Ja auch das Gefühl von Rechtsstaatlichkeit hat im Zuge der Flüchtlingskrise und vor allem der Übergriffe von Köln erheblichen Schaden genommen.Ein Staat, der solche Taten nicht zu ahnden vermag, erhält das Gefühl der Ohnmacht auch nach der Tat aufrecht. Er könnte versuchen, es anders wieder gut zu machen, in dem er den Opfern zumindest eine Stimme gibt, sich um sie und generell um die einheimische Bevölkerung kümmert, in dem er zeigt, dass er ihre Sorgen und Ängste ernst nimmt und darauf entsprechend reagiert. Dies ist jedoch weder nach Köln, noch nach dem Mord an Maria L. oder zuletzt dem Anschlag von Berlin geschehen. Das ist neben der eigentlichen Schande der zahlreichen Übergriffe, die zweite große Schande, die dieses Land irgendwann aufzuarbeiten haben wird. Wie oft hat man sich in diesen Zeiten einen Staatsmann wie Helmut Schmidt anstelle der Zettelleserin Merkel gewünscht und mit ihm eine politische Kaste, die endlich erkennt, dass Aussitzen nicht mehr funktioniert. Dass die Menschen sich mit den immer gleich klingenden Durchhalteparolen nicht mehr beschwichtigen lassen? Politiker wie er, das zeigt sich in der Krise wie zu keiner anderen Zeit, fehlen diesem Land mehr als alles andere.
Ein kleines Licht in Form der CDU-Obfrau Ina Scharrenbach leuchtet in diesen Zeiten geballter politischer Ignoranz. Sie war es, die den Opfern eine Stimme im Untersuchungsausschuss gab, als sie beantragte, Mitschnitte der Polizeinotrufe abspielen zu lassen. Sie ist und bleibt wohl die Einzige, die die vielen tausend Akten selbst gelesen und ein privates Register angelegt hat, welches es erst ermöglichte, die erschütterndsten Tonmitschnitte im Ausschuss abzuspielen. „Die greifen mir unter das Kleid und die Polizei macht nichts.“ Ist einer von ihnen. Im Hintergrund heulende Sirenen und donnernde Böller.
Ina Scharrenbachs Maßnahme, den Opfern eine Stimme zu geben, wird wohl eine löbliche Ausnahme bleiben. Für das Hochsicherheits-Silvester auf der Domplatte in diesem Jahr ist jedenfalls anderes geplant. So wird zunächst um 17.15 Uhr der Chor „Grenzenlos“ (ja, der heißt wirklich so!) verstärkt durch Höhner-Frontmann Henning Krautmacher „eine musikalische Einladung an alle aussprechen, den Silvesterabend fröhlich und sicher in Köln gemeinsam zu feiern“, heißt es auf der offiziellen Homepage der Stadt Köln. Der Chor wird aus Mitgliedern des Jugendchors St. Stephan und der Gruppe „Lucky Kids“ gemeinsam mit jungen Flüchtlingen im Alter von 14 bis 25 Jahren gebildet. In Englisch, Deutsch, Kölsch und den Muttersprachen der Flüchtlinge wollen sie „ein klares Zeichen für ein harmonisches Miteinander setzen“ heißt es weiter. Und: „Alle Kölner und Kölner-Besucher sind herzlich eingeladen mitzusingen.“Wem jetzt noch nicht vor Rührung oder Übelkeit die Tränen in die Augen geschossen sind, auf den wartet jedoch noch ein ganz anderes, spezielles Highlight. So wird Phillip Geist, „renommierter Berliner Lichtkünstler“, mit Einbruch der Dunkelheit seine „multimediale Lichtinstallation Timedrift Cologne, begleitet von „Ambient-Klängen“ starten. Die Projektion würde dabei auch auf Wortvorschläge von Kölnern zugreifen, die Geist bei ihnen eingeholt hat, die auf dem Boden der Domplatte, des Roncalli-Platzes und auf die Fassaden des Römisch-Germanischen Museums und des Domforums projiziert werden sollen. Die Lichtinszenierung setze bewusst nicht den Kölner Dom in den Mittelpunkt, sondern die Fläche und die Menschen, die sich auf ihr bewegen. „Sie werden selbst zur Leinwand und zum Teil der Inszenierung.“
Was den Leuten da mehr oder weniger freiwillig auf die eigene menschliche Körperleinwand projiziert wird, verrät der renommierte Berliner Lichtkünstler sodann auch in einer gestrigen Sendung des Deutschlandfunks (28.12.: 18.28 Uhr). Neben catchy Begriffen wie „Weltfrieden“, der vermutlich von Miss Amerika eingesendet wurde, werden dort auch so herzerwärmende Slogans wie „Flüchtlinge sind Schützlinge“ erscheinen, so Phillip Geist. Wer gedacht hat, die Opfer der Kölner Silvesternacht seien über das Jahr verteilt von Politik und Medien schon genug verhöhnt worden, wird hier also erneut eines Besseren belehrt. Es geht eben immer noch eine Schippe drauf im Kampf um die Erhaltung der multikulturellen Geiselhaft. So ist es auch nur logisch, dass der Vorschlag der Opernintendantin Birgit Meyer zuvor abgelehnt wurde. Diese wollte die Domplatte zur „Bühne für starke Frauen aus Köln und der ganzen Welt“ machen. Ihre Idee: „Musikerinnen, Komponistinnen, Sängerinnen und Autorinnen erheben ihre Stimme in Erinnerung an die Auswüchse der Silvesternacht 2015, aber auch als Demonstration der Stärke des weiblichen Geschlechts“. Die Intendantin versprach sich davon „ein Zeichen in die ganze Welt, das über alle sprachlichen, kulturellen und religiösen Unterschiede hinweg verstanden wird“. Eine schöne Idee, für die jedoch kein Platz in einem Land ist, in dem das politische Endziel des Multikulturalismus um jeden Preis stets vor der angemessen Behandlung der Opfer und Einheimischen angesiedelt wird.
Rund um die Diskussion um geschmacklose und geschmackvollere Inszenierungen auf der Domplatte zeigt sich jedoch noch eine weitere Veränderung der Gesellschaft: Die Umfunktionierung eines Bürgerfestes wie Silvester, das nicht mehr frei und wie Jahrhunderte üblich stattfinden kann, zur Erziehungs- und Propagandaveranstaltung. So ist die Verstaatlichung der Reste von zivilem Leben, die diesem Land nach all den Übergriffen im vergangenen Jahr und nicht zuletzt dem Anschlag von Berlin noch bleiben, ein weiterer Aspekt, der in der öffentlichen Debatte kaum Beachtung findet, jedoch vermutlich die Blaupause für künftige Feste (Karneval etc.) darstellt: die staatlich veranstaltete (ehemalige) Bürgergesellschaft.
http://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/die-nacht-der-ohnmacht-und-ihre-lehren/
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