Thursday, April 28, 2016

Hetze: schöne Hetze, christliche Hetze, feministische Hetze, päpstliche Hetze, liebevolle Hetze

und es geht weiter: friedliche Hetze, antifaschistische Hetze, evangelische Hetze, katholische Hetze, mütterliche Hetze, nachhaltige Hetze, gewissenhafte Hetze, „maas“volle Hetze, deutsche Hetze, romantische Hetze, emanzipatorische Hetze, befreiende Hetze, menschenfreundliche Hetze …
Irritiert?
Was ist falsch an der genannten Hetze?
Offensichtlich ist die Hetze mit den falschen Adjektiven gepaart worden, denn Hetze, das zeigt ein Blick ins Internet, Hetze, richtige Hetze, politisch-korrekte Hetze, sie erfordert den Zusatz der folgenden Adjektive:
  • rechte Hetze,
  • rechtspopulistische Hetze,
  • rechtsradikale Hetze,
  • rechtsextreme Hetze,
  • braune Hetze,
  • NSDAP-Hetze,
  • rassistische Hetze,
  • fremdenfeindliche Hetze,
  • antisemitische Hetze,
  • anti-islamistische Hetze,
Hetze an sich, ist nichts, qualifizierte Hetze, wie dies oben geschehen ist, ist alles, denn wer die Deutungshoheit darüber hat, wie der Begriff der Hetze assoziiert wird, der kann mit dem Hetze-Vorwurf versuchen, seine politischen Gegner mundtot zu machen. Gleichwohl kann der Begriff der Hetze seine Herkunft aus den Kaderschmieden der DDR nicht verbergen.
Doch zurück zur Deutungshoheit durch Hetze, deren Grundlagen führen uns zurück zum Anfang des 20. Jahrhunderts:
rat_student cartoon

“Das klassische Experiment ist mittlerweile jedem Schuljungen geläufig geworden. [Dieser Satz wurde 1948 geschrieben. Damals war er noch zutreffend.] Gibt man einem Hund Fleischpulver ins Maul, so sondert er Speichel ab. Das Futter ist der unkonditionierte Reiz, der Speichelfluss der unkonditionierte Reflex. Sodann bietet man das Futter kombiniert mit irgendeinem beliebigen Reiz dar, etwa mit dem Aufleuchten einer Lampe. Nachdem das oft genug in richtigem zeitlichen Zueinander geschehen ist, wird das Licht den Speichelfluss schließlich auch ohne Anwesenheit von Futter auslösen: Jetzt ist das Licht der konditionierte Reiz und die darauf erfolgende Reaktion der konditionierte Reflex.“ (Hilgard & Bower, 1973: 66).
Hetze hat alle Bestandteile, die den Begriff zum unkonditionierten Reiz machen, der Speichelfluss auslöst. Die angeblich höhere Entwicklung, die Menschen gegenüber Hunden reklamieren, sie scheint sich im vorliegenden Fall darin niederzuschlagen, dass der Speichelfluss durch den Begriff „Hetze“ auch ohne eine direkte Belohnung ausgelöst, der unkonditionierte Reiz zu einem konditionierten Reiz wird. Menschen scheinen im Gegensatz zu z.B. Hunden, mit einer psychologischen Belohnung zufrieden zu sein. Sie sind so leicht konditionierbar, dass sie keine Belohnung benötigen. Es reicht bei manchen aus, ihnen die Möglichkeit der Einordnung einzuräumen, der Art, dass man selbst ja mit Hetze nichts am Hut habe, dass man selbst zu den Guten gehöre, die nicht hetzen, nicht so, wie die da, die Hetzer.
Doch wer sind „die da“, wohin geht der Reflex, der mit dem konditionierten Reiz „Hetze“ ausgelöst werden soll. Richtet er sich auf Feministen mit „feministischer Hetze“? Nein. Richtet er sich auf den Papst als päpstliche Hetze? Nein. Gegen Romantiker, Katholiken, Linke, Sozialdemokraten oder Journalisten des öffentlich rechtlichen Rundfunks, gegen Akademiker oder Bundesverfassungsrichter? Nein. Der Reflex, der vom konditionierten Reiz der Hetze ausgelöst wird, er richtet sich gegen die Rechten, die Rechtsextremen, die Rechtspopulisten, Antisemiten, Anti-Islamisten, Fremdenfeinde und Rassisten. Alle anderen sind Hetze-unfähig, verfügen offensichtlich nicht über die kognitiven Voraussetzungen, um hetzen zu können.Die kognitive Ausstattung eines Menschen, sie wird gewöhnlich ins Feld geführt, wenn die Überlegenheit der menschlichen Spezies über andere Tiere begründet werden soll. Die kognitive Ausstattung, sie ermöglicht es Menschen, zu denken. So geht die Theorie. Über kognitive Prozessen sind Menschen in der Lage, Informationen zu sammeln, Schlussfolgerungen zu ziehen, sich ein Urteil zu bilden. So die Behauptung, die im Widerspruch zu der oben dargestellten Konditionierung steht.
Was also ist richtig? Sind Menschen intelligente Wesen, deren kognitive Strukturen sie vor anderen Tieren auszeichnen, oder sind Menschen leichter zu konditionieren als Tiere und insofern nicht über, sondern unter deren kognitiver Kompetenz anzusiedeln? Nun, die Antwort auf diese Frage ist recht einfach. Man muss nur betrachten, ob der gerichtete Reiz von rechter Hetze, rechtsextremer Hetze oder antisemitischer Hetze oder … mit dem Anspruch daherkommt, die kognitiven Prozesse von Menschen anzusprechen.
Und siehe da, das tut er nicht.
Rechte Hetze, rechtsextreme Hetze, rechtspopulistische Hetze, die Spielarten der gerichteten Reize, sie stehen für sich: Kein Argument, kein Beleg, kein Beispiel für die Behauptung wird geliefert. So heißt es z.B. bei der Amadeu-Antonio-Stiftung:
“on rechtsextremen Gruppen wird zielgerichtet eine Kampagne gegen die Amadeu Antonio Stiftung und ihre Vorstandsvorsitzende Anetta Kahane geführt. Neben täglicher Hetze in sozialen Netzwerken erreichen die Stiftung Hassbriefe und -E-Mails.”
Kein Beleg, kein Argument, nichts, was auf kognitive Strukturen bei Adressaten zielen könnte, wird für die Behauptung „rechtsextremer Hetze“ gegeben. Rechtsextreme Hetze wird einzig als gerichteter Reiz eingesetzt, dessen Ziel darin besteht, den Speichelfluss oder was auch immer bei Adressaten auszulösen, die entsprechend konditioniert sind.
Oder Heiko Maas, der unter der Überschrift „Weg mit dem Dreck“, Folgendes sagt:
“Ich habe immer auch klar gemacht, dass wir eine sachliche Auseinandersetzung miteinander führen müssen. Über eine so wichtige Frage wie die Flüchtlingsdebatte müssen wir auch miteinander streiten. Aber wir sollten dabei nicht den gegenseitigen Respekt voreinander verlieren. Und: Wenn die Debatte nur zur fremdenfeindlichen Hetze instrumentalisiert wird, müssen wir dies klar benennen.“
Wie qualifiziert sich fremdenfeindliche Hetze? Was unterscheidet fremdenfeindliche Hetze von einem sachlichen Argument, wo verläuft die Grenze zwischen fremdenfreindlicher Hetze und anderer Meinung? All diese Fragen, die an die kognitiven Strukturen appellieren, wie sie in den Gehirnen von Menschen regelmäßig vermutet werden, sie werden von Heiko Maas nicht einmal angesprochen. Auch seine Benutzung des Begriffs „Hetze“ in der Variante fremdenfeindlicher Hetze zielt ausschließlich auf den Abwehrreiz um bei entsprechend konditionierten Lesern das Äquivalent des Speichelflusses beim Hund von Pawlow auszulösen, affektive Zustimmung, Bestürzung über die fremdenfeindliche Hetze, deren Inhalt man zwar nicht kennt, aber das macht nichts, Hetze ist schlimm an sich, wenn man auch nicht weiß, was Hetze eigentlich ist, und natürlich den warm glow, der daraus resultiert, dass man sich auf der Seite derjenigen wähnt, die Hetze richtig benutzen, auf der Seite der guten Menschen und, besonders wichtig, auf der Seite derjenigen, die von den entsprechend Konditionierten für die Obrigkeit gehalten werden.
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