Ach, es geht soviel verloren! Menschen, Brauchtümer, Jahre. Indes läßt die Gewöhnungsgabe alle Verluste früher oder später vergessen. Das ist schmählich, aber Überlebensnot. Und der allgewaltigste Tilger und Vergesser ist dann der Tod, obzwar nur der eigene, der der anderen schwärt und bekümmert, bleibt währender Verlust, skandalöse Vergeudung.
Noch gibt es Menschen, die ganze Passagen aus dem Faust, dem Erlkönig, der Schwäbischen Kunde und der Loreley auswendig hersagen und schnapsbeschwingt daselbst instrumental begleiten und besingen können. Es sind dies meist nur noch die Alten. (Die Reformpädagogik hat ja alle mnemotechnischen Errungenschaften neben vielen anderen Tugenden billig drein gegeben.) Und bald auch werden wir keinen mehr unter uns haben, der ein reines Ostpreußisch oder genuines Schlesisch spricht. Auch berlinert kaum einer noch vollends, und das Rotwelsch ist ohnehin erkaltet.
Um so schlimmer, denn dieser Tage, am 17. Januar 2007, haben wir eben solch einen titanischen Repetenten und Mundartbewahrer für immer verloren: Ein blitzblankes ruhr-emscherisches Kohlenpottsch und unfaßbare Balladenübermaße beherrschte Bernhard Koltermann, geboren 1921, aus Wanne-Eickel, der dort ehedem Volksschullehrer und im Zweiten Weltkrieg auch ein gefürchtetes Flieger-As war. („Der Udet von Eickel“) Und als guter Erzähler, vornehmlich in Gaststätten, war er ebenso: gefürchtet und allerorten sehr geschätzt, sehr beliebt!
Bernhard Koltermanns Spezialität war die gereimte, beißende Satire:
„Denn wer’s in diesem Lande sollte wagen, / das was zum Himmel schreit, deutlich zu sagen, / erfährt alsbald, welches Urteil ihm blüht: ...“ (– Und weiter? - Na, raten Sie mal!)
Und seine Dichtkunst hob gern eickel-emscherische Fassungen etwa der Loreley in die Welt:
„Ich waiß, bei mich kommtat schomma, / dat ich so knatschich bin. / Ein Döhneken fon unser Oma / fafolcht mich überaall hin. // Et is schon feste am Dunkeln, / anne Emscher is trübet Licht. / (...)“
Bernhard Koltermanns Werke sind wenig gewürdigt worden. Dem allzu vergangenheitstrunkenen, heutigen Ruhrgetümel waren seine Schriften zu wenig verklittert, vielleicht zu ursprünglich. Die zuständige, doch achtlose Regionalpresse, vorneweg die drösig-dömpfige WAZ, hielt ihn zeitlebens unsichtbar. Und auch komisch: Allein die linksmainische Frankfurter Rundschau befand die Bekanntgabe seines Werkes für würdig! In den Händen aber halte ich stolz eine Jubiläumsausgabe zum fünfundachtzigsten Geburtstag des Dichters: Bernhard Koltermann, Der Peggasus fonne Ruhr. Ein Streifzuch durche großen Dichters, Wanne-Eickel 2006. (Auch das ein Verlust: Wanne-Eickel wurde 1975 ganz völkerrechtswidrig der Gemarkung Herne beigefügt.)
Seine und andere klassische Dichtung konnte der tüchtige, trotzige Koltermann natürlich auch dröhnend vortragen und vorsingen, und nötigenfalls begleitete sein Sohn Eckard Koltermann, der beachtliche Tonsetzer und Baßklarinettist und Mentor meiner Eickeler Musiksymposien, den sangestrunkenen Vater auch eine Winterreise weit am Klavier. Denn alles, so Bernhard Koltermann einen Text abschließend: „ ...kann auch nach Mellodie geschallert wern! Euer Fafassa.“
So die letzte Signatur. Der Fafassa ist dahin, und nun weht es dieser Tage ganz stumm und kalt über den Friedhof am Eickeler Volksgarten.
Writersblog von Thomas Kapielski.
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