von Gerrit Liskow
Wie sich auch nach den für sie ziemlich desaströs ausgegangenen Parlamentswahlen in Großbritannien wieder einmal zeigt, hasst die moderne „Linke“ nichts so sehr wie das Gefühl ihrer eigenen Überflüssigkeit. Das ist deshalb bemerkenswert, weil es in jener Szene, in der alle auf dieselbe Art „anders“ sein wollen, sehr wichtig ist, auf „korrekte“ Empfindung achtzugeben und „politische“ Befindlichkeiten aller Art zu respektieren.
Ein kurzer Blick auf den empirischen Befund, liebe Leserinnen und Leser: Gestern Nachmittag brach auf den Britischen Inseln ein veritabler Shitstorm los, als sich auch trotz größtmöglicher Bemühungen des Staatsfunks (a.k.a. BBC; und das ist nicht länger dieselbe Organisation, die unsere Großeltern vielleicht kannten und schätzten) nicht mehr leugnen ließ, dass die Tories die Wahlen gewonnen hatten.
Mr Dimbleby of Question Time tat auch zur besten Sendezeit noch immer so, als hätte Labour ein super Wahlergebnis erzielt und konnte nur unter allergrößter Anstrengung aller Beteiligten davon abgehalten werden zu behaupten, Russell Brand wäre das Beste seit geschnittenem Brot.
Nun ja, die Sendung war offensichtlich für ein völlig anderes Wahlergebnis konzipiert, aber leider kam den Staatsfunkstrategen die von ihnen zu Recht gefürchtete Wirklichkeit in die Quere; da half nur eine steife Oberlippe und so tun, als ob nichts wäre.
Aber so ist es eben, wenn man blöd genug ist, seine eigene Propaganda zu glauben; insbesondere den Umfragen von Labours Leib-und-Magen-Institut Ipsos/Mori, das immer wieder jenes Kopf-an-Kopf-Rennen prognostizierte, welches sich am Ende als busted flush, als heiße Luft erwies.
Ein Bild sagt auch hier mehr als tausend Worte, aber aus Gründen des deutschen Urheberrechts muss ich Sie leider per Link auf den Cartoon des Daily Telegraph verweisen.
Und nun zurück zum Unwesentlichen: den fifty shades of shit, in denen sich die uffjeklärte Einheitsmeinung mit geradezu sadomasochistischer Inbrunst suhlt, seit feststeht, dass der alte Premierminister auch der neue sein wird. Breitbart London hat Twitter beobachtet damit ich es nicht tun muss; und Sie erst recht nicht, meine Damen und Herren.
Beweisstück A: Lily Allen, eine auf den Britischen Inseln leidlich populäre Popsängerin aus Hammersmith, twitterte bereits gestern ganz uffjeregt, orthografisch aber leider nicht immer ganz korrekt: Just thinking about which other facist (sic!) regimes I'd rather live under than a Tory led Britian.
Ähm, ja. Wenn Lily zwischen 15 und 19 Jahren nicht dauernd bekifft gewesen wäre und wenigstens ab und zu mal ihre Hausaufgaben gemacht hätte, wären ihre „politischen“ Ansichten wahrscheinlich immer noch genauso blöd wie jetzt, dafür wüsste sie aber wenigstens, wie man Faschismus schreibt. Vielleicht wüsste sie sogar, wie man Britannien schreibt.
So entsteht leider der Eindruck, als wüsste sie nicht, wovon sie spricht, denn wenn es so gemeint sein soll, wie sie es geschrieben hat, hätte es entweder mit Gesichtern oder mit Fäzes zu tun.
Beweisstück B: Josie Long, das offiziell zum Hofnarr der uffjeklärten Milieus beförderte irgendwie traurige, dafür aber „politisch“ ungemein korrekte, Standup-Comedian-Surrogat aus Orpington, mag es nicht, wenn der Pöbel, also Leute wie Sie und ich, guter Laune ist: Deeply suspicious of anyone out and about in London who doesn't look completely devastated today.
Ja, liebe Josie, es muss schlimm sein, wenn man sich schon nach dem Aufstehen als Opfer freilaufender Gedankenverbrecher imaginiert. Aber es sollte Dir ein Trost sein, dass Du auf Twitter eine Echokammer gefunden hast, die Deinen Bedürfnissen entspricht.
Beweisstück C: J.K. Rowling antizipiert fühlt den Schmerz – den Schmerz aller alleinerziehenden Mütter, den die multimillionenschwere Bestseller-Autorin zweckdienlich herbeifantasiert: I remember single parenthood under the Tories and @Gingerbread's going to be very important in the next 5 years.
Was ist das, liebe Frau Rowling, Ihr persönlicher Marie-Antoinette-Moment? Sollen wir Kuchen essen, weil wir uns kein Brot mehr leisten können? Schütten Sie doch Kaviar auf die Straße, damit der Pöbel drin ausrutscht - oder bauen Sie Ihre Wohnung zur Food-Bank um!
Genug damit. Sie sehen ja selbst, worauf es hinausläuft, liebe Leserinnen und Leser: Es gibt Menschen, die etwas von Zauberschulen verstehen und den subtilen Differenzen zwischen rotem und schwarzem Afghanen. Deren Meinung würde mich interessieren, wenn ich wissen wollte, was besser zu einem 1972er Chateau d’Yquem passt.
Aber nur, weil man ein Element der öffentlichen Meinung ist, das es versteht, nicht nur mit den Wölfen zu heulen, sondern lauter als sie, hat eine persönliche Ansicht noch lange nicht in allen Lebenslagen Gewicht.
Das sagt einem der gesunde Menschenverstand, doch die uffjeklärte Einheitsmeinung sieht es anders: In den Kreisen jenes Bewusstseins, das sich „kritisch“ wähnt, womöglich sogar „politisch“, zählen Interventionen zu den wirklich wichtigen Fragen des Alltags besonders dann, wenn sie aus keineswegs besonders berufenem Mund stammen.
Und die Kreise, in denen alle auf dieselbe Art anders sein wollen, sind voll von denen. Denn hier genügt es, einmal in einem Lifestyle-Magazin wie dem Spiegel abgebildet gewesen, ersatzweise aber zumindest aus dem Dschungel-Camp geflogen zu sein, um als mutige DissidentIn des bösen Kommerz-TVs und damit zugleich als ExpertIn für alle Lebenslagen zu gelten.
Die Eliten auf der Höhe des Zeitgeists sind natürlich das, was sie immer schon waren: fade und belanglos und von einer nur sehr kurzen intellektuellen Halbwertzeit. Doch anders als die Eliten vergangener Zeiten zeichnet das selbsternannte Nouvelle Régime sich leider nicht durch überbordenden Luxus und exorbitante Lebenslust aus, sondern durch freiwillige Selbstkontrolle und eingefleischte Lustfeindschaft.
Letzteres gilt insbesondere für die Ökopathen. Nein, liebe Leserinnen und Leser, das ist keine exotische Urlaubsdestination, sondern das sind biedere Bürgerskinder, Landpomeranzen und Provinzler beiderlei Geschlechts, die sich ganz mutig und unkonventionell wähnen, weil sie den Weg in eins der derzeit angesagten Szene-Viertel einer Großstadt mit mehr als einer halben Million Einwohner gefunden haben; traurig, aber wahr.
All das wäre nicht der Rede wert, wenn diese selbsternannten Tugendterroristen bloß sich selbst und nicht auch alle andern ökologisch kontrollieren wollten. Aber nur, weil sie das dumme Gerede in den Klatschspalten der taz und anderen uffjeklärten Organen mit der Schüssel verspeist haben, denken diese Leute tatsächlich, jeder müsste sich nach ihrer Meinung richten; und zudem auch noch nach keiner anderen. Irgendwie blöd, aber sie merken zum Glück nichts davon.
Nun ja, dass Leute den Vögeln das Vogelfutter und den Kühen das Grünzeug wegfressen, ist das eine. Dass ich auf deren Meinung etwas geben soll, ist das andere. Ich mag es nicht, wenn Leute es gut mit mir meinen, die an Anthroposophie, Homöopathie, Eine-Welt-Läden oder militantes Fahrradfahren glauben, und ich möchte zu meinem Glück auch nicht gezwungen werden – schon gar nicht von den Ökopathen, vielen lieben Dank.
Und zu glauben, dass ein Bio-Sellerie für knapp vier Euro wirklich so viel besser ist, als einer aus dem Supermarkt, ist für mich aus derselben Rubrik wie der Glaube an Chem-Trails und die Klima-Katastrophe.
Was mich beruhigt, ist der Umstand, dass die neue, selbsternannte Elite mit jeder ihrer vermeintlich kritischen Meinungen ohne es zu merken im breitesten Fahrwasser des Mainstreams schwimmt (etablierter als z.B. die „Grünen“ geht’s in Germany nicht).
Und dass sie sich in ihren Versuchen, die ganze Welt in einen Archipel Öko zu verwandeln, umstürzlerisch und sozialrevolutionär wähnen. Denn das beweist, wie realitätsfern und wahnhaft, um nicht zu sagen: wie verrückt, diese Leute wirklich sind.
Das ist es, was die Pose der konformistischen Revolte der Idiotie überführt. Und auch das wäre mir egal, denn was schert mich die innere Leere von Leuten, die ich nicht mag. Was mich stört ist lediglich: Das ökologisch korrekte und sozial akzeptable Nouvelle Régime unserer Tage ist genauso etabliert und konformistisch wie das Ancien Régime - nur viel weniger dekorativ!
Oder können Sie sich etwa vorstellen, dass Menschen freiwillig Geld dafür bezahlen würden, Dachlatten-Joschka und Eiskugel-Trittin in jenen Hochglanz-Postillen abgebildet zu sehen, die den Waschbrettbäuchen und Busenwundern, dem Jet-Set und diversen Königlichen Hoheiten vorbehalten sind?
Ich kann es nicht. Und solange ich nicht bezeugen soll, dass Claudia Roth oder Andrea Nahles auf irgendwelchen roten Teppichen angeblich besonders vorteilhaft zur Geltung gekommen sein sollen, besteht noch Grund zur Hoffnung.
haolam
No comments:
Post a Comment