Saturday, April 02, 2016

Moderne Märchen: Recherche-Aufwand nur, wenn es dem Weltbild nutzt

Einer der Höhepunkte der Friedlichen Revolution 1989 war, als die Medien der Noch-DDR verkündeten, sie wollten in Zukunft nur noch die Wahrheit berichten. Das Vorbild dafür sollte die freie Westpresse sein. Ein Vierteljahrhundert später haben wir eine Medienlandschaft, die sich ihre Wahrheiten nach ihren ideologischen Präferenzen konstruiert. Natürlich kann man unter Freiheit auch verstehen, hemmungslos und ungeprüft voneinander abzuschreiben. Das ist es aber nicht, was die Bürger von den Medien erwarten. Die wollen immer noch neutrale, gut recherchierte wahrheitsgemäße Nachrichtenübermittlung.
In den vergangenen Monaten tauchten immer wieder Meldungen auf, die den Anschein erweckten, die Deutschen hätten es sich angewöhnt, mit tausenden Euros spazieren zu gehen, um sie auf der Straße, in der Bahn, im Taxi oder im Altkleidersack zu verlieren, damit ehrliche Flüchtlinge sie finden und abliefern können. Die jeweiligen Meldungen waren immer mit Fotos von den ehrlichen Findern garniert. Dann kam Mitte März die Steigerung: „Syrer retten NPD-Politiker“, meldete die Frankfurter Rundschau. Das war kurz darauf überall im Land zu lesen und zu hören. Nur Bilder der Retter gab es diesmal nicht, auch keine Namen. Die Ersthelfer waren wie vom Erdboden verschluckt.
Dies weckte die Neugier des Autors Ramin Peymani, dessen aktuelles Buch "Spukschloss Deutschland" gerade im Juwelen- Verlag erschienen ist. Es war gar nicht schwer, die Wahrheit herauszufinden. Peymani:
„Die Recherche dauerte nur einen Vormittag und hätte von jedem Journalisten mit Leichtigkeit geleistet werden können. Ich war überrascht von der Bereitwilligkeit, mit der die von mir kontaktierten Vertreter der  beteiligten Einsatzkräfte sowie die Mitarbeiter der Behörden Auskunft gaben. Und so ist es offenbar abgelaufen:
Zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens am Morgen des 16. März 2016 befuhren auch zwei Busse mit Asylbewerbern der Erstaufnahmeeinrichtung in Büdingen die Bundesstraße 521. Einer der Busfahrer stieg aus, um am verunglückten Fahrzeug zu sehen, was getan werden könne. Er rief seinen Kollegen zu sich, um ihm zu helfen, den verunglückten Fahrer loszuschnallen und aus dem Auto zu befreien. Später stiegen auch einige Asylbewerber aus den Bussen und traten hinzu.
Die Rundschau beruft sich in ihrer Darstellung von den syrischen Rettern auf einen Feuerwehrmann, der jedoch – wie er mir mitteilte – lediglich gehört hatte, wie ein Dolmetscher auf Befragen durch einen Sanitäter angab, der Fahrer sei losgeschnallt worden. Klar, wer sich auf die Rundschau einlässt, weiß woran er ideologisch ist. Dass aber die gesamte restliche Presse die Meldung ungeprüft übernahm, zeigt das ganze Dilemma des Meinungskartells. Dessen Vertreter betreiben vor allem dort einen Rechercheaufwand, wo es ihrem Weltbild nutzt. So wird eine künstliche Realität geschaffen, in der nur noch stattfindet, was die eigene Ideologie bestätigt.“
Klar ist, was mit solchen Meldungen beabsichtigt ist. Mehr als zweifelhaft ist jedoch, ob der Zweck auch erreicht wird. Man spürt die Absicht und man ist verstimmt. Immer mehr Menschen durchschauen das Spiel und wenden sich ab. Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft wird dadurch immer bröckliger. Keine gute Voraussetzung, um Krisenzeiten gut zu überstehen.
Nachtrag:
Ramin Peymani, der in diesem Beitrag zitiert wird, veröffentlichte  im Nachgang noch folgende Mitteillung: „Sie als Redaktionen haben den viel beachteten Fall eines angeblich von syrischen Flüchtlingen geretteten NPD-Politikers aufgegriffen. Einige von Ihnen haben in diesem Zusammenhang auch über meinen Blog-Artikel vom vergangenen Sonntag berichtet und meine Rechercheergebnisse zum Teil massiv infrage gestellt. Nachfolgend der Link zu einem aktuellen Artikel des Gießener Anzeigers, der meine Darstellung bestätigt und zugleich auf süffisante Weise kommentiert, wie es letztlich zu einer Pressemitteilung des Regierungspräsidiums Gießen kam, in der dann doch noch ein Syrer mit von der Partie war.“

 achgut.com / Vera Lengsfeld

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