Wednesday, May 06, 2015

Christen im Nahen Osten fordern internationalen Polizeischutz

Ein Gipfeltreffen von Kirchenleitern aus dem Nahen und Mittleren Osten mit westlichen Politikern und Diplomaten hat die Einrichtung von sicheren Zufluchtsregionen für verfolgte Christen und andere Minderheiten im Irak und Syrien gefordert. Außerdem sollte eine internationale Polizeitruppe für ihren Schutz sorgen. Die Vorschläge wurden bei einer Konferenz im süditalienischen Bari vorgebracht, die Ende April von der internationalen überkonfessionellen Gemeinschaft Sant‘Egidio organisiert wurde. Ihr Gründer, der frühere italienische Minister für internationale Zusammenarbeit und Integration Andrea Riccardi (Rom), beklagte die ethnischen Säuberungen in der Region: „Eine Welt ist im Untergang, und das ist ein Drama für die Christen, eine Verarmung der islamischen Gesellschaften und ein Verlust für das Gleichgewicht im Mittelmeerraum und für die Kultur.“ Riccardi bekräftigte seinen Aufruf, in der nordirakischen Ninive-Ebene eine sichere Zufluchtszone einzurichten. Dorthin sind bereits etwa 30.000 Christen vor der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) geflüchtet. Presseberichten zufolge haben Christen eine Verteidigungsmiliz mit etwa 3.000 Freiwilligen aufgestellt. Im syrischen Aleppo könnte ein weiterer Zufluchtsort für Christen entstehen, die vor radikalen islamischen Milizen im Bürgerkrieg fliehen. Ziel diplomatischer und politischer Bemühungen müsse die Einrichtung einer Waffenstillstandszone in Syrien sein, so Riccardi. Ferner müsse man dem Libanon helfen, verstärkt humanitäre Aktionen durchzuführen. Sant’Egidios Präsident, Prof. Marco Impagliazzo (Rom), schlug vor, eine internationale Polizeitruppe aufzustellen, die eingreifen sollte, wenn Minderheiten wie etwa Christen unter Beschuss geraten. Als Vorbild nannte er die UN-Friedensmission UNIFIL im Libanon. Der italienische Außenminister Paolo Gentiloni sagte, Europa sei „an Egoismus, Feigheit und Gleichgültigkeit“ erkrankt. Die Europäer wendeten ihren Blick ab vom Martyrium der Christen im Orient. Man müsse „die Pädagogik des Hasses“ bekämpfen. Kirchenleiter aus der Krisenregion warnten, dass das Christentum dort von Auslöschung bedroht sei. Die Bevölkerung fühle sich vom Westen im Stich gelassen. Sie baten die Gemeinschaft Sant’Egidio, sie bei Begegnungen mit westlichen Politikern zu begleiten, damit ihre Stimmen auf höchster Ebene Gehör finden. Der melkitische (griechisch-katholische) Patriarch Gregorius III. Laham (Damaskus) forderte eine ökumenische Initiative, um einen Friedensplan zu erarbeiten, der den Großmächten vorgelegt werden könne. Der chaldäisch-katholische Erzbischof von Kirkuk (Irak), Yousif Mirkis, sagte, die Gefühlskälte Europas sei eine „Schande“. Die Kirchen müssten bei der EU, den Vereinten Nationen, den USA und Russland ihre Forderungen vorbringen, dem politischen Islam Einhalt zu gebieten. Der zypriotisch-orthodoxe Erzbischof Chrysostomos II. beklagte eine „heuchlerische Tatenlosigkeit der Mächtigen der Erde und der Vereinten Nationen, die doch im Namen des Friedens gegründet wurden“. Der syrisch-orthodoxe Patriarch von Antiochien, Ignatius Aphrem II., fragte, ob man – wie beim Völkermord an den Armeniern – 100 Jahre warten müsse, bis die Welt reagiere. Der „Außenminister“ des Vatikans, Erzbischof Paul Gallagher, ermunterte die Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, das Phänomen des Terrorismus ernsthaft anzugehen. Dazu gehöre etwa, die in Moscheen und Schulen vermittelten Lehren einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Auch müsse der Exodus der Christen gestoppt werden. Gallagher: „Das Gewissen der internationalen Gemeinschaft muss wachgerüttelt werden, denn die grundlegenden Werte des Lebens, der Menschenwürde und des zivilen Zusammenlebens stehen auf dem Spiel.“ Im Irak sind von den etwa 1,5 Millionen Christen, die vor der US-geführten Invasion im Jahr 2003 dort zuhause waren, weniger als 400.000 verblieben; davon leben schätzungsweise 200.000 als Flüchtlinge in Erbil (Kurdistan). Ähnlich ist die Lage in Syrien: Vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs vor vier Jahren stellten die 1,8 Millionen Christen etwa ein Zehntel der Bevölkerung.Inzwischen sind mindestens 500.000 geflohen. Die Gemeinschaft Sant’Egidio entstand 1968 in Rom durch eine Initiative von Jugendlichen, die sich die christliche Urgemeinde aus der Apostelgeschichte und Franz von Assisi (1181/82–1226) zum Vorbild nahmen. Heute zählt die Laienbewegung über 50.000 Mitglieder in mehr als 70 Ländern.
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