Der Bundeskanzlerin fällt es gegenwärtig schwer, ihren Pakt mit dem
türkischen Präsidenten höchstselbst zu verteidigen. Es ist auch nicht
leicht, öffentlich zu einem Partner zu stehen, der mit seiner Armee in
Teilen des eigenen Landes Krieg gegen eigene Bürger führt, der
Zeitungsredaktionen besetzen und Kirchen enteignen lässt, der
missliebige Journalisten vor Gericht stellt und das Verfassungsgericht
rügt, weil es Kritiker von ihm aus dem Gefängnis entlassen hat. Wie
nennt man einen Verbündeten, der Zeitungsredaktionen besetzen lässt und
dessen Außenministerium einen Botschafter einbestellen muss, um in von
Deutschland die Zensur einer Erdogan-Satire zu verlangen? Die Kanzlerin
schweigt.
Aber sie hat einen eifrigen Unterstützer: Ralf Stegner, der
wortgewaltige stellvertretende SPD-Vorsitzende. Er bekennt sich dazu,
dass er Merkels Türkei-Kurs unterstützt: „Wir haben es mit einem
schwierigen Partner zu tun, der vieles macht, was einem nicht gefallen
kann“, sagte Stegner jetzt der Deutschen Presse-Agentur. „Aber ohne
Einigung mit der Türkei wird es nicht möglich sein, in der
Flüchtlingsfrage eine europäische Lösung hinzubekommen.“[1]
Genosse Stegner bleibt leider die Erklärung schuldig, warum die
Europäer selbst keine europäische Lösung hinbekommen können, aber wer
hinterfragt das schon. Viel bezeichnender ist der Ausflug ins
Stegnersche Weltbild: „Den Umgang der Türkei mit Kurden und der
Pressefreiheit muss man kritisch sehen, aber letzteres gilt auch für
Ungarn und Polen — eine billige antitürkische Haltung sollten wir uns
nicht leisten.“
Aha, die anderen sind also auch nicht besser? Ja, es ist Protest
wert, wenn eine Regierung, wie derzeit in Polen, das Verfassungsgericht
entmachten und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk übernehmen will. Aber
das ist doch etwas ganz Anderes als das Treiben des Möchtegern-Sultans
in Ankara? Wenn Genosse Stegner das anders sieht, dann muss er über eine
Menge Informationen verfügen, die ich nicht habe. Mir fällt gerade
keine Zeitungsredaktion in Warschau oder Budapest ein, die mit
Polizeigewalt von ihren Redakteuren befreit wurde. Habe ich vielleicht
vergessen, dass in Polen und Ungarn Journalisten inhaftiert sind und vor
Gericht stehen? Auch in welchen Heimatprovinzen polnisches oder
ungarisches Militär gerade Ausgangssperre verhängt und ganze Straßenzüge
zusammengeschossen hat, ist mir entgangen.
Weiterlesen bei sichtplatz.de
No comments:
Post a Comment