Monday, May 25, 2015

Deutsche EU-Politik oder: Die zwei Geheimnisse Großbritanniens

von Gerrit Liskow

Nach seinem allgemein als überraschend bewerteten Wahlsieg scheint Mr. Cameron, der Premierminister, im Besitz zweier Geheimnisse zu sein, die bei den anstehenden Verhandlungen über die Neuordnung des britischen Verhältnisses zum Rest der EU als Pokerchips sehr nützen könnten: Das eine Geheimnis ist parteipolitischer, das andere wirtschaftspolitischer Art.
Zuerst zu letzterem Aspekt. Nach so gut wie einem Jahrzehnt, das auf dem Altar von „Mehr Europa“ geopfert wurde, ist es mehr als zweifelhaft, dass es mit der Großeuropäischen Wohlfahrtssphäre zwischen Portugal und Krim wirtschaftlich besser wird, wenn man gleich noch eine zweite verlorene Dekade hinten dranhängt.
Indes ist diese Sicht auf die Dinge keine in der EU mehrheitsfähige Meinung. Das zeigte sich am ohrenbetäubenden Schweigen, mit dem die britische Delegation beim jüngsten Gipfel der Brüsseler Beamtendiktatur in Riga empfangen wurde; immerhin hätte ein Wahlsieg von Ed „Stone“ Miliband mehr „europäisches“ business-as-usual bedeutet.
In „Europa“, daran gilt es in diesem Zusammenhang immer wieder zu erinnern, ist die gleichmäßige, „sozial gerechte“ Verteilung des Elends oberstes Staatsziel; Wirtschaftswachstum stört da nur. Und in der Zeit seit 2008 hat die EUdSSR bei der Angleichung der Lebensverhältnisse überall auf dem gleichnamigen Kontinent viel erreicht; in der Regel bei der „Harmonisierung“ nach unten. Man weiß manchmal nicht, ob der Sozialstaat nicht doch die entwickelte Form des Faschismus ist.
Die Harmoniehütte und Katastrophenregion ist mehr oder weniger deckungsgleich mit der Euro-Zone: Griechenland hängt finanziell am Tropf und wird dort dauerhaft hängen bleiben, wenn nicht ein Wunder geschieht oder ersatzweise zumindest die Drachme zurückkehrt; Portugal geht es nur auf dem Papier etwas besser.
Italien ist das Land, über das man in diesem Zusammenhang besser nicht spricht, sonst muss jemand in Berlin wieder eine neue italienische Regierung ernennen. In Spanien hingegen bereitet sich eine proletarische Protestpartei aus Grünen, Anarchisten, Gewerkschaftlern und Alt-Kommunisten darauf vor, die nächste Regierung zu stellen indem sie das verspricht, was alle gerne hätten: solange Kaviar auf die Straßen zu schütten, bis der Pöbel darin ausrutscht.
Und ja, liebe Leserinnen und Leser: Die WählerInnen der „Podemos“-Partei glauben daran tatsächlich; aber an derselben „politischen“ Idiotie besteht selbstverständlich auch diesseits der Pyrenäen kein Mangel. Wenn der gegenwärtige Zustand „Europas“ die Antwort sein soll, muss man sich überlegen, was die Frage war.
Nun ist es so, dass Ideologien nicht über Nacht verschwinden, sondern meist erst nach einem kathartischen Konflikt, der gerade im Fall der deutschen Selbstmordsekte offenbar nicht brutal genug ausfallen kann. Aber wie kann es angesichts von Arbeitslosigkeit um 50% am Südrand der EU für Einsicht in die Realitäten der wirklichen Welt noch immer zu früh sein? Kann es noch schlimmer kommen? Aus Sicht der offiziellen „Europa“-Politik, die zu gleichen Teilen in Berlin und am Quai d’Orfèvre, am Gestade der Rewolüßiong, gemacht wird, muss es das wohl.
Eine Neuordnung der franco-germanischen Entente in Richtung auf eine anglo-germanische Option, liebe Leserinnen und Leser, ist ja nur eine Minderheitenphantasie, von der im deutschen Wirtschaftsministerium vereinzelt geträumt wird; dort gibt es wenigstens noch ein paar Funktionäre, denen immerhin der Theorie nach bekannt sein dürfte, dass sie das Geld anderer Leute ausgeben.
Aber in Genosse Steinmeiers Außenministerium gilt die marktwirtschaftliche Wirklichkeit als Teufelszeug. Hier lebt man im Wahn, alle politischen Allianzen wären gleich, nur manche wären eben gleicher, und hat im Übrigen vielleicht nicht unbedingt gelernt (denn das würde intellektuelle Anstrengung bedeuten), aber sich zumindest angewöhnt, über die realen Zustände einer Welt, in der das Geld nicht auf Bäumen wächst, selbstgefällig hinwegzusehen; zumindest solange die Fleischtröge Ägyptens schön voll und die Schnitzelpiste nicht zu lang wird.
Jede Art von Wachstumsimpulsen hat die selbsternannte Brüsseler Beamtendiktatur im Laufe der letzten Jahrzehnte nachhaltig wegverwaltet und war zumindest in einem Punkt erfolgreich: in ihrem oben genannten Ziel, der „sozial gerechten“ Verteilung des Elends in „Europa“ und zum Glück ist es mit dem Sozialismus meist so, dass er dann aufhört, wenn das Geld alle ist; ihr eigenes Geld geben die selbsternannten Apostel der sozialen Gerechtigkeit schließlich nicht aus. Ja, lieber Leserinnen und Leser: Dafür nehmen die Ihr Geld!
Dass der Sozialismus von denen bezahlt wird, die ihn aufbauen wollen, dürfte die historische Ausnahme sein, auf deren Materialisation ich noch lange warten muss. In der Regel reicht diese Ideologie nicht mal für Klopapier, bei dem man nicht gleich den Finger im Arsch hat, aber ich schweife ab und vielleicht belehrt mich Mr. Whatthefuckis bald eines bessern.
Nun ist es so, dass eine realistische Sicht auf die Dinge mit gewissen sozialen Kosten verbunden ist und die belaufen sich in der Regel darauf, dass man sich irgendwelche Beschimpfungen und Beleidigungen anhören muss; in der Regel von Leuten, deren Ansichten nicht immer in der Wirklichkeit außerhalb ihrer Phantasie gegründet sind meist auf einem Niveau, dem die intellektuelle Notdurft auf die Stirn geschrieben steht. Manchmal wird man auch einfach nur in der Intelligenz verletzt.
Der zuletzt erwähnte Fall tritt ein, wenn Martin Schulz (SPD), Vorsitzender jener Krull-Oper, die abwechselnd in Strasbourg und Bruxelles residiert und sich öffentlich als ein „Parlament“ auszugeben versucht (eins, das nichts zu sagen hat), von den vier Freiheiten spricht, die „Europa“ garantiert und dabei zweckdienlich vergisst, dass diese vier Freiheiten nicht die eine Freiheit ersetzen, die für sie geopfert wurde. Oder, um es auf Englisch zu sagen: four freedoms but no liberty.
Letzteres, liberty, ist ein Begriff, für den es in der deutschen Sprache keine Entsprechung gibt, vermutlich nicht ohne Grund: unter Freiheit von etwas kann man sich auch dann noch etwas vorstellen, wenn man den Kopf voller Sauerkraut hat; Freiheit zu etwas hingegen verlangt eine intellektuelle Disziplin, die hierzulande seit Einführung der Wohlfühlschule nicht mehr hoch im sozial erwünschten, uffjeklärten Kurs steht.
Das ist anscheinend der Preis, den wir zahlen müssen, damit die pan-„europäischen“ Sozialstaatsfunktionäre sich ihre Klientel heranzüchten können, an die sie all die Wohltaten verteilen, zu deren Bezahlung sie anderen Leuten recht tief in die Tasche greifen. Es ist, wie damit gesagt sein soll, simpel, mit Geld großzügig zu sein, das einem nicht gehört, liebe Sozialdemokraten: Das kann jeder.
Weil natürlich auch Sozialdemokraten nicht nur aus blöden Arschlöchern bestehen, ist sogar bei ihnen zumindest in homöopathischer Dosis das Bewusstsein virulent, dass der Staat nur so „sozial gerecht“ sein kann, wie die Steuereinnahmen, aus denen er sich bedient; und seit die deutsche Sozialdemokratie Teilen ihrer Klientel die Erkenntnis nicht länger vorenthalten konnte, dass auch der Staat ihnen nichts geben kann, was er ihnen nicht vorher weggenommen hat, kratzt die SPD die 20%-Hürde meist nur noch von unten an.
Das ist der Hintergrund, vor dem die vorsichtigen, zaghaften Bemühungen um ein Tauwetter in den seit dem 8. Mai 1945 eingefrorenen deutsch-britischen Beziehungen zu sehen sind; es ist ja nicht so, dass Germany den Briten die Befreiung vom Faschismus nicht verziehen hätte! Er deutet zudem an, dass in einer marktwirtschaftlich geregelten Welt für das Angebot aus dem Vereinigten Königreich (immerhin der am schnellsten wachsende Wirtschaftsraum der G7-Staaten) eine rege Nachfrage bestehen sollte.
Dass wir in keiner marktwirtschaftlichen Wirklichkeit leben, ist daran zu erkennen, dass die TeilnehmerInnen der Rigaer Schweigespirale sich lieber gegenseitig die Zunge abbissen als einzugestehen, dass sie letztlich nur jenes Management sind, das auf der Titanic neue Liegestühle aufstellen will.
Schließlich ist auch Mr. Cameron nicht gratis. Und das, nämlich sein Preis, war genau die Stelle, an der Familie Augsteins Pleite-Postille in ihrer Funktion als Mitarbeiterzeitschrift der VEB Yourup AG hysterisch von „Erpressung!“ kreischte: Weil sie sich bei ihren geheimsten Wünschen gepackt empfand. Es besteht allerdings auch eine gewisse Ironie darin, dass ausgerechnet HM Gouvernement nun die Deutschen vor sich selbst retten soll.
Aber es ist einigermaßen unwahrscheinlich, dass viel daraus wird. Zu fest sitzt der Sozialstaat samt seiner Klientel in Germany im Sattel und eine deutsche Maggie ist Frau Dr. Merkel nicht. Sie dürfte eher am zweiten Geheimnis Großbritanniens interessiert sein: Wie man als eine dem Namen nach konservative Partei in Wahlen die absolute Mehrheit erringt.
 haolam

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