Zwei Stationen weiter, Bismarkstrasse: Fahrscheinkontrolle ! Die Kontrolleure: keine BVG-Leute, sondern Arbeitslose, die sie jetzt häufig tageweise zum Kontrolldienst abkommandieren; Mann und frau, pyknisch, schlechthäutig, abgetragen, könnten durchaus aber auch Eltern gewesen sein. (Die Jungs beschrieben sie mir so.)
Der große Burschi hatte den Normalfahrschein – in Ordnung. Der kleine hatte, wie bei sich in Sachsen, wie bei der Bundesbahn und sonstwo üblich, der ermäßigten Fahrschein gelöst. Er zeigt ihn. Der Kontrolleur fragt nach seinem Alter. Arglose, ehrliche Antwort: "14."
Im verlumpten Kontrollpack schwoll Strafgelüst und Niedertracht: "Rauskommen ! Ab 14 keine Ermäßigung mehr. 40 Euro !"
Beide folgten den verlotterten Häschern auf den Bahnsteig, und dort nun baten sie freundlich um Verständnis für ihren Tarifirrtum. Gewiß: Ignorantia legis neminem excusat. Unkenntnis des Gesetzes entschuldigt niemanden. Aber: Jeder scheiß Ort Deutschlands und Europas denkt sich eigene flirrende Tarifungetüme aus und verlangt,
daß die Welt davon Kenntnis nehme. (Mal abgesehen von der ordnungsgemäßen Raubgier,einem Jugendlichen 2,20 Euro für eine lumpige U-Bahnfahrt abzunehmen.) Nun, ich will mir hier den diffusen Tarifquatsch sparen und allein die Hartherzigkeit solcher Kanaillen anprangern, die selbst doch stets um Almosen zetern und von der Welt sich mißverstanden und schlecht beschenkt wähnen. Wohl gerade darum ! Stahlen die Triefaugen den Jungs ihr Taschengeld, leichte Beuteprämie einzuheimsen.
Und nun höret vom Zorn eines Vaterherzens in zehn Stücken des wütendsten Ingrimms !
1. Ich vernahm dies Allerabscheulichste. Und von nun an brach
2. eine Finsternis über das Land herein bis zur jetzigen Stunde. Meine staatliche Loyalitätsbezeugung (Einkommenssteuererklärung) zerriß ich von obenan bis untenaus. Und die Tobsucht übermannte mich, wie auch ein Mitleiden. Also gab ich
3. den Burschis die von den kaltherzigen Schergen geraubten 40 Euros wieder und noch 40 mehr, die Seelen zu heilen und der Welt darzulegen, daß allein Großmut befördert. Dann ergriff ich
4. mein bestes Küchenmesser,
5. einen Glasschneider,
6. eine Sprühdose, rot,
7. meinen dicksten Filzstift und jagte
8. hinunter zur U-Bahn, daß mein Maulschaum umherstob, dort Sitze zu schlitzen, Filze zu stiften, Scheiben zu schänden und
9. "Schande! Schande! Rache! Wurst wider Wurst!" zu sprühen!
Indes, verehrte Leser, so bin ich ja doch
10. (leider?) nicht geartet, so etwas getraue ich mich gar nicht, meine Wut fließt allein weiter in diese getreulichen Zeilen.
J´accuse! Denn nun kommt, was mir den Zorn so maßlos schwellen ließ: Wenige Wochen zuvor hatte ich eine ähnliche Situation zwischen Boddinstraße und Hermannplatz erlebt: Unter allen Fahrgästen zwei Schnösels, schlohweiß in Markenwäsche gewandet, Frisur Modell Gazastreifen, und dann also Kontrolle in Gestalt zweier Kontrollschluffis, gleichfalls Marke Triefauge,die fühllos und unfroh durch den Waggon taperten; alle zeigten brav ihr Kärtchen, und da kamen sie schon mit ahnungsvollem Hundeblick auf die zwei Schneemänner zu, die auch gleich kundgaben: "Was Fahrschein !? Ihr könnt aufe Fresse ham!"
Und! Die zwei Kontrollhunde schlichen sich an der nächsten Station davon, und die zwei weißen Wäscheschränke machten winke, winke! Und triumphierten und traten noch wie enthemmt auf die sich schließende Tür ein.
O sancta iustitia! Fiat iustitia et pereat mundus! Gerechtigkeit muß sein, und wenn die Welt daran zugrunde geht. An der Ungerechtigkeit aber geht die unsere nun gewiß seit langem zugrunde! Es gilt eben nimmer: Idem ius omnibus. Gleiches Recht für alle. Und: Ius superat vires. Recht geht vor Gewalt. Nein, umgekehrt! Und so geht es allüberall! Leckt mich am Arsch!
Writersblog von Thomas Kapielski
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