Die längste Zeit war der "Front National" (FN) in Frankreich eine
auf- und absteigende rechte Wutpartei, die auf moralische Ablehnung
durch eine erdrückende Bevölkerungsmehrheit stieß. Heute gibt es noch
immer, laut Umfragen, eine dem FN ablehnend gegenüberstehende Mehrheit,
aber sie ist kleiner geworden, teils verunsichert, manchmal verzagt.
Dabei ist gerade jetzt erstmals ein Sprung des FN in höhere Sphären
des französischen Staats in den Bereich des Möglichen gerückt. Bei den
landesweiten Regionalwahlen im Dezember könnte der FN zwei bis drei
Regionen erobern. Von da ginge es, so lauten die Hoffnungen des FN,
geradewegs zu einer nicht mehr völlig aussichtslosen Kandidatur der
Parteichefin Marine Le Pen bei den Präsidentenwahlen 2017. Marine Le Pen
warf vor dem Sommer ihren Vater, Jean-Marie Le Pen, aus dem FN. Der
Parteigründer hatte auf seiner verharmlosenden Darstellung der
Nazi-Okkupation Frankreichs beharrt. Mit der politischen Entsorgung des
Vaters entfernte Marine Le Pen einen der wesentlichsten Steine des
Anstoßes.Die Aufweichung der vormaligen Widerstände verdankt der FN aber auch
einer Reihe Publizisten, die mit nationalen Untergangsprophezeihungen
Furore machen. Sie konnten zuletzt oft die Stimmen der
universal-humanistischen Intellektuellen übertönen.An erster Stelle firmiert der Journalist Eric Zemmour. Sein Aufstieg zum
Publikumsmagneten erfolgte bei einer populären, ziemlich deftigen
TV-Talkshow. Zemmour behauptet, sowohl die linken als auch die
bürgerlichen "Eliten" hätten Frankreichs nationalstaatliche Grundwerte
ruiniert. Dadurch hätten sie das französische Volk hilflos der
Globalisierung, dem "deutschen Merkantilismus" und muslimischen
Einwanderungsströmen ausgeliefert. Es würden "innere Religionskriege"
drohen. Obwohl extrem pessimistisch (sein letzter Bestseller hieß
"Frankreichs Selbstmord"), glaubt Zemmour "an die Überraschungen der
Geschichte": Auf die Frage, ob man die fünf Millionen Muslime
Frankreichs "per Flugzeug oder Schiff wegführen" könne, meinte er: "Das
klingt unrealistisch. Aber wer hätte 1940 gedacht, dass zwanzig Jahre
später eine Million Franzosen aus Algerien nach Frankreich heimgeholt
würden."
Zemmours literarisches Pendant ist der Schriftsteller Michel
Houellebecq. In seinem Roman "Unterwerfung" siegt bei Präsidentenwahlen
2022 der Kandidat einer muslimischen Partei, der von den Linksparteien
und dem bürgerlichen Zentrum unterstützt wird, im Duell gegen Marine Le
Pen. Danach beugt sich Frankreich der Vorherrschaft des Islam und
erduldet die Einführung der Polygamie.
Der Philosoph Alain Finkielkraut, der ursprünglich der linksliberalen
Intellektuellenszene zuzurechnen war und eine Radio-Sendung auf France
Culture (entspricht dem Sender Ö1) leitet, ist bei Weitem nicht so
virulent. Seine Klagen über den Schwund der Autorität und das mangelnde
Beharren auf dem kulturellen Vermächtnis Frankreichs im Schulunterricht
machten ihn aber zu einem Idol nationalkonservativer Kreise. In seinem
Buch "L’identité malheureuse" (Die unglückliche Identität) kritisiert
Finkielkraut eine übermäßige "Kultur der Sühne" im Umgang mit
Jugendlichen aus maghrebinischen und afrikanischen Familien. Das habe
linke Pädagogen veranlasst, zu lange die Augen vor Judenhass und
Frauenverachtung in muslimischen Jugendmilieus zu verschließen.Alle drei – Zemmour, Houellebecq und Finkielkraut – verfassten ihre
Bücher vor den dschihadistischen Morden vom Jänner in Paris. Unmittelbar
darauf kam es zu einem Aufbäumen der Zivilgesellschaft: Die vier
Millionen Demonstranten kamen damals vor allem aus der linken Mitte der
Gesellschaft und hielten den FN auf Distanz. Aber die damalige blutige
Geiselnahme in einem koscheren Supermarkt und die fast gänzliche
Auslöschung der prominentesten, linken und anti-rassistischen
Karikaturisten Frankreichs, die in der Redaktion von Charlie Hebdo
versammelt waren, wirken nach. Auch weltoffene Milieus laborieren an der
demoralisierenden Langzeitwirkung dieser Ereignisse Die Kluft gegenüber
Muslimen ist größer geworden.Zuletzt überraschte der Philosoph Michel Onfray mit FN-nahen Äußerungen.
Dabei hatte der prominente Verfechter eines libertären Sozialismus
ursprünglich eine "Volksuniversität" gegründet, die dem FN
entgegenwirken sollte. Nunmehr wirft Onfray den Sozialisten nicht nur
vor, dass sie sich der "neoliberalen EU unterworfen" hätten. Onfray
nimmt auch Anstoß an den "großen Inszenierungen der Brüderlichkeit für
die aufgenommenen ausländischen Bevölkerungen". Zur gleichen Zeit würden
sich etwa "ein ruinierter Bauer, ein Langzeitarbeitsloser oder ein
verarmter Rentner fragen, was für ihn unternommen werde". Marine Le Pen
würde "zu diesem Volk sprechen", lobt Onfray.
kurier.at
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