Im Zusammenhang mit der Ermordung von Hrant Dink werden in der Türkei immer mehr Verdächtige festgenommen. Der Polizeiapparat in Trabzon war von dem Mordkomplott zumindest informiert. von sabine küper-büsch, istanbul
Wäre das Ganze nur ein Spiel wie »Räuber und Gendarm«, könnte man die radikalnationale Bewegung in der Türkei getrost als einen kleinen Haufen armer Irrer abtun. Doch wie Hrant Dinks Sohn Arat nach der Ermordung seines Vaters am 19.Januar sagte, konnten ein »paar Hirnlose« einen Menschen wegen eines Zeitungsartikels töten, den sie niemals gelesen hatten.
In den vergangenen Wochen konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der türkischen Öffentlichkeit erneut auf die Stadt Trabzon an der Schwarzmeerküste, aus der der Mörder Dinks, Ögün Samast, stammt. Es wurde immer deutlicher, dass es sich bei dem 17jährigen Samast mehr um ein williges Werkzeug als um einen ideologisch motivierten Killer handelt und im Hintergrund ein Netzwerk aus Ultranationalisten mit guten Beziehungen zu derartigen Parteien und dem Sicherheitsapparat existiert. Die Polizei nahm elf Personen aus dem Umfeld der rechtsextremen »Partei der Großen Einheit« (BBP) fest. Der Vorsitzende der BBP aus Trabzon, Yasar Cihan, sein Sohn Bahadir Cihan und der Vorsitzende der Jugendorganisation der BBP, Mustafa Öztürk, wurden in der vergangenen Woche wegen dubioser Beziehungen und offensichtlicher Falschaussagen zu dem Mord verhaftet.
Vor allem Yasin Hayal, der Ogün Samast mit dem Mord an Hrant Dink beauftragt hatte und kurz nach der Tat festgenommen wurde, revidiert derzeit seine Aussagen. Er gibt nun zu, dass mehr Personen mit dem Mord in Zusammenhang stehen, als er zunächst angegeben hatte. Hayal, der wegen eines Sprengstoffanschlags auf ein McDonald’s-Restaurant im Oktober 2004 vorbestraft ist, hatte kurz nach dem Mord gestanden, Samas beauftragt und ihm die Waffe verschafft zu haben. Inzwischen wurde auch bekannt, dass Hayal den Anschlag auf die McDonald’s-Filiale verübte, weil dort im Fastenmonat Ramadan tagsüber Essen verkauft wird. Bemerkenswerter als dieses Vorgehen eines islamistischen Fanatikers ist es, dass Hayal zwar im Jahr 2005 zu sechs Jahren Haft verurteilt, aber nach elf Monaten im Gefängnis wieder auf freien Fuß gesetzt wurde.
Hayal versuchte zunächst, den Mord an Dink als Werk einer kleinen Gruppe mit ihm als Rädelsführer darzustellen, und dementierte jegliche Verbindungen zu irgendwelchen Organisationen. Das hat neben einem mafiotischen Ehrenkodex, nach dem die kleinen Fische ins Gefängnis gehen, während die Auftraggeber im Dunkeln bleiben und höchstens den Familien der Täter mit Geld aushelfen, auch praktische Gründe. Nach dem türkischen Strafrecht erhöht sich das Strafmaß erheblich, wenn es sich um die Tat einer Gruppe handelt, denn dann fällt das Verbrechen unter das Anti-Terror-Gesetz.
Auch die politische Gruppe um Samast wird seit mehreren Wochen vernommen. Als ihre Treffpunkte gelten ein Internet-Café im Trabzoner Bezirk Pelitli und der örtliche Fußballverein Pelitli-Spor. Auf ihrer Homepage erschien nach der Entlarvung von Samast als Mörder Dinks ein Artikel über die ruhmreichen türkischen Vorfahren seiner Familie.
Die ultranationalistische Szene in Trabzon geriet bereits ins Blickfeld der Öffentlichkeit, als dort während der Auseinandersetzungen um die dänischen Mohammed-Karikaturen ein Jugendlicher aus diesem Spektrum den katholischen Priesters Andrea Santoro ermordete. Die Polizei der Stadt sucht bereits seit einem Jahr nach den Hintermännern des Mordes; bisher völlig ergebnislos.
Gleichzeitig entging den Ermitteln, dass Hayal eine Gruppe von etwa zehn Jugendlichen, darunter auch Samast, aus der ultranationalistischen Szene um sich scharte, um sie an der Waffe auszubilden. Der so genannte »große Bruder« beziehungsweise Mentor Hayals aus dem örtlichen ultrarechten Verband Nizam-i Alem (Ordnung in der Welt) ist ein Student der Betriebswirtschaft namens Erhan Tuncel. Er gab in der Woche nach dem Mord zu, dass Hayal ihm mehrere Male von seinen Plänen, Dink zu erschießen, erzählt habe. Die Überraschung war perfekt, als bekannt wurde, dass Tuncel als Informant für die Polizei arbeitete und mehrfach vor den Mordplänen gegen Dink gewarnt hatte.
Immer deutlicher wird, dass niemand ein Interesse daran hatte, den Mord zu verhindern. Cihan, der Vorsitzende der BBP in Trabzon, hatte etwa zunächst behauptet, dass er mit der Gruppe um Hayal bereits seit dem Jahr 2004 nicht s mehr zu tun habe, sie sei aus seiner Partei und der Jugendorganisation ausgeschieden. Mittlerweile ist bekannt geworden, dass er Hayals Familie finanziell unterstützt hat, als dieser wegen des Anschlags auf die McDonald’s Filiale im Gefängnis saß. Das ist verwunderlich, denn der arbeitslose Hayal trug auch in Freiheit nicht zum Lebensunterhalt seiner Familie bei.
Hinzu kommt, dass Cihans Sohn Bahadir vor und nach dem Mord mehrfach mit Hayals Mentor Tuncel telefonierte. Tuncels Mitbewohner Tuncay Uzundal sagte inzwischen aus, dass die ganze Hayal-Gruppe inklusive Bahadir Cihan oft in der gemeinsamen Wohnung so genannte Herrenabende veranstaltete. Währenddessen soll ultranationalistische Paranoia gesponnen und eine Strategie für Taten im Namen des Vaterlands ausgeheckt worden sein.
Auch Dink zu ermorden, scheint häufiger Thema gewesen zu sein. »Den Armenier zu beseitigen, der das Blut der Türken als vergiftet bezeichnet hat«, soll Uzundal zufolge von allen Anwesenden in patriotischer Selbstherrlichkeit als große Heldentat propagiert worden sein. Uzundal sagte auch aus, sein Mitbewohner Tuncel habe nach dem Bekanntwerden der Ermordung Dinks in der Wohnung gesagt, er werde Onkel Yasar (Cihan) anrufen und dafür sorgen, daß Samast wegen seines jugendlichen Alters und Hayal wegen seiner patriotischen Gesinnung ein geringes Strafmaß erhielten. Tuncel erhoffe sich damit das Diplom der Polizeiakademie.
Was genau damit gemeint war, kann man nur mutmaßen. Angesichts des Videos, auf dem man Samast nach seiner Festnahme zusammen mit Polizisten, die sich mit ihm solidarisieren, und einer türkischen Fahne sehen kann (Jungle World 06/07), sind die Verbindungen der Hayal-Gruppe zu einem Teil des Polizeiapparats offensichtlich. Halb Trabzon und der gesamte türkische Polizeiapparat waren offensichtlich von dem Komplott gegen Hrant Dink informiert. Die inzwischen nach Trabzon entsandten Inspekteure der Regierung, die sich absichtlich nicht des Polizeiapparats bedienten, entdeckten, dass 17 Warnungen hinsichtlich des Mordkomplotts bei der Polizei von Trabzon eingegangen sind. Diese wurden an die Geheimdienstabteilung der obersten Polizeibehörde in Ankara weitergeleitet, die ihrerseits nur eine einzige der Warnungen an die verantwortliche Behörde in Istanbul weiter gab.
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