Klinisch tot wäre der Chef des "Islamstaats", spekulieren irakische und iranische Medien. "Kalif Ibrahim",
Abu Bakr al-Baghdadi, sei seinen Verletzungen aus dem Luftschlag an
Syriens Grenze vom 18. März 2015 erlegen. Zwar wollte dies das Pentagon
drei Tage später nicht bejahen. Doch rumort es seit 22. April, dessen
Vize Abu Alaa Afri führe jetzt. Dies mag stimmen oder wie bereits im
November 2014 nur eine Kampagne sein. Aber wie expandierte deren "Islamstaat" derart schnell - und gab es dabei historische Vorbilder?
In Tall Rif'at, nahe Aleppo, plante ein irakischer Geheimdienstoffizier Ende 2012, Syrien durch Männer des "Islamstaats" zu übernehmen, um dann von diesem Brückenkopf in Irak einzufallen. Noch zwei Jahre zuvor hätten sie Abu Bakr al-Baghdadi zum Emir, dann zum "Kalif Ibrahim als Führer des Islamstaats" gemacht. Geplant, getan, so erhellt es jüngst der Journalist Christoph Reuter, als er im November 2014 Blaupausen und Organigramme des irakischen Terrorstrategen Samir Abd Muhammad al-Khalifawi alias Hajji Bakr einsah. Dessen Pläne eines "Islamistischen Überwachungsstaats" erinnerten Reuter - an die Stasi.
Mehr noch: Bakrs 31 Seiten bargen Skizzen des "Islamstaats" auf der
geheimdienstlichen Kommando- und Kontrollebene. Dessen Vorgehen blieb
stets gleich. Unter dem Vorwand, ein Islamistisches Agitations- und
Rekrutierungsstelle (دعوة Da'wa) zu etablieren, heuerte er Spione an,
zumeist Teenager, die lokale Angaben besorgten. Er machte dann Listen
der Stammes- und Familienführer, ihrer Clanmitglieder und
Einkommensarten. Alles gedieh wichtig, womit man diese und die Rebellen
nach Scharia-Gesetz erpressen konnte, darunter wer heiratet wen, wer
bezahlt den Imam und wer setzt sich sogar für eine Demokratie ein.
Jede Region des Kalifats - Bakrs Schaubild gilt Aleppo - leitet ein Gouverneur (الوالي العام Wali), dem ein Rat (شورة) zur Seite steht. Laut Reuter führen Emire Provinzräte an. Diese beschatten Vize-Emire in einer sicherheitsdienstlichen Doppelstruktur. Damit schuf Bakr ein Abbild der Dienste Saddam Husains für den "Islamstaat": niemand ist dort sicher, wer wen aushorcht. Diese Planung begünstigte, dass nach der allliierten Invasion im Mai 2003 Iraks Armee per Dekret endete, aber kein Ersatz aufkam. Das Widerstandspotenzial uferte aus. Daraus ging in der westirakischen al-Anbar-Provinz der al-Qaida-Führer Abu Musab az-Zarqawi hervor, der al-Baghdadi beeinflusst hat, aber schließlich am 7. Juni 2006 einem US-Angriff erlag. Im Folgejahr promovierte der künftige Kalif an der Universität Baghdad, wirkte für die al-Qaida und an-Nusra Front. Plötzlich kam die Chance, Pläne zu realisieren.
Amerika zog voll Ende 2011 aus dem Irak ab. Baghdad begann, Sunniten auszuschließen.
Sicher gab es die Parallelen und Synthesen in hundert Jahren. Reisende berichteten oft aus Mittelost über die Religiosität und den Fanatismus. Sie beschrieben dies Berlin kurz vor Kaiser Wilhelms Reise dahin 1898. Nach der "fanatisierenden Bewegung" des Mahdis, der bis dahin im Sudan zwölf Jahre seinen Islamstaat hielt, habe der Jihad einen "defensiven Charakter". Aber er wäre unberechenbar, riefe ihn der Kalif in Istanbul aggressiv aus, wenn Muslime gehörig präpariert würden. Vor den dabei erhöhten Überlebensrisiken gegenüber christlichen, jüdischen und schiitischen Minoritäten warnten Islamgelehrte wie C. Snouck Hurgronje und der Schiitenführer Aga Khan III. Dennoch entwarf Abd al-Malik Hamza eine Theorie des Islamismus; Abd al-Aziz Jawish erklärte die islamistische Kolonisation.
Johannes Lepsius erlebte dies im Osmanenreich. Dort erkannte er trotz aller Versuche, eine tolerante Ideologie zu schaffen, Fehler des Reichsislamismus und der Militärdiktatur, die der Deutsche als totalitär skizzierte. Islamistischer Fanatismus fördere den Chauvinismus. Neue Parteien wurden wie nationale Autonomien verboten. Auch er sah die Doppelstruktur "Partei und Staat" zwischen Männern des Komitees für Einheit und Fortschritt und Leitern eines "rein islamischen" Kalifats. In den bis zu 75 Lesesälen, die Berlin mit Kriegsminister Enver Pascha als Agitations- und Rekrutierungsstellen im Osmanenreich ab 1914 bildete, sammelten sich Islamisten, die sich an den Christen und Juden vergriffen. Zum Sonderfall geriet Envers Einheit teshkilat-i makhsusa: Eingeschworene führten tödliche Angriffe vor allem gegen die christlichen und jüdischen Minderheiten und gegen Andersgläubige aus.
Als aus Europa die Nazi-Ortsgruppen in Algerien, Marokko, Tunesien, Ägypten, Palästina, Syrien, Irak und Iran ausgriffen, schlug der Islamistenführer Amin al-Husaini 1937 Adolf Hitler einen Pakt vor. Unter ein Dutzend Punkten, die jüdische Heimstätte in Palästina "mit allen Mitteln" zu beseitigen, die Judenboykotte und Nazi-Ideologie zu verbreiten, wollte der einstige Osmanenoffizier wie 23 Jahre zuvor gemeinsam Da'wa-Stellen bilden. Berlins Zentrales Islaminstitut, das er führte, wurde Leitstelle mit Jihadis in Europa und Mittelost.
Nach 1945 wurde zwar der Nazismus in Amerika und Europa delegitimiert, doch weniger in Mittelost. Dorthin flüchteten tausende Nazis und machten in Israels Nachbarstaaten wie einst weiter. In der Region scheute man es, die Achse von Islamisten und Nazis anzugehen. Letztere verloren dort Ende der 1960er Jahre an Einfluss. Dafür griffen die Sowjets und ihre Partner aus. Braune und grüne Ideologeme färbten sich rot ein - in Algerien, Ägypten, Sudan, Libyen, Irak, Syrien, Jemen und bei der PLO. Das betraf auch die Geheimdienste, womit der Islamismus totalitäre Stränge verfestigte. Ostberlin kooperierte besonders eng gleichwohl mit Baghdad und Damaskus. Dies zeitigte Papierspuren und neue Adaptionen.
Christoph Reuters Analysen über solche Kommando- und Kontrollebenen erhärtet dies im "Islamstaat". Aber die Gegenkoalition mit über 60 Staaten kann den Staat offenbar weder erkennen noch stoppen. Da die Strategie bisher versagt, werden eben neue Ansätze erörtert.
gatestoneinstitute
In Tall Rif'at, nahe Aleppo, plante ein irakischer Geheimdienstoffizier Ende 2012, Syrien durch Männer des "Islamstaats" zu übernehmen, um dann von diesem Brückenkopf in Irak einzufallen. Noch zwei Jahre zuvor hätten sie Abu Bakr al-Baghdadi zum Emir, dann zum "Kalif Ibrahim als Führer des Islamstaats" gemacht. Geplant, getan, so erhellt es jüngst der Journalist Christoph Reuter, als er im November 2014 Blaupausen und Organigramme des irakischen Terrorstrategen Samir Abd Muhammad al-Khalifawi alias Hajji Bakr einsah. Dessen Pläne eines "Islamistischen Überwachungsstaats" erinnerten Reuter - an die Stasi.
"Kalif Ibrahim", Abu Bakr al-Baghdadi.
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Jede Region des Kalifats - Bakrs Schaubild gilt Aleppo - leitet ein Gouverneur (الوالي العام Wali), dem ein Rat (شورة) zur Seite steht. Laut Reuter führen Emire Provinzräte an. Diese beschatten Vize-Emire in einer sicherheitsdienstlichen Doppelstruktur. Damit schuf Bakr ein Abbild der Dienste Saddam Husains für den "Islamstaat": niemand ist dort sicher, wer wen aushorcht. Diese Planung begünstigte, dass nach der allliierten Invasion im Mai 2003 Iraks Armee per Dekret endete, aber kein Ersatz aufkam. Das Widerstandspotenzial uferte aus. Daraus ging in der westirakischen al-Anbar-Provinz der al-Qaida-Führer Abu Musab az-Zarqawi hervor, der al-Baghdadi beeinflusst hat, aber schließlich am 7. Juni 2006 einem US-Angriff erlag. Im Folgejahr promovierte der künftige Kalif an der Universität Baghdad, wirkte für die al-Qaida und an-Nusra Front. Plötzlich kam die Chance, Pläne zu realisieren.
Amerika zog voll Ende 2011 aus dem Irak ab. Baghdad begann, Sunniten auszuschließen.
Synthesen
Befördert durch Syriens Bürgerkrieg, füllte der "Islamstaat" dies syrische Vakuum von ar-Raqqa aus. Reuter zeigt, wie diese Provinzstadt zwischen März und Oktober 2013 erobert wurde. Der ex-Stern-Reporter, der nach 9/11 durch sein Buch über Selbstmordattentäter "Mein Leben ist eine Waffe" hervortrat, erhellt, wie die Stadt eine totalitäre Ideologie und Struktur durchzog, wie sie fiel und rückerobert wurde, was im Januar 2014 auch zum Tod des Terrorstrategen Bakr in Tall Rif'at führte. Reuter meinte, dem "Islamstaat" erging es wie der Stasi: sie ertrank in Informationen und konnte Akten nicht rasch genug beseitigen.Sicher gab es die Parallelen und Synthesen in hundert Jahren. Reisende berichteten oft aus Mittelost über die Religiosität und den Fanatismus. Sie beschrieben dies Berlin kurz vor Kaiser Wilhelms Reise dahin 1898. Nach der "fanatisierenden Bewegung" des Mahdis, der bis dahin im Sudan zwölf Jahre seinen Islamstaat hielt, habe der Jihad einen "defensiven Charakter". Aber er wäre unberechenbar, riefe ihn der Kalif in Istanbul aggressiv aus, wenn Muslime gehörig präpariert würden. Vor den dabei erhöhten Überlebensrisiken gegenüber christlichen, jüdischen und schiitischen Minoritäten warnten Islamgelehrte wie C. Snouck Hurgronje und der Schiitenführer Aga Khan III. Dennoch entwarf Abd al-Malik Hamza eine Theorie des Islamismus; Abd al-Aziz Jawish erklärte die islamistische Kolonisation.
Johannes Lepsius erlebte dies im Osmanenreich. Dort erkannte er trotz aller Versuche, eine tolerante Ideologie zu schaffen, Fehler des Reichsislamismus und der Militärdiktatur, die der Deutsche als totalitär skizzierte. Islamistischer Fanatismus fördere den Chauvinismus. Neue Parteien wurden wie nationale Autonomien verboten. Auch er sah die Doppelstruktur "Partei und Staat" zwischen Männern des Komitees für Einheit und Fortschritt und Leitern eines "rein islamischen" Kalifats. In den bis zu 75 Lesesälen, die Berlin mit Kriegsminister Enver Pascha als Agitations- und Rekrutierungsstellen im Osmanenreich ab 1914 bildete, sammelten sich Islamisten, die sich an den Christen und Juden vergriffen. Zum Sonderfall geriet Envers Einheit teshkilat-i makhsusa: Eingeschworene führten tödliche Angriffe vor allem gegen die christlichen und jüdischen Minderheiten und gegen Andersgläubige aus.
Als aus Europa die Nazi-Ortsgruppen in Algerien, Marokko, Tunesien, Ägypten, Palästina, Syrien, Irak und Iran ausgriffen, schlug der Islamistenführer Amin al-Husaini 1937 Adolf Hitler einen Pakt vor. Unter ein Dutzend Punkten, die jüdische Heimstätte in Palästina "mit allen Mitteln" zu beseitigen, die Judenboykotte und Nazi-Ideologie zu verbreiten, wollte der einstige Osmanenoffizier wie 23 Jahre zuvor gemeinsam Da'wa-Stellen bilden. Berlins Zentrales Islaminstitut, das er führte, wurde Leitstelle mit Jihadis in Europa und Mittelost.
Nach 1945 wurde zwar der Nazismus in Amerika und Europa delegitimiert, doch weniger in Mittelost. Dorthin flüchteten tausende Nazis und machten in Israels Nachbarstaaten wie einst weiter. In der Region scheute man es, die Achse von Islamisten und Nazis anzugehen. Letztere verloren dort Ende der 1960er Jahre an Einfluss. Dafür griffen die Sowjets und ihre Partner aus. Braune und grüne Ideologeme färbten sich rot ein - in Algerien, Ägypten, Sudan, Libyen, Irak, Syrien, Jemen und bei der PLO. Das betraf auch die Geheimdienste, womit der Islamismus totalitäre Stränge verfestigte. Ostberlin kooperierte besonders eng gleichwohl mit Baghdad und Damaskus. Dies zeitigte Papierspuren und neue Adaptionen.
Christoph Reuters Analysen über solche Kommando- und Kontrollebenen erhärtet dies im "Islamstaat". Aber die Gegenkoalition mit über 60 Staaten kann den Staat offenbar weder erkennen noch stoppen. Da die Strategie bisher versagt, werden eben neue Ansätze erörtert.
gatestoneinstitute
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