von Gerrit Liskow
Nach seinem allgemein als überraschend bewerteten Wahlsieg scheint
Mr. Cameron, der Premierminister, im Besitz zweier Geheimnisse zu sein,
die bei den anstehenden Verhandlungen über die Neuordnung des britischen
Verhältnisses zum Rest der EU als Pokerchips sehr nützen könnten: Das
eine Geheimnis ist parteipolitischer, das andere wirtschaftspolitischer
Art.
Zuerst zu letzterem Aspekt. Nach so gut wie einem Jahrzehnt, das auf
dem Altar von „Mehr Europa“ geopfert wurde, ist es mehr als zweifelhaft,
dass es mit der Großeuropäischen Wohlfahrtssphäre zwischen Portugal und
Krim wirtschaftlich besser wird, wenn man gleich noch eine zweite
verlorene Dekade hinten dranhängt.
Indes ist diese Sicht auf die Dinge keine in der EU mehrheitsfähige
Meinung. Das zeigte sich am ohrenbetäubenden Schweigen, mit dem die
britische Delegation beim jüngsten Gipfel der Brüsseler Beamtendiktatur
in Riga empfangen wurde; immerhin hätte ein Wahlsieg von Ed „Stone“
Miliband mehr „europäisches“ business-as-usual bedeutet.
In „Europa“, daran gilt es in diesem Zusammenhang immer wieder zu
erinnern, ist die gleichmäßige, „sozial gerechte“ Verteilung des Elends
oberstes Staatsziel; Wirtschaftswachstum stört da nur. Und in der Zeit
seit 2008 hat die EUdSSR bei der Angleichung der Lebensverhältnisse
überall auf dem gleichnamigen Kontinent viel erreicht; in der Regel bei
der „Harmonisierung“ nach unten. Man weiß manchmal nicht, ob der
Sozialstaat nicht doch die entwickelte Form des Faschismus ist.
Die Harmoniehütte und Katastrophenregion ist mehr oder weniger
deckungsgleich mit der Euro-Zone: Griechenland hängt finanziell am Tropf
und wird dort dauerhaft hängen bleiben, wenn nicht ein Wunder geschieht
oder ersatzweise zumindest die Drachme zurückkehrt; Portugal geht es
nur auf dem Papier etwas besser.
Italien ist das Land, über das man in diesem Zusammenhang besser
nicht spricht, sonst muss jemand in Berlin wieder eine neue italienische
Regierung ernennen. In Spanien hingegen bereitet sich eine
proletarische Protestpartei aus Grünen, Anarchisten, Gewerkschaftlern
und Alt-Kommunisten darauf vor, die nächste Regierung zu stellen indem
sie das verspricht, was alle gerne hätten: solange Kaviar auf die
Straßen zu schütten, bis der Pöbel darin ausrutscht.
Und ja, liebe Leserinnen und Leser: Die WählerInnen der
„Podemos“-Partei glauben daran tatsächlich; aber an derselben
„politischen“ Idiotie besteht selbstverständlich auch diesseits der
Pyrenäen kein Mangel. Wenn der gegenwärtige Zustand „Europas“ die
Antwort sein soll, muss man sich überlegen, was die Frage war.
Nun ist es so, dass Ideologien nicht über Nacht verschwinden, sondern
meist erst nach einem kathartischen Konflikt, der gerade im Fall der
deutschen Selbstmordsekte offenbar nicht brutal genug ausfallen kann.
Aber wie kann es angesichts von Arbeitslosigkeit um 50% am Südrand der
EU für Einsicht in die Realitäten der wirklichen Welt noch immer zu früh
sein? Kann es noch schlimmer kommen? Aus Sicht der offiziellen
„Europa“-Politik, die zu gleichen Teilen in Berlin und am Quai
d’Orfèvre, am Gestade der Rewolüßiong, gemacht wird, muss es das wohl.
Eine Neuordnung der franco-germanischen Entente in Richtung auf eine
anglo-germanische Option, liebe Leserinnen und Leser, ist ja nur eine
Minderheitenphantasie, von der im deutschen Wirtschaftsministerium
vereinzelt geträumt wird; dort gibt es wenigstens noch ein paar
Funktionäre, denen immerhin der Theorie nach bekannt sein dürfte, dass
sie das Geld anderer Leute ausgeben.
Aber in Genosse Steinmeiers Außenministerium gilt die
marktwirtschaftliche Wirklichkeit als Teufelszeug. Hier lebt man im
Wahn, alle politischen Allianzen wären gleich, nur manche wären eben
gleicher, und hat im Übrigen vielleicht nicht unbedingt gelernt (denn
das würde intellektuelle Anstrengung bedeuten), aber sich zumindest
angewöhnt, über die realen Zustände einer Welt, in der das Geld nicht
auf Bäumen wächst, selbstgefällig hinwegzusehen; zumindest solange die
Fleischtröge Ägyptens schön voll und die Schnitzelpiste nicht zu lang
wird.
Jede Art von Wachstumsimpulsen hat die selbsternannte Brüsseler
Beamtendiktatur im Laufe der letzten Jahrzehnte nachhaltig wegverwaltet
und war zumindest in einem Punkt erfolgreich: in ihrem oben genannten
Ziel, der „sozial gerechten“ Verteilung des Elends in „Europa“ und zum
Glück ist es mit dem Sozialismus meist so, dass er dann aufhört, wenn
das Geld alle ist; ihr eigenes Geld geben die selbsternannten Apostel
der sozialen Gerechtigkeit schließlich nicht aus. Ja, lieber Leserinnen
und Leser: Dafür nehmen die Ihr Geld!
Dass der Sozialismus von denen bezahlt wird, die ihn aufbauen wollen,
dürfte die historische Ausnahme sein, auf deren Materialisation ich
noch lange warten muss. In der Regel reicht diese Ideologie nicht mal
für Klopapier, bei dem man nicht gleich den Finger im Arsch hat, aber
ich schweife ab und vielleicht belehrt mich Mr. Whatthefuckis bald eines
bessern.
Nun ist es so, dass eine realistische Sicht auf die Dinge mit
gewissen sozialen Kosten verbunden ist und die belaufen sich in der
Regel darauf, dass man sich irgendwelche Beschimpfungen und
Beleidigungen anhören muss; in der Regel von Leuten, deren Ansichten
nicht immer in der Wirklichkeit außerhalb ihrer Phantasie gegründet sind
meist auf einem Niveau, dem die intellektuelle Notdurft auf die Stirn
geschrieben steht. Manchmal wird man auch einfach nur in der Intelligenz
verletzt.
Der zuletzt erwähnte Fall tritt ein, wenn Martin Schulz (SPD),
Vorsitzender jener Krull-Oper, die abwechselnd in Strasbourg und
Bruxelles residiert und sich öffentlich als ein „Parlament“ auszugeben
versucht (eins, das nichts zu sagen hat), von den vier Freiheiten
spricht, die „Europa“ garantiert und dabei zweckdienlich vergisst, dass
diese vier Freiheiten nicht die eine Freiheit ersetzen, die für sie
geopfert wurde. Oder, um es auf Englisch zu sagen: four freedoms but no liberty.
Letzteres, liberty, ist ein Begriff, für den es in der deutschen Sprache keine Entsprechung gibt, vermutlich nicht ohne Grund: unter Freiheit von etwas kann man sich auch dann noch etwas vorstellen, wenn man den Kopf voller Sauerkraut hat; Freiheit zu etwas
hingegen verlangt eine intellektuelle Disziplin, die hierzulande seit
Einführung der Wohlfühlschule nicht mehr hoch im sozial erwünschten,
uffjeklärten Kurs steht.
Das ist anscheinend der Preis, den wir zahlen müssen, damit die
pan-„europäischen“ Sozialstaatsfunktionäre sich ihre Klientel
heranzüchten können, an die sie all die Wohltaten verteilen, zu deren
Bezahlung sie anderen Leuten recht tief in die Tasche greifen. Es ist,
wie damit gesagt sein soll, simpel, mit Geld großzügig zu sein, das
einem nicht gehört, liebe Sozialdemokraten: Das kann jeder.
Weil natürlich auch Sozialdemokraten nicht nur aus blöden
Arschlöchern bestehen, ist sogar bei ihnen zumindest in homöopathischer
Dosis das Bewusstsein virulent, dass der Staat nur so „sozial gerecht“
sein kann, wie die Steuereinnahmen, aus denen er sich bedient; und seit
die deutsche Sozialdemokratie Teilen ihrer Klientel die Erkenntnis nicht
länger vorenthalten konnte, dass auch der Staat ihnen nichts geben
kann, was er ihnen nicht vorher weggenommen hat, kratzt die SPD die
20%-Hürde meist nur noch von unten an.
Das ist der Hintergrund, vor dem die vorsichtigen, zaghaften
Bemühungen um ein Tauwetter in den seit dem 8. Mai 1945 eingefrorenen
deutsch-britischen Beziehungen zu sehen sind; es ist ja nicht so, dass
Germany den Briten die Befreiung vom Faschismus nicht verziehen hätte!
Er deutet zudem an, dass in einer marktwirtschaftlich geregelten Welt
für das Angebot aus dem Vereinigten Königreich (immerhin der am
schnellsten wachsende Wirtschaftsraum der G7-Staaten) eine rege
Nachfrage bestehen sollte.
Dass wir in keiner marktwirtschaftlichen Wirklichkeit leben, ist
daran zu erkennen, dass die TeilnehmerInnen der Rigaer Schweigespirale
sich lieber gegenseitig die Zunge abbissen als einzugestehen, dass sie
letztlich nur jenes Management sind, das auf der Titanic neue
Liegestühle aufstellen will.
Schließlich ist auch Mr. Cameron nicht gratis. Und das, nämlich sein
Preis, war genau die Stelle, an der Familie Augsteins Pleite-Postille in
ihrer Funktion als Mitarbeiterzeitschrift der VEB Yourup AG hysterisch
von „Erpressung!“ kreischte: Weil sie sich bei ihren geheimsten Wünschen
gepackt empfand. Es besteht allerdings auch eine gewisse Ironie darin,
dass ausgerechnet HM Gouvernement nun die Deutschen vor sich selbst
retten soll.
Aber es ist einigermaßen unwahrscheinlich, dass viel daraus wird. Zu
fest sitzt der Sozialstaat samt seiner Klientel in Germany im Sattel und
eine deutsche Maggie ist Frau Dr. Merkel nicht. Sie dürfte eher am
zweiten Geheimnis Großbritanniens interessiert sein: Wie man als eine
dem Namen nach konservative Partei in Wahlen die absolute Mehrheit
erringt.
haolam
No comments:
Post a Comment