Wednesday, August 13, 2014

Das Kalifat als Familien- und Kinderparadies

 bothhands
Das Kalifat mag vieles sein, ein Kriegsgebiet, ein Terrorparadies, ein pseudo-islamischer Primitivstaat, eine Plage von historischem Ausmass. Dass das Territorium des Islamischen Staats (IS) im Irak und in Syrien aber so etwas wie ein Familien- und Kinderparadies sein soll, auf diesen absurden Gedanken kommen wohl die wenigsten. Die Militanten des Kalifen Ibrahim sehen das anders. Einige Extremisten bringen ihre Frauen und Kinder mit in den Heiligen Krieg, ­leben mit ihrer Familie im Kalifat-Staat. Schliesslich war ja auch Prophet Mohamed 622 aus dem heidnischen Mekka in die Muslimhochburg Medina gezogen. Und manche der nun in ihrem Heiligen Land des 21. Jahrhunderts angekommenen Islamisten scheuen nicht mehr davor zurück, ihre Kinder vor den Leichen der Feinde zu fotografieren, sie mit deren abgeschnittenen Köpfen posieren zu lassen oder die eigenen Söhne als Selbstmordbomber auszubilden: der Jihad als kollektive Lebensform. Dass über das Leben im Kalifats-Staat relativ viel bekannt wird, obwohl westliche Reporter dort nicht hinreisen können, hat seinen Grund. Wenn die Militanten nicht kämpfen, twittern sie begeistert oder schreiben auf Netzwerken wie Facebook über ihr Leben. Manche haben keine Hemmungen mehr, ihren Namen zu nennen, sich unmaskiert zu zeigen. Sie halten das Kalifat für ein Zukunftsmodell, wollen dort bleiben und brauchen dann auch die Strafverfolgung in ihren Heimatstaaten nicht mehr zu fürchten. Dafür spricht, dass die Militanten gern vor den verstümmelten Leichen ihrer Feinde posieren, deren abgeschlagene Köpfe präsentieren oder sich mit anderen Grausamkeiten brüsten. Manche zeigen dabei ihre Kinder, stellen sie der Welt als zukünftige Heilige Krieger oder Märtyrer vor. Da ist der Fall eines Australiers, über den der australische Premier Tony Abbott sich zutiefst angewidert äusserte. Das über Twitter verbreitete Foto aus Raqqa in Nord­ost-Syrien zeigt einen fünf- bis siebenjährigen Buben mit Polohemd und Base-­Cap, der mit beiden Händen einen abgeschnittenen Kopf in die Höhe hält. Der Vater, auch er Mitkämpfer des IS, schrieb stolz darunter: «Das ist mein Sohn.» Wahnsinnige im Heiligen Krieg. Der Australier ist ein alter Bekannter der australischen Polizei. Khaled Sharouf war an der Planung von Attentaten in Melbourne und Sydney beteiligt, sass deshalb ab 2009 vier Jahre in Haft. Nach seiner Freilassung bestand ein Ausreiseverbot; mit dem Reisepass seines Bruders kam der Islamist aber offenbar problemlos mit mehreren seiner Kinder durch die australischen Zollkontrollen an einem Flughafen. Von dort flog er in die Türkei, ging wie Tausende anderer Fundamentalisten über die syrische Grenze, schloss sich dem IS an. Nun scheint er in Raqqa zu leben, es ist die Hochburg des Islamischen Staats und zusammen mit dem irakischen Mosul so etwas Ähnliches wie eine Hauptstadt im jungen Kalifat-Staat, den die Militanten im Juli ausgerufen hatten. Für brutale Twitter-Nachrichten hat der australische Militante eine Vorliebe. Auf seinem Konto waren Fotos eines anderen Militanten aus Australien zu sehen, der ebenfalls abgetrennte Häupter syrischer Soldaten in die Kamera hielt. Auch die Söhne Sharoufs sind in den sozialen Netzwerken offenbar häufiger zu finden. Auf einem Foto sollen alle drei Kinder Gewehre in der Hand halten, vor der schwarzen Flagge des Islamischen Staats, dem Insignum des Kalifats. Der Kindesmissbrauch ist bei den Militanten populär. Arabische Medien berichteten über einen Mann aus Saudiarabien, der sich mit seinen beiden Söhnen auf den Weg ins Kalifat gemacht habe. Der Saudi hatte sich von seiner Ehefrau getrennt, sich mit den zwei Söhnen später zu einer angeblichen Ferienreise verabschiedet. Die Kinder hatte er da schon gekidnappt – statt an den Persischen Golf flog er in die Türkei. Von dort aus ging es über die syrische Grenze, später erschien sein Bild in den sozialen Netzwerken. Das Foto zeigt den Saudi ­lachend vor der schwarzen Flagge, seine Söhne vor sich. Sie halten jeder eine ­Kalaschnikow in der Hand. Seine entsetzte Frau liess der Jihadist wissen, dass er sich dem Islamischen Staat angeschlossen habe und die Söhne nun «Paradiesvögel» seien. Der Begriff wird in der arabischen Welt für Kinder verwendet, die durch einen Unfall oder eine Krankheit sterben. Die «Märtyrerkinder» Abed und Ahmed scheint aber etwas anderes zu erwarten. Die Buben «werden das nötige Training erhalten, bevor sie aufs Schlachtfeld geschickt werden», hiess es in IS-nahen sozialen Netzwerken. Mit dem Schlachtfeld gemeint sein kann nur der Einsatz des 11-Jährigen und seines 10-jährigen Bruders als Selbstmordbomber in irgendeiner syrischen oder irakischen Stadt. Kinder als lebende Bomben. Die Führer der Militanten sehen in den Kindern nichts als Sprengsätze für Attentate in einem gottgefälligen Krieg, in dem einem Jihadisten jedes Mittel erlaubt ist. Und die Einfältigen unter den Militanten – es sind die meisten – betrachten den Tod im Heiligen Krieg selbst für Kleinkinder als Ehre und Geschenk: Wer im Jihad stirbt, kommt direkt ins Paradies. Wie weit solches Denken verbreitet ist unter den Fundamentalisten, zeigt eine Dokumentation im Internet. Ein ­Reporter der Agentur Vice interviewt in Raqqa mit Genehmigung des IS einen arabischen Militanten. Der Mann wendet sich im Lauf des Gesprächs seinem kleinen Sohn zu und fragt: «Was willst du später werden, Junge – Selbstmordbomber oder Jihadkämpfer?»
 bernerzeitung

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