Friday, May 08, 2015

Wahlergebnis in Großbritannien: David macht den Bibi

von Gerrit Liskow

In einer Entwicklung, die alle überraschen wird, die in letzten Tagen den „offiziellen“ Wahlumfragen geglaubt haben, hat David Cameron, der Premierminister, offensichtlich sein wichtigstes Wahlziel erreicht: Er bleibt Premierminister des Vereinigten Königreichs und es ist seiner Partei gelungen, ihr Wahlergebnis wesentlich zu verbessern. Während in Turnhallen im ganzen Land noch die Stimmen ausgezählt werden, gilt es inzwischen als wahrscheinlich, dass die Tories eine absolute Mehrheit im Unterhaus errungen haben.
Zuvor hatten die Wahlumfragen aller nennenswerten Institute ein knappes Kopf-an-Kopf-Rennen vorhergesagt, das sich nun, wie schon die Bibi-Wahl im März des Jahres in Israel, als nicht viel mehr als Schall und Rauch herausgestellt hat.
Wenn diese Überraschung nicht von vornherein so geplant war (und das ist auszuschließen, denn alle Umfragen stimmten nicht und selbst die, die es normalerweise am besten wissen, nämlich die Buchmacher, lagen daneben), wären jetzt einige offensichtliche Fragen an die Institute zu stellen; zum Beispiel was die Qualität ihrer Zahlen betrifft - und vielleicht auch ihre Versuche, das Wahlergebnis im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prognose zu beeinflussen?
Mr Camerons Ex-Koalitionspartner, die Liberal Democrats, haben sich in fünfjähriger Koalition mit den Tories erfolgreich (und vielleicht nach deutschem FDP-Vorbild) politisch überflüssig gemacht. Sie haben ihr schlechtestes Ergebnis in Jahrzehnten erzielt und stürzten ins praktisch Bodenlose: Sie verlieren über vierzig Mandate und kommen mit viel Glück auf zehn Sitze im nächsten Parliament.
Ein Reihe Kabinettsminister hat diesen Sturz nicht überlebt: Vince Cable, Ed Davey und viele weitere Prominente wurden von den Wählerinnen und Wählern in die Wüste geschickt. Paddy Ashdown hatte bereits in der Nacht im TV angekündigt, er werde seinen (nicht vorhandenen) Hut essen, wenn seine Partei tatsächlich so schlecht abschneidet, wie die Exit-Polls zu der Zeit prognostiziert. Nun, nachdem sich herausgestellt hat, dass die Realität für die Lib Dems wesentlich schlimmer ist, als vorhergesagt, müsste Mr Ashdown eigentlich zwei Hüte essen, wenn er weiterhin sein Wort wert sein will.
Nick Clegg MP, zuletzt Vize-Premier, wurde in seinem Wahlkreis offenbar nur durch die taktische Unterstützung jener Tory-Wähler gerettet, die Labour verhindern wollten. Und auch das geschah vielleicht nur, damit Mr Clegg sein politisches Harakiri heute oder später zur besten Jahreszeit inszenieren kann, wenn er seinen Rücktritt von allen Party-Ämtern verkündet. Mr Clegg bezeichnete das Ergebnis bereits in der Nacht öffentlich als „cruel punishment“; eine „brutale Bestrafung“.
Die Entwicklung in Schottland war absehbar: Seit gestern ist die Gegend nördlich des Hadrian’s Wall auch offiziell Ein-Parteien-Staat. Die Schottische National Partei schickt 56 Abgeordnete nach Westminster, alle anderen großen Parteien jeweils einen! Der Vorsitzende, Alex Salmond, und sein First Minister, Nicola Sturgeon, feierten dieses Resultat in den letzten Stunden als Triumph der Demokratie; denn Demokratie ist ja, wenn alle einer Meinung sind, nicht wahr?
Der nach den Lib Dems zweitgrößte Verlierer der britischen Parlamentswahlen ist der demokratische Arme der britischen Gewerkschaftsbewegung: Labour, der britischen Sozialdemokratie, ist es nicht gelungen, der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler die Persönlichkeit ihres auch intern als steif und stoffelig verschrienen Spitzenkandidaten, Mr Miliband, schmackhaft zu machen: Der glücklose Kandidat sagte bereits im TV, er sei „deeply sorry“, was nur als Rücktrittsangebot verstanden werden kann.
Vor allem ist es Labour nicht gelungen, eine Mehrheit der Bevölkerung von politischen Vorstellungen zu überzeugen, die im Wesentlichen auf einer Rolle rückwärts in die sozial-ökonomischen Realitäten der turbulenten 70er bestanden hätten: Mehr Schulden, mehr Staat, mehr Steuern. Labour verschlechterte sich gegenüber dem Ergebnis von 2010 deutlich und kommt wahrscheinlich nicht über 260 Mandate – weit entfernt von jeder vernünftigen Aussicht auf eine Regierungsverantwortung und eine eindeutige Niederlage.
Die bittere Lektion, die eine offensichtlich völlig realitätsferne Labour-Partei nun lernen müsste: in der britischen Öffentlichkeit besteht kein nennenswertes Interesse daran, die verlorenen Schlachten vergangener Tage noch einmal zu schlagen. Aber ich schätze, Labour-Fanatiker wie Gewerkschafts-Boss und Labour-Sugar-Daddy Len McCluskey („Unite“) sehen auch das als „Thatchers Schuld“?
Ein Wort der Vorsicht betrifft das Ergebnis der euroskeptischen UK Independence Party. Es gelang ihr bisher nicht, mehr als ein Mandat zu erringen (Clacton-on-Sea, Mr Carswell MP). Es gelang ihren Kandidaten allerdings, sich im sozialdemokratisch kontrollierten Norden erfolgreich als wesentliche Opposition gegen Labour zu etablieren, oft mit besseren Ergebnissen als die Tories. Es gibt keinen Preis für den zweiten Platz, aber im Fall dieser noch im Aufbau befindlichen Partei kann sich das als wichtige Ausgangsbasis in kommenden Wahlen und Referenden erweisen.
Den britischen „Greens“ ist es gelungen, das Mandat aus „ihrer“ politischen Parallel-Welt Brighton Pavillon zu erneuern und sogar ein wenig zu verbessern. Zuvor hatten die britischen Ökopathen vor allem durch missglückte öffentliche Auftritte ihrer Spitzenkandidatin, Mrs Bennett, auf sich aufmerksam gemacht, die sich offensichtlich keine Zahlen merken kann; das ist natürlich eine super Voraussetzung für eine Funktion in öffentlichen Ämtern...
Während in vielen Wahlkreisen weiter gezählt wird, zeichnet sich für Mr Cameron eine knappe absolute Mehrheit ab. Sollte seine Partei nicht auf die erforderlichen 326 Sitze kommen, ist eine Koalition mit der nord-irischen Democratic Union Partei absehbar, die 10 Mandate für sich entscheiden konnte.
PS
Es freut uns außerordentlich, dass George Galloway im nächsten Parliament nicht mehr enthalten sein wird. Sein Wahlkreis Bradford-West hat sich für das kleinere der beiden Übel entschieden und mehrheitlich für Labour gestimmt. Wir wissen nicht, welchen neuen "politischen" Wirkungskreis „Gorgeous George“ sich suchen wird. Vielleicht macht er Karriere in Ramallah, vielleicht wird er ständiger Nah-Ost-Experte der BBC, vielleicht erbt er einen Biraderi-Clan; zurzeit scheint das alles gleichermaßen aussichtsreich.
 haolam

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