Wednesday, July 15, 2015

Europas große Migrationskrise

von Soeren Kern
  • In den letzten zwölf Monaten beantragten mehr als 715.000 Menschen Asyl in der EU.
  • Ungarn nahm 2014 pro Kopf mehr Flüchtlinge auf als jedes andere Land der EU mit Ausnahme Schwedens. In Österreich stieg die Zahl der Asylanträge in den ersten fünf Monaten von 2015 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 180 Prozent auf 20.620 und könnte bis Jahresende auf 70.000 wachsen. Wie kürzlich bekannt wurde, waren drei von vier Flüchtlingen, die in der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts nach Dänemark kamen, zehn Jahre später arbeitslos.
  • "Das Gesicht der europäischen Kultur ... wird niemals mehr so sein wie jetzt. Es gibt keinen Rückweg von einem multikulturellen Europa. Weder zu einem christlichen Europa noch zu einer Welt nationaler Kulturen", sagt der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban.
  • Die EU-Kommission hat einen umstrittenen "Umsiedlungsplan" angekündigt, der vorsieht, dass die Mitgliedsstaaten der EU in den nächsten zwei Jahren 40.000 Flüchtlinge aufzunehmen haben, zusätzlich zu einem anderen, separaten "Umsiedlungsplan" zur Verteilung der 20.000 Flüchtlinge, die derzeit in Lagern im Nahen Osten leben.
  • "Der von der Europäischen Kommission vorgelegte Vorschlag ist absurd, am Rande des Wahnsinns. Er schafft Schleppern einen Anreiz und sagt den Leuten einfach: Ja, versucht das Mittelmeer zu überqueren, koste es, was es wolle", so Orban.
Europas Migrationskrise legt die Gräben offen, die es in der Europäischen Union gibt –jener Union, die europäische Föderalisten lange Zeit als Modell für Postnationalismus und globale Staatsbürgerschaft gepriesen haben. Angesichts einer riesigen Welle von Migranten ergreifen immer mehr Mitgliedsstaaten der EU harte Maßnahmen, bei denen sie ihre eigenen nationalen Interessen höher bewerten als den Anschein von EU-Solidarität.
Ungarns Parlament z.B. hat im Rahmen eines neuen Antieinwanderungsgesetzes nicht nur seine Asylregeln verschärft, sondern auch den Bau eines massiven Grenzzauns zu Serbien beschlossen.
Der Schritt zielt darauf, Zehntausende Migranten aus Afrika, Asien und dem Nahen Osten an der Einreise nach Ungarn zu hindern, einem Land, das zu einem wichtigen Tor für die illegale Einwanderung in die Europäische Union geworden ist.
Drastische Maßnahmen, so ungarische Regierungsvertreter, seien notwendig wegen der Untätigkeit der EU angesichts einer beispiellosen Migrationskrise: Über 150.000 Migranten kamen während der ersten sechs Monate des Jahres 2015 nach Europa. Mehr als 715.000 haben in den letzten zwölf Monaten in der EU einen Asylantrag gestellt.
Die ungarischen Abgeordneten stimmten am 6. Juli mit 151 zu 41 Stimmen für den Bau eines vier Meter hohen Zauns entlang der 175 km langen Grenze zu Serbien. Die Maßnahme zielt darauf, die sogenannte Westbalkanroute zu zerschneiden, die für Migranten, die aus der Türkei über Griechenland und Bulgarien in die EU kommen, die wichtigste Landroute darstellt.
In den ersten sechs Monaten von 2015 reisten 60.000 Menschen illegal nach Ungarn ein, nach Angaben der europäischen Grenzagentur Frontex ist dies ein Anstieg von fast 900 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Knapp 95 Prozent der Migranten, die die Grenze zu Ungarn überqueren – die meisten stammen aus Afghanistan, dem Irak, Syrien, Somalia und dem Kosovo –, kommen von Serbien, das im Unterschied zu Ungarn kein EU-Land ist.
Ungarn ist Mitglied des Schengener Abkommens, was bedeutet, dass Migranten, sobald sie in Ungarn sind, ungehindert in den Rest der EU weiterreisen können, ohne weitere Grenzkontrollen.
Ungarn nahm 2014 pro Kopf mehr Flüchtlinge auf als jedes andere Land der EU mit Ausnahme Schwedens. Obwohl die meisten der Migranten, die nach Ungarn kommen, in reichere Länder Westeuropas weiterreisen, gibt es auch immer mehr Flüchtlinge, die sich dazu entschließen, in Ungarn zu bleiben. Während der ersten drei Monate von 2015 nahm Ungarn in Relation zu seiner Bevölkerungszahl die meisten Asylanträge aller EU-Mitgliedsstaaten entgegen.
Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto hat die eingeleiteten Schritte als zur Verteidigung seines Landes notwendig rechtfertigt. "Die ungarische Regierung ist verpflichtet, Ungarn und die ungarische Bevölkerung gegen den Einwanderungsdruck zu verteidigen", sagte er. "Ungarn kann es sich nicht erlauben, weiter abzuwarten. Natürlich hoffen wir, dass es eine europäische Lösung geben wird."
Kritiker sagen, die Entscheidung zum Bau eines Zauns wecke Erinnerungen an den Kalten Krieg, als Europa in Ost und West geteilt war. "Erst vor kurzem haben wir in Europa Mauern eingerissen", sagt die Sprecherin der EU für Migration, Natasha Bertaud. "Wir sollten sie nicht wiederaufbauen."
Ein ungenannter europäischer Diplomat sagte gegenüber der britischen Tageszeitung Telegraph: "Dies ist ein Skandal. Ungarn, das erste kommunistische Land, das den Eisernen Vorhang abgebaut hat, errichtet nun einen neuen Vorhang an seiner südlichen Grenze."
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban weist auf die weitreichenden Folgen einer ungezügelten Einwanderung aus muslimischen Ländern hin. Auf einer Konferenz zu Ehren von Helmut Kohl, der kürzlich 85 wurde, warnte Orban, der Zustrom so vieler Migranten gefährde "das Gesicht der europäischen Kultur", die "niemals mehr so sein wird wie jetzt". Er fügte hinzu: "Es gibt keinen Rückweg von einem multikulturellen Europa. Weder zu einem christlichen Europa noch zu einer Welt nationaler Kulturen."
Ungarn ist nicht das einzige EU-Land, das Mauern und Zäune errichtet bzw. verstärkt, um Migranten an der Einreise zu hindern.
Bulgarien hat entlang der Grenze zu seinem südöstlichen Nachbarn Türkei einen 33 km langen und drei Meter hohen Stacheldrahtzaun gebaut, um den Zustrom von Migranten aus Syrien und anderen Regionen des Nahen Ostens und Nordafrikas einzudämmen. Zudem hat das Innenministerium mehr als tausend Polizisten abgestellt, die an der Grenze zur Türkei patrouillieren.
Griechenland hat – ebenfalls an der Grenze zur Türkei – einen 10,5 km langen und vier Meter hohen Stacheldrahtzaun errichtet. Diese griechische Mauer, so heißt es, sei der Grund für die Verlagerung der Migrationsströme nach Bulgarien und den daraus resultierenden Bau der dortigen Mauer.
Spanien hat die Zäune seiner nordafrikanischen Exklaven Ceuta und Melilla verstärkt, eine Reaktion auf die Rekordzahl von Migranten, die aus dem angrenzenden Marokko über die Absperrungen springen. Die Grenzpolizei registrierte 2014 mehr als 19.000 Versuche, den Zaun von Melilla zu überqueren, das ist eine Steigerung von 350 Prozent gegenüber 2013, so das Innenministerium. Knapp 7.500 Migranten gelang 2014 die Einreise nach Ceuta und Melilla, darunter waren 3.305 Personen aus Syrien.
Großbritannien errichtet einen mehr als drei Kilometer langen und knapp drei Meter hohen Sicherheitszaun am Hafen des Ärmelkanaltunnels in Calais, Nordfrankreich; dieser soll Tausende illegaler Migranten daran hindern, in Lastwagen mit Ziel Großbritannien einzubrechen. Derzeit lagern mehr als 3.000 Migranten in und um Calais, die darauf hoffen, es nach Großbritannien zu schaffen. Über 39.000 wurden in den 12 Monaten bis April an der Kanalüberquerung gehindert, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum.
Zusätzlich führen Mitgliedsstaaten der EU andere Notfallmaßnahmen durch, um den Einwanderungsstrom zu stoppen.
Österreich stoppte zum 13. Juni die Bearbeitung von Asylanträgen – dies soll das Land im Vergleich zu anderen EU-Ländern für Migranten "weniger attraktiv" machen. Wien "stoppt den Asylexpress", sagt Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner; bislang wurden Anträge dort im Durchschnitt innerhalb von vier Monaten bearbeitet, schneller als in jedem anderen EU-Land. Die Zahl der in Österreich gestellten Asylanträge kletterte in den ersten fünf Monaten von 2015 um 180 Prozent auf 20.620 und könnte bis Jahresende auf 70.000 anwachsen.
Dänemark verkündete am 1. Juli, die Leistungen für Asylsuchende zu kürzen, um die Zahl der ins Land kommenden Flüchtlinge zu senken. Wie kürzlich bekannt wurde, waren drei von vier Flüchtlingen, die in der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts nach Dänemark kamen, zehn Jahre später arbeitslos.
Frankreich und Italien streiten darüber, wer für Hunderte von afrikanischen Migranten verantwortlich ist, die in Ventimiglia an der französisch-italienischen Grenze festsitzen, nachdem die französische Polizei ihnen die Einreise verweigerte. Frankreich bezichtigt Italien, sich nicht an das Dubliner Übereinkommen zu halten; laut diesem Vertrag müssen Menschen, die in der EU Zuflucht suchen, einen Asylantrag in dem ersten von ihnen erreichten EU-Land stellen. Italienische Offizielle argumentieren, für die Migranten sei Italien nur ein Transitland.
Ungarn hat am 23. Juni seine Teilnahme am Dubliner Übereinkommen außer Kraft gesetzt; dieses verlangte von Ungarn, Flüchtlinge zurückzunehmen, die über sein Territorium reisen, um andere EU-Länder zu erreichen.
Indessen hat die Europäische Kommission, der mächtigste bürokratische Arm der EU, am 27. Mai einen umstrittenen "Umsiedlungsplan" angekündigt; dieser würde die EU-Mitgliedsländer verpflichten, in den nächsten zwei Jahren 40.000 syrische und eritreische Asylsuchende aus Italien und Griechenland aufzunehmen.
Dies soll zusätzlich geschehen zu einem anderen, separaten "Umsiedlungsplan" zur Verteilung der 20.000 Flüchtlinge, die derzeit in Lagern im Nahen Osten leben.
Der Vorschlag, Migranten unter den EU-Mitgliedsländern "aufzuteilen", zielt darauf, die wachsende Last zu lindern, die auf Italien und Griechenland liegt, jenen zwei Ländern, die neben Ungarn und Spanien die wichtigsten Tore für die Migration nach Europa sind.
140 illegale Migranten kamen im April 2015 auf der griechischen Insel Gavdos (Einwohnerzahl: 152) an.
Viele sagen, die Entscheidung darüber, ob jemandem dauerhaftes Aufenthaltsrecht gewährt wird, solle bei den einzelnen Ländern verbleiben; indem sie den EU-Mitgliedsländern einseitig Migrantenquoten aufzwängen, trachteten nicht gewählte Bürokraten in Brüssel danach, die demokratisch gewählten Regierungen Europas ihrem Diktat zu unterwerfen.
Bei einem Treffen in Luxemburg am 9. Juli konnten die europäischen Staats- und Regierungschefs keine Einigung über den Quotenvorschlag erzielen. Am 20. Juli wollen sie erneut darüber verhandeln.
Deutschland, Österreich und Schweden, die zusammen mit Italien und Griechenland die größte Zahl von Flüchtlingen aufnehmen, sind für die Quotenpläne. Belgien, Frankreich, Spanien, die Länder Osteuropas und des Baltikums sind dagegen. Großbritannien, Dänemark und Irland sind von dem Plan ausgenommen.
Ungarns Ministerpräsident Orban bilanziert: "Der von der Europäischen Kommission vorgelegte Vorschlag ist absurd, am Rande des Wahnsinns. Er schafft Schleppern einen Anreiz und sagt den Leuten einfach: Ja, versucht das Mittelmeer zu überqueren, koste es, was es wolle."
 gatestoneinstitute

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