Ein Gipfeltreffen von Kirchenleitern aus dem Nahen und Mittleren Osten
mit westlichen Politikern und Diplomaten hat die Einrichtung von
sicheren Zufluchtsregionen für verfolgte Christen und andere
Minderheiten im Irak und Syrien gefordert. Außerdem sollte eine
internationale Polizeitruppe für ihren Schutz sorgen. Die Vorschläge
wurden bei einer Konferenz im süditalienischen Bari vorgebracht, die
Ende April von der internationalen überkonfessionellen Gemeinschaft
Sant‘Egidio organisiert wurde. Ihr Gründer, der frühere italienische
Minister für internationale Zusammenarbeit und Integration Andrea
Riccardi (Rom), beklagte die ethnischen Säuberungen in der Region: „Eine
Welt ist im Untergang, und das ist ein Drama für die Christen, eine
Verarmung der islamischen Gesellschaften und ein Verlust für das
Gleichgewicht im Mittelmeerraum und für die Kultur.“ Riccardi
bekräftigte seinen Aufruf, in der nordirakischen Ninive-Ebene eine
sichere Zufluchtszone einzurichten. Dorthin sind bereits etwa 30.000
Christen vor der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) geflüchtet.
Presseberichten zufolge haben Christen eine Verteidigungsmiliz mit etwa
3.000 Freiwilligen aufgestellt. Im syrischen Aleppo könnte ein weiterer
Zufluchtsort für Christen entstehen, die vor radikalen islamischen
Milizen im Bürgerkrieg fliehen. Ziel diplomatischer und politischer
Bemühungen müsse die Einrichtung einer Waffenstillstandszone in Syrien
sein, so Riccardi. Ferner müsse man dem Libanon helfen, verstärkt
humanitäre Aktionen durchzuführen. Sant’Egidios Präsident, Prof. Marco
Impagliazzo (Rom), schlug vor, eine internationale Polizeitruppe
aufzustellen, die eingreifen sollte, wenn Minderheiten wie etwa Christen
unter Beschuss geraten. Als Vorbild nannte er die UN-Friedensmission
UNIFIL im Libanon.
Der italienische Außenminister Paolo Gentiloni sagte, Europa sei „an
Egoismus, Feigheit und Gleichgültigkeit“ erkrankt. Die Europäer wendeten
ihren Blick ab vom Martyrium der Christen im Orient. Man müsse „die
Pädagogik des Hasses“ bekämpfen. Kirchenleiter aus der Krisenregion
warnten, dass das Christentum dort von Auslöschung bedroht sei. Die
Bevölkerung fühle sich vom Westen im Stich gelassen. Sie baten die
Gemeinschaft Sant’Egidio, sie bei Begegnungen mit westlichen Politikern
zu begleiten, damit ihre Stimmen auf höchster Ebene Gehör finden. Der
melkitische (griechisch-katholische) Patriarch Gregorius III. Laham
(Damaskus) forderte eine ökumenische Initiative, um einen Friedensplan
zu erarbeiten, der den Großmächten vorgelegt werden könne. Der
chaldäisch-katholische Erzbischof von Kirkuk (Irak), Yousif Mirkis,
sagte, die Gefühlskälte Europas sei eine „Schande“. Die Kirchen müssten
bei der EU, den Vereinten Nationen, den USA und Russland ihre
Forderungen vorbringen, dem politischen Islam Einhalt zu gebieten. Der
zypriotisch-orthodoxe Erzbischof Chrysostomos II. beklagte eine
„heuchlerische Tatenlosigkeit der Mächtigen der Erde und der Vereinten
Nationen, die doch im Namen des Friedens gegründet wurden“. Der
syrisch-orthodoxe Patriarch von Antiochien, Ignatius Aphrem II., fragte,
ob man – wie beim Völkermord an den Armeniern – 100 Jahre warten müsse,
bis die Welt reagiere.
Der „Außenminister“ des Vatikans, Erzbischof Paul Gallagher, ermunterte
die Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, das Phänomen des
Terrorismus ernsthaft anzugehen. Dazu gehöre etwa, die in Moscheen und
Schulen vermittelten Lehren einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Auch müsse der Exodus der Christen gestoppt werden. Gallagher: „Das
Gewissen der internationalen Gemeinschaft muss wachgerüttelt werden,
denn die grundlegenden Werte des Lebens, der Menschenwürde und des
zivilen Zusammenlebens stehen auf dem Spiel.“ Im Irak sind von den etwa
1,5 Millionen Christen, die vor der US-geführten Invasion im Jahr 2003
dort zuhause waren, weniger als 400.000 verblieben; davon leben
schätzungsweise 200.000 als Flüchtlinge in Erbil (Kurdistan). Ähnlich
ist die Lage in Syrien: Vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs vor vier
Jahren stellten die 1,8 Millionen Christen etwa ein Zehntel der
Bevölkerung.Inzwischen sind mindestens 500.000 geflohen. Die
Gemeinschaft Sant’Egidio entstand 1968 in Rom durch eine Initiative von
Jugendlichen, die sich die christliche Urgemeinde aus der
Apostelgeschichte und Franz von Assisi (1181/82–1226) zum Vorbild
nahmen. Heute zählt die Laienbewegung über 50.000 Mitglieder in mehr als
70 Ländern.
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