Sunday, August 17, 2014

Beschimpft, bespuckt, bedroht: Berliner macht Selbstversuch mit Israel-Fahne am Auto

Berlin gilt als tolerant und weltoffen. Menschen aus fast 190 Staaten leben in der Hauptstadt meist friedlich zusammen. Multikulti ist an der Tagesordnung, vor allem in Szenebezirken wie Kreuzberg und Nord-Neukölln. Wer anders ist als der Mainstream, zum Beispiel wegen seiner sexuellen Orientierung, seiner Religion, seiner Herkunft oder der politischen Einstellung, fühlt sich im Kiez meist sicher. Doch mit der Toleranz scheint es in Kreuzkölln nicht immer weit her zu sein. Diese Erfahrung musste Andrew Walde (53) machen, als er im Selbstversuch mit einer Israel-Fahne am Auto durch Neukölln und Kreuzberg fuhr. „Es war eine relativ spontane Idee“, sagte der Berliner zu BILD. „Aus Solidarität mit den in Deutschland lebenden Juden, die in den vergangenen Tagen und Wochen antisemitischen Übergriffen ausgesetzt waren und sind, habe ich an meinem Auto zwei kleine Fan-Fähnchen befestigt. Ein schwarz-rot-goldenes und ein israelisches mit dem Davidstern.“ Mit seinem so geschmückten Opel fährt Walde am Montag um die Mittagszeit von Britz nach Neukölln-Nord zu einem Termin bei der AOK. Ab dem Bahnhof Neukölln erntet er nicht nur irritierte Blicke, sondern wird an Ampeln beschimpft. „Judenschwein, Mörder, Wichser… es war alles dabei“, sagt der DGB-Angestellte. Aus mehreren nachfolgenden Autos wird er gefilmt oder fotografiert. An einem Fußgänger-Überweg bespucken mutmaßlich türkische oder arabische Jugendliche sein Auto. „Wäre die Ampel nicht auf Grün gesprungen, hätten sie mir die Fahne abgerissen.“
In der Karl-Marx-Straße sieht Walde Geschäfte mit T-Shirts mit Aufdrucken wie „Free Palestine“. Andere Motiv-Shirts zeigen Kinder mit Kalaschnikow oder Landkarten ohne Israel. „Die Aufrufe zur Vernichtung Israels haben mich sehr betroffen gemacht“, sagt der DGB-Veranstaltungsmanager. „Es ist Irrsinn, was sich im Moment hier abspielt.“ Walde engagiert sich seit Jahrzehnten gegen Rechtsextremismus. „Das ist eines meiner Schwerpunktthemen“, sagt der 53-Jährige, der in seiner Freizeit bei der SPD-Jugendorganisation „Die Falken“ tätig ist. Aus dem Ehrenamt ergab sich der Kontakt zu Partnerorganisationen in Israel. Auf dem Weg nach Kreuzberg meidet Walde das Kottbusser Tor wegen der langen Ampelphasen. Er muss sich eingestehen, dass er Angst hat. Als Deutscher. In seiner Heimatstadt Berlin. In Kreuzberg stehen drei arabische Jugendliche am Straßenrand. Sie sind etwa zehn bis zwölf Jahre alt. Die Kinder bleiben wie angewurzelt stehen, zeigen auf die Fahne. Sie beschimpfen Walde. „Einer zieht sich vorn die Hose runter. Ein zweiter zeigt auf mich und setzt die andere Hand an die Kehle.“ In der Prinzenstraße läuft ein Mann mit Vollbart auf ihn zu, ruft: „Du bist tot!“ „Was ich in Kreuzberg erlebt habe, war wirklich beängstigend“, gesteht der Berliner. „Ich habe mich gefühlt wie im Feindesland. Das muss man selbst erlebt und am eigenen Körper gespürt haben. Wie muss das erst 1933 gewesen sein?“ Auch in anderen Berliner Bezirken war der Sozialdemokrat bereits mit seiner Israel-Fahne am Auto unterwegs, ohne besondere Vorkommnisse. „Der Hass auf Juden, auf Israel, sitzt bei vielen muslimischen Jugendlichen tief“, berichtet Walde aus seiner langjährigen Erfahrung in der Jugendarbeit in Problemvierteln. „Es ist ein langfristiges Projekt, dagegen anzuarbeiten. Das geht nur über mehr Bildung.“ Ein Patentrezept hat der Britzer allerdings auch nicht parat. Eines ist ihm aber wichtig: „Man muss die Probleme beim Namen nennen dürfen, ohne die Situation zu beschönigen.“ Integration findet Walde wichtig und betont, dass sie umfassend und systematisch organisiert werden muss. Daher setzt er sich unter anderem für eine Kita-Pflicht und eine Steuerung der Zuwanderung ein: „Wer unsere freiheitlichen demokratischen Werte ablehnt, den brauchen wir hier nicht.“ Walde hat seine Erlebnisse im Internet und bei Facebook veröffentlicht. Seinen Selbstversuch empfiehlt er auch Politikern und Journalisten: „Setzt euch eine Kippa auf, tragt einen Davidstern oder gar einen schwarzen Mantel. Und dann auf in die Vielfalt, Friedfertigkeit und Toleranz des Islam. Allein. Ohne Begleitschutz. Und dann diskutieren wir weiter.“  
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