sind das A und O ihrer Existenz. Das ändert nichts an der Tatsache, dass sie „Europa“ auf kolossale Art und Weise vor die Wand gefahren hat. Nicht nur kann die EU ihre wirklich existenziellen Konflikte nicht lösen, sondern sie doktert ersatzweise lieber an jenem Furunkel herum, das sie am Arsch ihrer „politischen“ Einheitsideologie heranzüchtet – ohne Aussicht auf Heilung oder auch nur Besserung, im Gegenteil.
Die „Rettung“ Griechenlands und die Huldigung des Euro sind die Ersatzhandlung und der Fetisch, die von der eigenen Unfähigkeit ablenken sollen, existenzielle Konflikte zu lösen. Die EU ist zwar sehr gut im Erfinden fantastischer Lösungen für Fantasieprobleme, scheitert aber an den Herausforderungen der praktischen Welt auf immer obszönere Art.
Vor diesem Hintergrund ist der Wunsch nach „Mehreuropa“ nicht logisch, sondern psychologisch, und es wird höchste Zeit, diesen Wahnsinn zu beenden. Er lenkt zu sehr vom Wesentlichen ab, insbesondere von den Herausforderungen der Zukunft. Oder, in den Worten des gesunden Menschenverstandes gefragt: Wenn die „Europäer“ so schlau sind, warum sind wir dann nicht reich?
Genauso wenig, wie Mehreuropa die Lösung für die Probleme sein kann, die die EU produziert und reproduziert, kann der Euronationalismus die Konflikte einzelstaatlicher Nationalismen aufheben; die Volksabstimmung über die Trennung Schottlands vom Vereinigten Königreich hat es jüngst bewiesen.
Das „politische“ Europa, wie es sich in seiner Hauptstadt Brüssel manifestiert, ist eine Antwort auf die Probleme des 19. Jahrhunderts. Es wird höchste Zeit für eine europäischer Kooperation, die der Wirklichkeit des neuen Jahrtausends tatsächlich angemessen ist; und zwar ohne zur Rechtfertigung ihrer pseudostaatlichen Existenz eine steuerlich hochsubventionierte Parallelwelt aus Gurken-, Bananen- und Glühbirnen-Verordnungen zu regieren.
Wenn es um Frieden und Völkerverständigung geht, hat freier Handel sich gegenüber jeder zentralstaatlich gesteuerten, sozialistischen Palastwirtschaft überlegen gezeigt. Eine liberale Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft sind die zwei Seiten derselben Medaille, deren eine auch in Zukunft nur auf Kosten der anderen zu haben sein wird.
Es drängt sich allerdings der Verdacht auf, dass diese Zukunft ohne Youroop stattfinden wird, denn inzwischen ist die EU wirklich the Europe to end all Europe geworden.
haolam
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